pro und contra

pro und contra

Staatsleistungen sofort stoppen?
Dietmar Freitsmiedl
Foto: privat
Benjamin Strasser
Foto: Tanja Ruetz

Dem Bundestag liegt ein Gesetzentwurf vor, der die Staatsleistungen für die Kirche ablösen soll,  allerdings mit Entschädigung und Schritt für Schritt. Dagegen will Dietmar Freitsmiedl, Vorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit in München, die Zahlungen sofort und ohne Entschädigung für die Kirchen stoppen. Ihm widerspricht Benjamin Strasser, religionspolitischer Sprecher der  FDP-Bundestagsfraktion.

Unverständliches Zögern

Der Gesetzentwurf wurde intransparent ausgehandelt und bevorteilt die Kirchen

Die staatlichen Zahlungen müssen sofort aufhören, und das Geld sollte lieber in einen Fonds zur Entschädigung kirchlicher Opfer aus der Vergangenheit fließen.

Wenn man Menschen – ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig – versucht, die sogenannten Staatsleistungen zu erklären, stellt man fest: Kaum jemand weiß davon. Nach dem ersten Staunen folgen Kritik und Zorn. Kritik an einer Politik, die den Kirchen jedes Jahr Steuergelder überweist, obwohl ein Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen besteht. Zorn auf eine Kirche, die das Geld nimmt und das mit der Säkularisierung zur Zeit der napoleonischen Kriege begründet. Insgesamt haben die beiden großen Kirchen in Deutschland allein von 1949 bis 2020 etwa 19 Milliarden Euro an Staatsleistungen erhalten. In diesem Jahr belaufen sich die Zuwendungen auf knapp 570 Millionen Euro. Jedoch gehört seit der Trennung von Kirche und Staat 1919 die Finanzierung kirchlicher Belange nicht mehr zu den staatlichen Aufgaben. Dem Staat ist es untersagt, bestimmten Religionsgemeinschaften Vorteile zu gewähren, damit verstößt er gegen das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität. Am 13. März 2020 haben Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke einen gemeinsamen „Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen“ in den Bundestag eingebracht. Noch am selben Tag schrieb der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, Sprecher für Religion und Weltanschauungen seiner Fraktion, in einer Mitteilung: „Das Gesetz ist aus einem langen Abstimmungsprozess hervorgegangen, in den sowohl die Koalitionsparteien als auch Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen einbezogen waren.“ Es überrascht, dass die Verhandlungen aller Parteien im Bundestag mit den Kirchen ohne öffentliche Debatte stattgefunden haben.

Verärgert ist man schließlich über das Ergebnis der Verhandlungen. Laut Gesetzentwurf soll zur Ablösung der Staatsleistungen das 18,6-fache der Summe des Jahres 2020 über einen Zeitraum von 20 Jahren gezahlt werden. Das wären etwa 10,6 Milliarden Euro. Bis zur endgültigen Ablösung sollen zudem die Staatsleistungen weitergezahlt werden. Das hieße, die Kirchen bekämen 20 Jahre lang zum einen die jährlich steigenden Staatsleistungen, zum anderen den jährlichen Beitrag zur Ablösesumme – insgesamt etwa 22 – 25 Milliarden Euro. Das ist deutlich mehr als das, was von 1949 bis 2020 gezahlt wurde.

Der Bund für Geistesfreiheit München spricht sich stattdessen für eine sofortige und entschädigungslose Abschaffung der Staatsleistungen aus. Falls die Kirchen auf die dann fehlenden Einnahmen angewiesen sein sollten, kann eine Erhöhung der Kirchensteuer den Fehlbetrag ausgleichen.

Selbst wenn man der Auffassung ist, dass es sich bei den Staatsleistungen um Entschädigungszahlungen aufgrund von Säkularisierungsprozessen handelt – nach über zweihundert Jahren sind diese Verpflichtungen längst und um ein Mehrfaches abgegolten. Ob die Kirchen überhaupt einen Anspruch auf Entschädigung haben, darüber aber sollte nicht nur juristisch, sondern auch politisch und moralisch diskutiert werden. Haben doch die geistlichen Kurfürstentümer, Fürstbistümer, Reichsabteien et cetera ihre Territorien und Güter in feudalen Zeiten erworben, unter Ausbeutung der ansässigen Untertanen die Gewinne eingestrichen und ihren Besitz und ihr Vermögen jahrhundertelang vermehrt. Zudem waren die Kirchen nicht selten Nutznießer von „Hexen“-Verfolgungen, Pogromen gegen Juden oder Andersgläubige und haben sich die Besitztümer der Vertriebenen und Getöteten einverleibt. Wurden denn die Opfer der Kirchen, ihre Angehörigen oder Nachkommen jemals angemessen entschädigt? Wie wäre es mit einer Rückzahlung der seit 1949 erhaltenen Staatsleistungen oder die Einzahlung der Summe in einen Opferfonds – gerne auch ratenweise über zwanzig Jahre?


