Maske, Bahn und Sünde

Punktum

Fernzugfahren in Zeiten der Pandemie ist eine zwiespältige Angelegenheit: Einerseits sind die Züge meist nicht sehr voll (Achtung: Diese Zeilen sind vor dem engeren Weihnachtsfestkreis entstanden), teilweise sogar unglaublich leer. Andererseits muss man – selbstverständlich muss man und ich stelle das prinzipiell überhaupt nicht in Frage – die ganze Zeit im Zug (und auch schon im Bahnhof und auf dem Bahnsteig) Maske tragen.

Über längere Zeit nervt das viele schon sehr, jedenfalls, wenn sie nicht zu den angestrengt-fröhlichen Nichtbrillenträger*innen gehören, die das Thema immer mit einem frischen „Ist doch alles gar kein Problem!“ kommentieren. Und so gibt es zwei große Versuchungen, diese staatsbürgerlich und gesellschaftspolitisch absolut notwendige, absolut richtige und absolut angemessene (habe ich alles?) Maßnahme in schierer Egozentrik zu unterlaufen. Ich gebe zu, dass auch ich in diesem Zusammenhang ab und an schuldig geworden bin.

Die erste große Versuchung entzündet sich an den Bestimmungen der Bahn selbst zur Mund-Nasen-Schutz-Pflicht. Denn demnach müssen außer Kindern unter sechs Jahren (logisch!) und Reisenden, die aus medizinischen Gründen keine Maske tragen können (so was von logisch!) auch Reisende keine Maske im Fernzug tragen „während Speisen und Getränke verzehrt werden“. Aha. Also stellt der maskenmüde Fahrgast sich einfach direkt nach Einstieg eine angesabbelte Wasserflasche vor die Nase, nimmt alle fünf Minuten real oder simulierend einen Schluck daraus – und wähnt sich maskenfrei auf der sicheren Seite. Wie cool! Ich bekenne, dass ich damals, im vergangenen Mai und Juni manchmal ganz unverfroren so ein schändliches Spiel gespielt habe. Es kommt aber schon lange nicht mehr vor – großes Ehrenwort!

Anfällig aber, und das bekenne ich vor Gott und den Menschen, bin ich immer noch für die zweite große Versuchung auf dieser Sündenbahn, die Maske phasenweise abzulegen. Die lauert, wenn ich, was häufig vorkommt, ganz allein im Abteil sitze oder gar ganz allein im Wagon. Dann nehme ich sie ab, die Maske, manchmal jedenfalls, besonders wenn ich keuchend-jüchternd mit großem Gepäck eingestiegen bin und erhöhte Atemfrequenz feuchte Benebelung der Brillengläser betreibt. Naht ein anderer Mensch, zum Beispiel die Schaffnerin, und legt sie auch nur die Hand an die Abteiltür, schwupps, dann ist mein Mund-Nasen-Schutz da, wo er hingehört – großes Ehrenwort. Das schien aber neulich nichts zu nützen. Sehr streng sprach mich die Kollegin an: „Damit das klar ist, Sie tragen im Zug immer Maske!“ Auf meine, zugegeben etwas unbotmäßige Frage, ob das denn allein im Abteil wirklich sein müsse, sagte sie noch strenger: „Natürlich! Oder wissen Sie, was alles so durch unsere Lüftung an Aerosolen rumgehen kann?“ Ich bin seitdem gehorsam, gebe aber zu, die Ansage hat mein Vertrauen in das Hygienekonzept der Bahn durchaus erschüttert …

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