Am Boden bleiben

Die Seelsorge am neuen Berliner Flughafen in Zeiten von Corona
Kapelle des Flughafens
Foto: Rolf Zöllner

Was für eine Peinlichkeit! Erst mit acht Jahren Verspätung konnte der neue Hauptstadtflughafen BER vor wenigen Wochen eröffnet werden. Der schicke Airport mit leichtem Retro-Flair entzückt viele, die dort arbeiten – auch Sabine Röhm und Wolfgang Felber von der Flughafenseelsorge. Beide haben einiges zu tun, denn im Augenblick brauchen viele Menschen Hilfe. Und es sind weniger die Fluggäste.

Es ist nicht möglich, das an diesem Tag wichtigste Gespräch von Sabine Röhm genauer zu beschreiben. Zum einen weil es auf der Damentoilette stattfand, der Reporter also nicht zugegen war. Zum andern weil solche Gespräche der Schweigepflicht unterliegen. So viel aber darf Pfarrerin Röhm berichten: Sie wusch sich gerade die Hände, als zwei Mitarbeiterinnen des gerade eröffneten Flughafen Berlin Brandenburg (BER) sie ansprachen. Ihnen fehle der alte Schönefelder Flughafen, sagten die betrübten Damen, und das offenbar sehr. Aber um ihr mehr von ihrer Not zu schildern, mangele es jetzt an Zeit. Sie würden sich aber noch mal bei ihr melden, versprachen sie. „Das war richtig nett“, sagt die Pfarrerin mit einem strahlenden Lächeln.

Flughafen BER
Foto: Rolf Zöllner
 

Sabine Röhm ist durch ihre offizielle Airportweste, in lila Farbe gehalten und mit reflektierenden, silbernen Querstreifen versehen, als Flughafenseelsorgerin erkennbar, jederzeit, und eben auch auf der Toilette. Die 53-Jährige ist so unkompliziert und freundlich, dass man sie überall und immer ansprechen kann und auch mag. Das gehört zu ihrem Wesen, wohl auch zu ihrer Jobbeschreibung – und sie kann so gut zuhören, dass man ihr recht leicht manches erzählt, was die Seele bedrückt. Das ist derzeit für viele Menschen auf dem nun einzigen Flughafen der Hauptstadt eine Menge.

Acht Jahre hat es gedauert, bis der neue internationale Flughafen in Schönefeld am südlichen Stadtrand Berlins seine Tore öffnen durfte – nachdem die Eröffnung eigentlich schon 2012 in letzter Minute nach einer Serie von Pannen abgesagt werden musste. Und als nun endlich vor wenigen Wochen die ersten Flugzeuge auf dem BER starten und landen durften, war es, als klebe das Pech wie, sagen wir: Pech auf den Start- und Landebahnen. Ein mega-teures Infrastrukturprojekt, über das sich ganz Deutschland, ja die halbe Welt jahrelang lustig machte.

Flughafen BER
Foto: Rolf Zöllner
 

Und zum Pech kam auch noch das Unglück dazu – Corona. War vor dem Ausbruch der Pandemie darüber spekuliert worden, ob der neue Flughafen angesichts der dynamisch steigenden Fluggastzahlen weltweit nicht schon von Anfang an zu klein konzipiert worden sein könnte, hat sich die Diskussion nun umgedreht. Der Flugverkehr ist durch die weltweite Seuche mittlerweile so eingebrochen, dass der neue Hauptstadtairport erst einmal zu groß ist. So wurde zunächst nur der erste von zwei Terminals eröffnet. Und das sicherheitshalber noch nicht geschlossene Terminal 5, der alte DDR-Hauptstadtflughafen Schönefeld, stand zum Zeitpunkt des Besuchs von Sabine Röhm ebenfalls kurz vor der Schließung.