Arbeitsauftrag erfüllen

Der Bundestag kann jetzt endlich seinem Verfassungsauftrag gerecht werden

Der vorliegende Gesetzentwurf dient einem ehrlichen Ausgleich der Interessen und könnte ein leidiges Thema nach mehr als einhundert Jahren endlich vom Tisch schaffen.

Stellen Sie sich vor, Ihr Arbeitgeber erteilt Ihnen einen klaren Arbeitsauftrag und Sie setzen ihn über einhundert Jahre nicht um. Eine sehr abwegige Vorstellung, und doch zeigt sich bei den Staatsleistungen für die Kirchen genau dieses Bild. Denn bereits im Jahr 1919 haben die Verfassungsgesetzgeber von Weimar in Artikel 138 WRV den politisch Verantwortlichen Folgendes ins Stammbuch geschrieben: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“

Obwohl dieser Auftrag an die Politik von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes in Artikel 140 GG übernommen wurde und damit in der Bundesrepublik weiterhin umzusetzen ist, hat in den vergangenen Jahrzehnten keine Bundesregierung – egal welcher parteipolitischen Coleur – das Thema angefasst und solche Grundsätze nie in Gesetzesform gegossen.

In den vergangenen zwei Jahren haben wir Freie Demokraten, insbesondere mein Vorgänger als religionspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert, gemeinsam mit den beiden Oppositionsfraktionen „Die Linke“ und „Bündnis 90/Die Grünen“ intensive Gespräche mit allen Beteiligten geführt. Das Ergebnis dieses Dialogs ist der Entwurf eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen, den wir im März dieses Jahres der Öffentlichkeit präsentiert haben (Bundestagsdrucksache 19/19273).

Unser Entwurf zeigt einen realistischen und fairen Weg auf, den Verfassungsauftrag von 1919 endlich zu erfüllen und die Staatskirchenleistungen abzulösen. In einem weltanschaulich neutralen Staat müssen die Kirchen für ihre eigene Finanzierung sorgen – und nicht der Steuerzahler, der nicht in der Kirche ist. Für mich steht außer Frage, dass die Kirchen momentan einen geltenden Rechtsanspruch auf die Zahlungen haben, der auf den erfolgten Enteignungen und den darauf basierenden Verträgen beruht. Diesen Anspruch zu negieren und von den Kirchen zu verlangen, dass sie mal ebenso selbstlos darauf verzichten, finde ich ziemlich naiv. Die bisweilen erhobene Forderung, die Staatsleistungen unmittelbar und entschädigungslos abzuschaffen, ist nicht im Sinne des bestehenden Verfassungsauftrags. Sie bleibt mehr Populismus als ein realistischer Vorschlag.

Mit unserem Entwurf für ein Grundsätzegesetz definieren wir einen fairen Weg für die notwendigen Verhandlungen zwischen den Bundesländern und den Kirchen und setzen einen rechtssicheren Rahmen für konkrete Ablösungsgesetze der Länder. Wir plädieren dafür, die Ablösung im Grundsatz durch Geldleistungen und nach dem Äquivalenzprinzip durchzuführen, um die bestehenden Ansprüche gerecht zu tilgen. Als Bemessungsgrundlage dient uns ein Betrag in Höhe der im Jahr 2020 geleisteten Staatsleistungen, da eine historische Rekonstruktion des Wertes enteigneter Gebiete und Güter nicht zu bewerkstelligen ist. Gleichzeitig limitieren wir die zu berechnenden Ansprüche auf einen Zeitraum bis zum Jahr 1919. Später entstandene Staatsleistungen fließen nicht in die Berechnungen mit ein. Den Ländern öffnen wir die Möglichkeit, in ihren Verhandlungen mit den Kirchen einzelne Ausnahmen von diesen Grundsätzen festzulegen.

In diesem Herbst wollen wir mit der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs beginnen. Dann werden sich auch die regierungstragenden Fraktionen von CDU/CSU und SPD positionieren müssen, wann und wie sie den Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen erfüllen wollen. Nach über einhundert Jahren ist es dringend an der Zeit, dass der Bund die geforderten Grundsätze und damit einen rechtssicheren Rahmen festlegt.

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