Keine verschenkte Zeit

Der Reformprozess Synodaler Weg ist eine Hoffnung für die hiesige katholische Kirche
Eine Demonstration zum Auftakt der ersten Synodalversammlung Ende Januar 2020 vor dem Dom zu Frankfurt/Main.
Foto: dpa/Peter Juelich
Eine Demonstration zum Auftakt der ersten Synodalversammlung Ende Januar 2020 vor dem Dom zu Frankfurt/Main.

Der Synodale Weg, mit dem sich die katholische Kirche in Deutschland seit etwa einem Jahr erneuern will, ist mächtig unter Beschuss geraten. Das bringe doch gar nichts, so lautet oft die Kritik. Dagegen setzt Claudia Nothelle, die als Professorin Fernsehjournalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt und Mitglied der Synodalversammlung ist, ein „Trotzdem“: Denn der Synodale Weg bleibe eine Chance für die Kirche.

Ein Mittwoch im Advent 2020. Die Theologische Fakultät Freiburg hat zum Dies academicus geladen – gemeinsam mit der Katholischen Akademie im Erzbistum Freiburg. Thema ist eine Zwischenbilanz zum Synodalen Weg.

Den Auftakt macht Bernhard Sven Anuth, Kirchenrechtler aus Tübingen. Der Kern seines Vortrags war bundesweit zu lesen: Der Synodale Weg habe kirchenrechtlich keine Grundlage, könne als Erfindung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK) gar keinen Erfolg haben. Könne, so seine Frage, es unter diesen Umständen engagierten Christen überhaupt zugemutet werden, für das Projekt Zeit und Energie aufzuwenden? Oder ist es – mit anderen Worten – von vorneherein verschenkte Zeit? Nach einem solchen Aufschlag bleiben den ebenfalls eingeladenen Synodalen nur zwei Möglichkeiten: Nicken, den Laptop zumachen und die Zeit anderen Dingen widmen. Oder das „Trotzdem“ stark machen, erläutern, warum trotz aller Hindernisse und Widrigkeiten der Synodale Weg eine Chance für die katholische Kirche ist.

Der Synodale Weg ist ein Ausweg. Er entstand in einer scheinbar ausweglosen Situation der Kirche. Lingen, Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 2019: Die MHG-Studie war im September 2018 veröffentlicht worden, also die Studie der Wissenschaftler aus Mannheim, Heidelberg und Gießen, die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz die sexualisierte Gewalt unter dem Dach der Kirche untersuchen sollten. Für die Bischöfe standen – und stehen – drei zentrale Punkte im Raum: Wie sollen sie mit dem fundamentalen Glaubwürdigkeitsverlust, der Hoffnungslosigkeit und dem Mitgliederschwund in der Kirche umgehen? Oder kurzgefasst: Wie können sie die Frohe Botschaft wieder verkünden?

In dieser Situation entstand die Idee des Synodalen Wegs. Der damalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, geht noch während der Vollversammlung der Bischöfe auf Thomas Sternberg als Präsidenten des Zentralkomitees (ZdK) zu und lädt ihn ein, sich – auf Augenhöhe – gemeinsam auf den Weg, den Synodalen Weg, zu machen. Eine Form, die das Kirchenrecht so nicht kennt, ein Experiment ohne Vorbild, das Spielraum bei den Themen und in der Gestaltung lässt, aber eben auch keine rechtliche Verbindlichkeit besitzt.

Der Synodale Weg ist aus der Not geboren, ist aber keine Notlösung. Das ZdK als Vertretung der katholischen Laiinnen und Laien hatte gerade den Dialogprozess hinter sich gebracht – mit viel Herzblut, Zeit und Engagement, aber sehr wenig konkreten Ergebnissen. Wenn – so der Grundgedanke – sie sich nun wieder auf den Weg, den Synodalen Weg, machen würden, dann nur unter bestimmten Voraussetzungen. Die Laien sollten nicht Teilnehmer zweiter Klasse, sondern gleichberechtigt sein bei allen Entscheidungen, auf allen Ebenen. Das bietet gleichermaßen Chancen und Risiken.