Flughafen BER
Foto: Rolf Zöllner
 

Der Bedarf fehlt. Wer in den letzten Wochen des Jahres über den nagelneuen Terminal 1 läuft, der immerhin in der Breite auf 770 Meter kommt, hat den Eindruck, an mehr Flughafenpersonal vorbeizulaufen als an Passagieren. Um neun Uhr morgens sind auf den fürs Erste viel zu groß designten digitalen Abflugtafeln bis 21 Uhr abends gerade einmal 32 Flüge angezeigt. Die erste Durchsage des Tages hallt erst gegen 11.30 Uhr durch den Terminal 1.

Überall sind Security-Leute zu sehen, die, statt an ihren Durchleuchtungsgeräten zu stehen, Pause machen oder sich die Beine in den Bauch stehen. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen. Denn coronabedingt bleiben eben die Passagiere aus, die man checken und abfertigen könnte. Im
April, auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle, verirrten sich an die damals noch offenen beiden Berliner Flughäfen Schönefeld und Tegel tageweise nur noch 800 Passagiere – an beiden Flughäfen zusammen, wohlgemerkt. Üblich waren vor Corona 100 000 Fluggäste. Dazu kamen damals immense Einkommensverluste der Berliner Flughafengesellschaft: jeden Tag eine Million Euro!

Fughafen BER
Foto: Rolf Zöllner
 

„Es herrschte eine mitreißende Aufbruchsstimmung, die auch mich erfasste“, schrieb Sabine Röhm Mitte Oktober im Rückblick auf die Wochen kurz vor der Eröffnung des Airports in einer Kolumne, die sich in der Eröffnungs-Sonderausgabe einer Art BER-Mitarbeiterzeitung mit dem Namen Nachbarn findet. „Und nun ist der BER also an den Start gegangen, und die früher dunklen Verkaufsräume erstrahlen jetzt im hellen Licht.“ Doch Corona sei dazwischengekommen. „Keiner weiß so recht, was uns noch erwartet, wie lang unser aller Atem noch sein muss und wie stark unser Herz.“

Flughafen BER
Foto: Rolf Zöllner
 

Das Herz – diese Zeilen erzählen davon, wie sehr Sabine Röhm der Flughafen am Herzen liegt. An diesem Morgen spricht sie einmal sogar von der „Flughafenfamilie“, die es in Tegel, dem bisherigen Hauptstandort der Flughafenseelsorge, gegeben habe. Dennoch kann sie sich in der morgens noch fast leeren Haupthalle des Airports eines Anflugs von mildem Sarkasmus nicht erwehren, als sie erstmals einen Piloten mit schicker Uniform und Mütze erblickt: „Oh, ein Unikat!“ Auch das riesige bordeauxrote Plastikgeflecht über den Check-in-Schaltern mit dem Namen „Fliegender Teppich“ der US-amerikanischen Künsterlin Pae White quittiert die gebürtige Berlinerin mit sanftem Spott: „Das ist das Einzige, was bisher geflogen ist.“

Aber eindeutig überwiegt eine ernste Liebe zum neuen Flughafen. Beim Gang über den BER macht Sabine Röhm voll Begeisterung auf eine in den Boden eingelassene Kunstinstallation aufmerksam: Mit Münzen „aus aller Herren Länder“, wie sie sagt, wird im südlichen Bereich des Terminals 1 der südliche Sternenhimmel nachempfunden – im nördlichen der nördliche. Überhaupt hat der Muschelkalkboden es ihr angetan. Immer wieder macht die Pfarrerin beim Laufen auf Fossilien aufmerksam, die darin verewigt sind. Vor allem versteinerte Ur-Schnecken sind ab und zu entdecken. Das Über-den-Flughafen-Laufen ist übrigens Teil ihrer Arbeit, erläutert Sabine Röhm. Denn man wolle allen mit Hilfsangeboten entgegenkommen, nicht warten, bis seelsorgerlich Bedürftige vielleicht den Weg zu ihrem Schalter nahe der Besucherterrasse finden.

