Ende des Wartens

Klartext
Foto: privat

Die Predigthilfe dieses Monats kommt von Kathrin Oxen, Pfarrerin in Berlin.

Voller Staunen

3. Advent, 13. Dezember

Die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. (Lukas 1,78–79)

Ein alter Mann, die Frau hochbetagt, Jahre vergeblichen Wartens auf ein Kind und dann auf einmal doch noch die freudige Nachricht?

Zacharias kann es einfach nicht glauben. Er, der Berufsgläubige, der Priester, kann offenbar längst nichts mehr anfangen mit der Rede von der Kraft der Gebete und den Verheißungen Gottes. So geht er in den Gottesdienst wie andere auf den Acker. Erst ein Engel Gottes unterbricht die inhaltsleer gewordene Liturgie voller Anrufungen, die keine Erhörung mehr erwartet.

Zunächst wird Zacharias stumm, also arbeitsunfähig. Was für eine Vorstellung von Geistlichen, die nicht dauernd reden, sondern sich mit einem stummen, bedauernden Winken zur Gemeinde begnügen müssen. Zacharias hat nun neun Monate Zeit, es schwangeren Frauen gleichzutun: in sich selbst hinein zu lauschen. Und als er wieder zu reden beginnt, kommen aus seinem Mund keine Floskeln mehr. Denn in ihm ist der Glaube neu gewachsen. Die Verheißungen Gottes sind konkret, sie meinen mich, gehören in mein Leben, wie ein Kind zu mir gehört. Der Lobgesang des Zacharias, das „Benedictus“, gehört in der Tradition der Tagzeitengebete zum Morgengebet. Er ist jeden Morgen voller Staunen zu sprechen. Und wenn es Tage gibt, die einem die Sprache verschlagen, dann erst recht.

Ein Jahr noch

4. Advent, 20. Dezember

Da sprach der HERR zu
Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären, nun, da ich alt bin? Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben. (1. Mose 18,13–14)

Es ist lange her, dass in einer Adventszeit so sehnlich gewartet wurde wie in diesem Jahr. Auf einmal kommt das Wort „Erlösung“ nicht nur in Predigten vor. Es gibt niemanden, der nicht wartet, auf Unterricht ohne Maske, darauf, die Mitstudenten nicht nur am Bildschirm zu sehen. Oder wir warten darauf, dass wir wieder ganz normal, aktiv die Freizeit verbringen, und die Enkel uns besuchen.

Enkelkinder ist das Stichwort. Es war schon lange her, dass Sara und Abraham aufgebrochen waren. Nun sollten sie endlich bekommen, was sie sich schon lange gewünscht hatten: eine neue Heimat und Kinder. Aber eingetreten war davon noch nichts. Weiße Haare und kein Kind, so sitzen die beiden Alten jeden Tag in der Mittagshitze im Schatten der Bäume. Was soll da noch kommen?

Aber dann kommt Besuch und in ihr Leben Bewegung. So lange hatten sie gewartet. Und es war ein Warten, dem die Hoffnung längst abhandengekommen war. Und nun, auf einmal, beschleunigt sich das Tempo ihres Lebens wieder. Unglaublich, was der Besuch verspricht: Das Warten wird ein Ende haben. Etwas, das sich alle Wartenden von ganzem Herzen wünschen, in diesen Tagen mehr als je zuvor. Der Besuch sagt: Ein Jahr noch, und Sara wird ein Kind haben und die beiden damit eine Zukunft. „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?“ Die Frage fällt in das Schweigen unter dem Baum in der Mittagshitze und – in die Adventszeit 2020. In der Geschichte Gottes mit den Menschen ist immer wieder geschehen, was Abraham und Sara erlebten: Jahre des Wartens, Zeiten ganz ohne Hoffnung, eine Wirklichkeit, die alle Möglichkeiten zu ersticken droht. Da kommt von Gott ein Versprechen. Und das stößt sich an der Wirklichkeit. Und auch wir erleben etwas davon in dieser Zeit. Aber wir warten. Und lassen uns die Hoffnung nicht abhandenkommen. Denn ein Kind ist unterwegs.

 

Leise Schritte

1. Weihnachtstag, 25. Dezember

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König! (Jesaja 52,7–9)

Auf der Straße, vor dem Haus, wird eine Autotür zugeschlagen. Und gleich hört man im Treppenhaus ganz leichte Schritte. Das ist der Kleine. Seine helle, fragende Stimme und die Antwort, die sie kennt, ohne dass sie die Worte genau versteht. Ja, jetzt sind wir gleich bei der Oma, sagt die Mutter.

Schwere Männerschritte folgen. Doch für den Weihnachtsmann ist es eigentlich schon zu spät. Aber es ist der Schwiegersohn, mit vielen Päckchen beladen. Die Oma macht die Tür weit auf: Die jungen Leute sind da.

Die Freude kommt. Man hört schon ihre Schritte. „Da ist die Stimme meines Freundes! Siehe, er kommt und hüpft über die Berge und springt über die Hügel“ (Hoheslied 2,8). Der Prophet Jesaja leiht sich diese Worte aus dem Hohen Lied, von Liebenden, die voller Sehnsucht aufeinander warten. Seine Schritte könnte ich unter tausenden erkennen. Das muss er sein. Mein Herz schlägt schneller. „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten.“ Und dann ist er da, und mit ihm kommt die Freude.