Allein die Tatsache, dass es eine feste Satzung und eine Geschäftsordnung gibt, die zusammen das Regelwerk für Zusammensetzung, für Themen und Abstimmungen bilden, macht deutlich, dass es allen Beteiligten ernst ist. Die Synodalversammlung soll ein Spiegelbild der ganzen Kirche sein. Das klingt im Grundsatz einfach, im Detail war das ein mühsamer Prozess. Priesterratsvertreter aus jedem der 27 Bistümer. Diakone. Religionslehrer*innen. Akademien. Und – sehr wichtig –: 15 unter 30-Jährige. Jugendliche aus ganz Deutschland konnten sich für einen dieser Plätze bewerben – verbandlich Organisierte, vor allem am Prozess Interessierte, Pfadfinder, Messdienerinnen, Studierende – über 230 Interessierte haben sich beworben. Auch ein Zeichen dafür, wie viel Aufmerksamkeit dieser Prozess dann doch quer durch die Generationen bekommt. Inwieweit die Versammlung nun tatsächlich repräsentativ ist, dahinter steht ein großes Fragezeichen. Schon der Anteil der Kleriker macht echte Repräsentativität unmöglich. Dennoch treffen sich Ende Januar 2020 fast 230 Synodale aus allen Generationen und den verschiedenen Ecken Deutschlands. Eine alphabetische Sitzordnung sorgt für hierarchiefreie Nachbarschaften und überraschende Begegnungen. Aufbruchstimmung war bei der ersten Synodenvollversammlung zu spüren – ein Fenster aufgegangen. Und jetzt? Sind die Synodalen in den Mühen der Ebene angekommen. Zeit ist ein wichtiger Faktor für den Synodalen Weg. Schon die Entstehungsgeschichte macht deutlich, dass ganz konkrete Fragen, Sorgen und Nöte dahinterstehen, die es nicht vertragen, auf die lange Bank geschoben zu werden. Die Zeit drängt.

Etwas an Tempo verloren

Doch diese sehr grundlegenden Fragen und Themen eignen sich nicht für schnelle Entscheidungen. Im Rahmen des Synodalen Wegs werden viele der Themen besprochen, die spätestens seit den 1970-er Jahren viele Katholikinnen und Katholiken zumindest in der westlichen Welt beschäftigen: von Sexualität bis zum Priestertum, vom Zugang der Frauen zu Weiheämtern bis zum Machtmissbrauch.

Schließlich hat auch die Pandemie dazu beigetragen, dass der mit viel Elan ursprünglich auf zwei Jahre angelegte Synodale Weg etwas an Tempo verloren hat. Die zweite von ursprünglich vier geplanten Vollversammlungen musste verschoben werden, als Ersatz haben sich die Synodalen in ihren Regionen getroffen. Gespräch und Austausch statt erster Lesung und konkreter Textarbeit. Im September sagten noch viele: gewonnene Zeit, die guttut. Anfang Februar 2021 wieder keine Vollversammlung, sie wird ersetzt durch ein neues digitales Format. Fest steht schon jetzt: aus den zwei Jahren des Synodalen Wegs werden auf jeden Fall drei. Fortsetzung folgt …

Gleichzeitig wächst auch in der katholischen Kirche die Erkenntnis: Synodalität ist ein Prozess, der auf Dauer angelegt ist. Wirklich zu Ende gedacht, hat er Auswirkungen auf beinahe alle Strukturen in der Kirche und auf die Ekklesiologie. So geht es einerseits darum, sichtbare, nachvollziehbare Ergebnisse zu bekommen, aus denen deutlich wird, es bewegt sich etwas. Andererseits wünschen sich viele der Beteiligten eine Verstetigung der synodalen Elemente, die der katholischen Kirche dauerhaft ein anderes Gesicht geben könnten – zumindest in Deutschland. Eigentlich jedoch ist katholische Kirche Weltkirche. Ob in Bolivien oder in Botswana, in Denver oder Deutschland: Katholisch ist katholisch. Da mag es selbstverständlich Unterschiede, regionale Besonderheiten geben, aber grundsätzlich gilt: Katholisch bleibt katholisch. Angesicht einer zunehmend globaler werdenden Welt ist das ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt: Zuhause – Gemeinschaft über alle Grenzen hinweg. Trotzdem sind die Themen, die Fragen und Probleme sehr unterschiedlich in den verschiedenen Regionen der Welt. Gehören in der westlichen Welt die Fragen nach der Rolle der Frau, nach dem Familienbild und schließlich auch der Sexualmoral zu den größten Diskussionspunkten, sind es in anderen Gegenden der Welt andere Themen, die im Zentrum stehen.

Fest steht: Viele Themen können nicht regional geklärt werden. Sie können diskutiert, es können Voten erstellt und abgestimmt und dann, im besten Fall, in Rom vorgetragen werden. Dabei schauen viele interessiert auf das, was in Deutschland geschieht. Wir haben ständige Gäste aus unseren Nachbarländern und aus der Ökumene. Gerade in Frankreich gibt es Überlegungen zu einem ähnlichen Prozess.