Flghafen BER
Foto: Rolf Zöllner

 

Es gilt also, offenen Auges über den Flughafen zu gehen. Und das zusammen mit rund 30 Ehrenamtlichen, mit denen sie sich abwechselt – und vor allem mit dem Jesuitenpater Wolfgang Felber, der ihr katholischer Kollege von der Flughafenseelsorge ist. Der 60-jährige gebürtige Allgäuer zeigt sich in seiner violetten Airportweste ebenso ordentlich begeistert über den neuen Flughafen – etwa über die „Qualität des Bodens“ und, wie Sabine Röhm, auch über die edle dunkelbraune Nussbaumverschalung der dutzenden Check-in-Schalter auf der Hauptebene des Terminals 1. Gerade das Design dieser Schalter wurde bei der Eröffnung des Flughafens des Öfteren kritisiert. Es ist ein Retro-Look mit Anklängen an die 1970er-Jahre, wenn die Erinnerung nicht trügt … „Ich finde es super“, hält Sabine Röhm dagegen.

Neben Begeisterung ist fast so etwas wie Stolz bei beiden hauptamtlichen Flughafenseelsorgern, jeweils mit einer halben Stelle, zu spüren, vor allem vor und in der neuen Kapelle und dem „Raum der Stille“, auf der „Chefetage“, so sagt es Wolfgang Felber. Beide Räume liegen im Zentrum des Flughafens – genau in der Mitte des Airports, wie Sabine Röhm zweimal betont. Es sei fast so etwas wie das Herz des Flughafens. Die Kapelle und der „Raum der Stille“ sind in einem grauen Kubus zu finden, den außen ein Spruch des Lyrikers Paul Valéry (1871 – 1945) schmückt: „Achte auf das feine, unaufhörliche Geräusch. Es ist die Stille. Horche auf das, was man hört, wenn man nichts mehr vernimmt.“

Indirektes Licht

Der „Raum der Stille“ und die Kapelle sind gleich groß und gleich schlicht gestaltet. Beide haben einen kleineren Vorraum. Die Wände bestehen aus dunklen Backsteinen, Licht dringt nur von oben und von indirekten Lichtleisten in den Böden hinein in die stillen Räume. In der Kapelle wurden die Backsteine an einer Wand in Kreuzform ausgespart. Auch dieses Kreuz wird von innen beleuchtet – mehr an Schmuck gibt es nicht.

Flughafen BER
Foto: Rolf Zöllner
 

Eine kleine Besuchergruppe schaut sich in der Kapelle um. Auf einem kleinen beweglichen Altar liegt die Luther-bibel aufgeschlagen. Sie sei noch nie geklaut worden, erzählt Sabine Röhm. Der „Raum der Stille“ nebenan kann als muslimischer Gebetsraum genutzt werden. In den Boden ist eine Stahlplatte eingelassen, die die Himmelsrichtungen anzeigt, für die Muslime, die sich gen Mekka neigen wollen. Im Vorraum finden sich hier auch offenbar gespendete Gebetsteppiche und zwei private Ausgaben des Korans. Ein Flughafenmitarbeiter sucht an diesem Morgen im „Raum der Stille“ etwas Kontemplation. Das einzige, was das architektonisch gelungene Ensemble und die besinnliche Stimmung etwas stört, ist die Aufschrift an der Tür des Kubus: „Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt.“

Zurück im Hauptterminal, fällt Felber auf einer digitalen Anzeigetafel auf, dass bald zwei Flüge hintereinander nach Istanbul gehen – nur zwanzig Minuten liegen zwischen den Abflügen. Das Problem dabei: Der eine hebt am Terminal 1 ab, der andere am bald schließenden Terminal 5. Und der ist 30 Minuten Fußweg entfernt. Für Reisende sind da Komplikationen oder Missverständnisse programmiert. „Der Klassiker“, murrt Felber leise und schüttelt leicht den Kopf. Zur Erinnerung fotografiert er die Anzeigetafel mit seinem Handy. Röhm und Felber sind Profis, keine Frage.