Wenn ihr das kennt, sagt Jesaja, dann wisst ihr, wie es sein wird. Da heben die Israeliten den Kopf und sehen ihn mit ihren müden Augen an, stumpf geworden von dem Schutt und der Asche in Jerusalem, auf die sie blicken. Dabei sind sie doch in die ersehnte Heimat zurückgekehrt. Aber so haben sie sich das nicht vorgestellt. Denn Jerusalem liegt in Trümmern. Die Hoffnung auf Rückkehr hat sich zwar erfüllt, aber dadurch ist nicht alles wieder gut geworden. Es hatte eben auch Vorteile, sich nach der Heimat bloß zu sehnen.

Die Freude über die Rückkehr ist längst verflogen, sie ist auf leisen Sohlen aus ihrem Leben in dieses Trümmerfeld hinausgeschlichen. Und du, Jesaja, redest von Frieden und Gutem und Heil? Wir sehen das nicht.

Die Freude kommt. Man hört schon ihre Schritte. Er hört einfach nicht auf damit, der Prophet. Hier wird es geschehen, in eurem staubigen, grauen Alltag. Dass ihr keine Hoffnung mehr habt – das ist nicht schlimm. Gott bringt sie mit, wenn er kommt. Ich will doch nicht mehr von euch, als dass ihr aufmerksam werdet. War da was? Kommt da was? Ist schon was zu sehen?

Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander; denn sie werden’s mit ihren Augen sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.

Nicht nur Wegweiser

Altjahrsabend, 31. Dezember

Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch
die Feuersäule bei Nacht.
(2. Mose 13,21–22)

Klare Signale auf einer endlosen Wanderung: Darauf scheint Gott bedacht zu sein, als sein Volk die Wüste erreicht. Ehe ihr hier in einem großen Kreis an euren Ausgangsort zurückkehrt, geh ich lieber vorneweg. Tags folgt ihr mir, nachts leuchte ich euch, und ab und zu machen wir auch eine Pause. Versprochen!

Eine Wolken- und Feuersäule bitte auch für das neue Jahr. Damit wir gut durchkommen und sich nicht alles so endlos anfühlt. Damit wenigstens wir wissen, wo es langgeht, wenn es sonst schon keiner weiß. Deutliche Signale in der unüberschaubaren Wüste. So effizient, wie es sich anhört, ist das Ganze nicht abgelaufen. Den Weg durch das Land der Philister nehmen sie jedenfalls schon mal nicht, als sie Ägypten gerade verlassen haben. Ein Krieg gleich nach dem Aufbruch könnte schließlich demotivierend sein. Da gehen wir lieber einen Umweg. Allerdings endet der erst einmal am Schilfmeer. Und von hinten hört man schon die Räder der ägyptischen Streitwagen im Sand knirschen. Durch das Meer werden die Israeliten hindurchkommen. Aber mit den Umwegen hat es noch lange kein Ende. Vierzig Jahre brauchen sie für eine Wanderung über siebenhundert Kilometer Luftlinie.

Könnte es sein, dass die Wolken- und Feuersäule gar keine Wegweiser sind? Sondern einfach nur das tröstliche Gefühl geben: Gott ist dabei. Auf den Umwegen, vor den Hindernissen, auf langen Strecken. An hellen Tagen und in dunklen Nächten auch im kommenden Jahr.

 

Gabe und Aufgabe

1. Sonntag nach Epiphanias, 10. Januar

Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich‘s gebührt, sondern dass er maßvoll von sich halte, wie Gott einem jeden zugeteilt hat das Maß des
Glaubens. (Römer 12,3)

Neues Jahr, neue Aufgaben. Da kommt die Ermunterung des Paulus gerade recht. „Jahresplanung“ steht in vielen Kalendern. Aber das Planen und die Übersicht über die Aufgaben sind schwieriger denn je. Denn die Planbarkeit des Lebens ist uns abhandengekommen wie wohl noch nie zuvor.

Ich bin ohnehin keine Freundin von To-do-Listen. Ich schiebe gerne auf und vor mir her und habe meistens nicht einmal mehr Zeit, mich dann an den erledigten Aufgaben zu freuen. Deswegen habe ich beschlossen, das mit den Aufgaben für dieses Jahr aufzugeben. Ehe ich lange Aufgabenlisten schreibe, möchte ich erst einmal eine viel schönere und viel kürzere Liste mit meinen Gaben machen und den Dingen, die ich gut kann und gerne mache.

Paulus hat bei seiner Aufzählung der verschiedenen Gaben keinen kirchlichen Geschäftsverteilungsplan im Hinterkopf, sondern konkrete Menschen vor Augen.

Am Ende seines Briefes an die Gemeinde in Rom zählt er die Leute noch einmal mit Namen auf. Es sind so viele, dass man sich gut vorstellen kann, dass unter ihnen auch nicht jeder alles gekonnt und gemacht hat. Für den Umgang mit den Aufgaben des neuen Jahres finde ich das hilfreich. „Jeder soll maßvoll von sich halten“, schreibt Paulus. Ich kann nicht alles. Und meine Verantwortung ist, mir das einzugestehen und im Zweifelsfall Aufgaben an andere abzugeben.

Ganz schwierig, ruft der immer zu kleine Chor der Engagierten, es findet sich doch niemand außer uns. Aber Paulus denkt Aufgabe und Gabe immer zusammen. Wer kein Lehrer ist, muss sich auch nicht wie einer benehmen. Und wer leiten will, kann nicht bloß geliebt werden wollen.

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