Fest steht aber auch: Der Synodale Weg kann sich auch für eine Stärkung der Ortskirche einsetzen – ganz im Sinne der Subsidiarität, die in der Soziallehre ein so entscheidender Baustein ist. „Einheit“, so formuliert es die Osnabrücker Dogmatikerin Margit Eckholt in ihrem Buch Frauen in der Kirche. Zwischen Entmächtigung und Ermächtigung (Würzburg 2020), „gestaltet sich in einer immer pluraleren Weltkirche aber nur auf dem Weg, der der missionarischen Situation in den ersten christlichen Jahrhunderten ähnlich ist, und dazu haben immer auch Regelungen und Entscheidungen gehört, die lokal getroffen und erprobt wurden.“ Entstanden als Antwort auf die Krise der Kirche nach der MHG-Studie zur sexualisierten Gewalt durch Kleriker an Kindern hat der Synodale Weg eine schwere Aufgabe. Die Forscher haben Felder benannt, bei denen sie eindeutigen Handlungsbedarf sehen: Es geht um den Umgang mit Macht, um die priesterliche Lebensform und die Sexualmoral. Unumgänglich erschien den Laiinnen und Laien außerdem eine Beschäftigung mit der Rolle der Frau, sodass am Ende vier Unterforen gebildet worden:

Ganz konkret geht es dabei um: Macht und Gewaltenteilung in der Kirche. Göttliche Autorität und menschliche Macht – das passt nicht immer zusammen. In diesem Forum geht es um die Frage nach Transparenz, einem Ende des Machtmissbrauchs, um Mitbestimmung bei der Besetzung von Leitungspositionen, um Finanzordnung und die Frage nach Gewaltenteilung.

Priesterliche Existenz heute. Der Klerikalismus steht immer wieder im Fokus der Auseinandersetzung. Es geht um das Selbstverständnis, um den kirchlichen Auftrag, aber auch um die Wahrnehmung des gesamten „Volkes“ Gottes. Und natürlich auch um den Zölibat.

Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche. Der Titel ist selbsterklärend. Im 21. Jahrhundert ist es nicht nachvollziehbar, dass Frauen immer noch der Zugang zu Ämtern und damit zu vielen Leitungsfunktionen in der katholischen Kirche verwehrt wird. Das Forum beschäftigt sich mit den Fragen, was sein soll(te) – doch auch mit dem, was eigentlich längst schon möglich wäre, aber nicht getan wird.

Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft. Bei diesem Thema geht es ans Eingemachte, ist doch die Erfahrung sexualisierter Gewalt und der Umgang damit zu einem der Prüfsteine der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche geworden. Zudem ist die traditionelle Sexualmoral in weiten Teilen des Volkes Gottes gar nicht mehr präsent – geschweige denn eine Leitschnur. Die Frage nach der Segnung von homosexuellen Lebenspartnerschaften beispielsweise könnte zu einem der Prüfsteine werden.

Es bleiben viele Fragen offen, die auch für die katholische Kirche sehr relevant sind. So wäre es sinnvoll, nach der Evangelisierung zu fragen: Wie kann der Glaube weitergegeben werden, wie kann man vom Glauben sprechen in der säkularisierten Gesellschaft, wie von Christsein in der pluralistischen Gesellschaft? Auch die Ökumene bleibt außen vor, damit auch der Dialog der Religionen. All das sind Punkte, die eine ausführliche Auseinandersetzung wert wären und vielleicht ein guter Grund dafür sind, dass Synodalität keinen Endpunkt haben sollte.

Innerhalb der katholischen Kirche hat der Synodale Weg viele Kritiker (und einige Kritikerinnen). Die aufgeworfenen Fragen können die Kirche durchaus vor eine Zerreißprobe stellen. Es gibt die Konservativen, die Bewahrer, und es gibt die Progressiven, die Reformer. Sie lernen, aufeinander zu hören, miteinander zu sprechen und vielleicht doch zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Wenn es denn sein muss, mit einer Minderheitenmeinung. Klar ist, dass die Ergebnisse des Synodalen Wegs am Ende keine Verbindlichkeit beanspruchen können, sondern dass es an den einzelnen verantwortlichen Ortsbischöfen liegt, die Punkte auch umzusetzen. Die einen wollen Veränderung, warten auf Erneuerung, doch die Geduld reicht nicht ewig. „Ihr macht uns die Kirche kaputt – doch wir lassen das nicht zu“, so heißt ein Buch des Moraltheologen Daniel Bogner. Wenn beide Seiten gemeinsam diesen Stoßseufzer teilen, dann kann das eine Grundlage sein. Gemeinsam Kirche sein in all der Breite, die das Volk Gottes hat.

Am Ende gilt das Prinzip Hoffnung. Mein Herz ist schwer, so hat es eine Synodale nach einer langen Debatte über den Stand des Synodalen Wegs ausgedrückt. Aber es bleibt die Hoffnung. Der Synodale Weg ist auch ein geistlicher Prozess. Es geht darum, Spuren von Gottes Wirken zu erahnen. Am Ende zu erleben: Und sie lässt sich doch bewegen. Die Kirche – und die Welt. 

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