Von der Besucherterrasse aus sind endlich ein paar Flugzeuge zu sehen. Noch ist der Eintritt zur Terrasse kostenlos, später wird er drei Euro kosten. Rund ein halbes Dutzend Flieger von „Easy Jet“ stehen ungenutzt in der Landschaft, sie werden fast verschluckt vom dichten Nebel. An klaren Tagen soll der weite Blick ins Brandenburgische zauberhaft sein, sagt Sabine Röhm. Kleine Getränkebuden gibt es auf der Terrasse, aber sie sind abgedeckt, es wäre eh zu kalt für eine Cola. Dafür dürfen wir mit den Flughafenseelsorgern – die Organisation dafür war ein paar Tage zuvor etwas aufwändiger – auf die „Luftseite“ des Airports, also in den Bereich hinter dem Security-Check, wo die Duty-Free-Geschäfte sind.

Die Geschäfte gruppieren sich um ein großzügiges und großes Atrium – aber die Stimmung ist gedrückt, das ist fast mit Händen zu greifen. Mehrere Geschäfte haben schon wieder geschlossen. Schaut man in viele der noch offenen Läden hinein, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die dortigen Angestellten zu Tode langweilen, weil die Kundschaft fehlt. Letzte Woche sei der „Esprit“-Laden noch auf gewesen, sagt Pater Felber. Er ist etwas melancholisch gestimmt, zeigt auf seinem Handy das Foto eines prächtigen Sonnenuntergangs von der Besucherterrasse aus. Ein Flughafen, sagt er, sei ja eigentlich „ein ökologisches Desaster“ – aber der Flugverkehr sei in dieser Welt auch nötig: „Wir brauchen diese Kontakte.“

Auf Gottes Beistand hoffen

Salvatore Cottone, der Filialleiter eines schickeren Souvenirladens mit vor allem lokalen, oft witzigen und handwerklich anspruchsvollen Produkten, versucht, mit seiner guten Stimmung die dunklen Wolken im Atrium auf der „Luftseite“ ein wenig zu verscheuchen. Man müsse eben optimistisch sein, sagt der 38-jährige smarte Mann. Sieben Tage die Woche habe man von 5.30 bis 19.30 Uhr auf, immerhin vier Angestellten gibt der Laden Lohn und Brot. Dumm nur, dass viele der derzeit maximal rund dreißig Flüge pro Tag nur zur Hälfte ausgelastet seien. Das verringert die potenzielle Kundschaft. Aber Salvatore Cottone lässt sich nicht betrüben. „Alles Gute Ihnen – und man sieht sich öfter“, ruft ihm Pater Felber nach einem Plausch beim Hinausgehen hinterher, die Daumen hoch.

Kapelle des Flughafens
Foto: Rolf Zöllner
 

Man darf sich eben nicht deprimieren lassen – und sollte auf Gottes Beistand hoffen. Charlotte Lewerich, eine Ehrenamtliche der Flughafenseelsorge, hat Wolfgang Felber und Sabine Röhm neulich per Mail einen Gebetszettel geschickt. Es ist „Ein Gebet in Corona-zeiten“, das nun als Faltblatt am Schalter der Telefonseelsorge und in der Kapelle ausliegt: „Guter Gott“, heißt es darin, „die Corona-Krise macht uns Angst. Solch eine Situation hatten wir noch nie.“ Und etwas später: „Guter Gott, lass diese Corona-Krise bald vorübergehen. Und schenke uns Mut und Zuversicht. Amen.“

Sabine Röhm erzählt, unter den Angestellten des Flughafens BER herrsche derzeit oft Angst um die Existenz, Angst auch vor Entlassungen. Im Corona-Gebet findet sich die Bitte, Gott möge bei allen sein, deren Existenz bedroht sei, weil sie ihre Geschäfte oder Cafés schließen müssten. Aber: „Man bemüht sich um Optimismus“, sagt die Pfarrerin. In ihrem privaten Umfeld seien schon zwei Menschen an Corona gestorben. Die Einschläge kämen näher. Die Flughafenseelsorge ist derzeit, nicht nur vor den Toren Berlins, so scheint es, nötiger denn je.

 

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