Ein wichtiger Kontrapunkt

Warum es gut ist, dass wir am Sonntag der Corona-Toten gedenken
Foto: Rolf Zöllner

Zahlen bestimmen unser Leben, seit gut einem Jahr noch mehr als zuvor. Der tägliche Blick auf die Zahl der Neuinfizierten als morgendliches Update zum aktuellen Pandemiegeschehen. Dann die genauere Betrachtung der Inzidenzzahl, um abzuschätzen, wann welche Notbremse droht oder auch nicht. Und wer es genau wissen will, schaut noch auf die Zahl der belegten Intensivbetten in der Region – ist das Gesundheitssystem schon der Überlastung nahe? Und dann ist da noch eine andere tägliche Zahl, die der neu an oder mit (in der Regel an) Covid-19-Verstorben. Heute, am 14. April 2021, waren es 342. Seit Beginn der Pandemie hat das Virus etwa 80.000 Menschen in Deutschland getötet.

Wir reden über viele Dinge im Zusammenhang mit Corona, aber doch sehr selten über diese Zahl. Woran liegt das? Ausgerechnet dort, wo es wirklich um Leben und Tod geht, sinkt offenbar der Gesprächsbedarf. Dass der Tod kein öffentliches Thema mehr ist ja schon länger so. Gestorben wird im Krankenhaus oder Pflegeheim, Tote werden nicht mehr zu Haue aufgebahrt und der Gang zum Verstorbenen im offenen Sarg ist zur Ausnahme geworden. Ebenso die Trauerkleidung, die in der Regel möglichst bald nach der Beerdigung wieder dem gewohnten Look weicht. Mag sein, dass dafür die Generation gesorgt hat, die im Krieg viel zu viele Tote beklagen musste, die sich, ihre Kinder und Enkel lieber auf möglichst viel Vitalität und Lebensfreude ausrichten wollte. Sterben und Trauer wurden immer mehr ins Private gedrängt.

Die Pandemie hat diese Entwicklung auf die Spitze getrieben. Viele unter den 80.000 dürften alleine gestorben sein, weil Begleitung durch Angehörige in Pflegheimen und Krankenhäusern nicht möglich war. Auch die Beerdigungen fanden und finden gezwungenermaßen im kleinen Kreis statt – in aller Stille, auf Abstand.

Es ist gut, dass der kommende Sonntag nun einen Kontrapunkt setzt. Er ist dem Gedenken an die Corona-Toten gewidmet. Neben einem Festakt im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt und einem ökumenischen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wird in vielen (Kirchen-)Gemeinden in ganz unterschiedlichen Formaten der Toten und ihrer Angehörigen gedacht. Dass Kirche mit einem hohen Schatz an Trauerritualen und Literatur hier einen wertvollen Beitrag liefern kann, steht außer Frage. „Trauer ist nicht nur etwas für das stille Kämmerlein, sie braucht einen Resonanzraum, damit sie geteilt wird“, weiß Annette Kurschus, Präses der westfälischen Landeskirche und stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende. „Es bedarf der Rituale und Gesten, in die Menschen einschwingen können“, sagte sie am Dienstagabend auf einer Online-Veranstaltung, zu der Martin Dutzman, Bevollmächtigter des Rates bei der Bundesrepublik Deutschland, eingeladen hatte. Zu Gast war auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke), die das öffentliche Gedenken ausdrücklich begrüßte. „Es ist gut, dass wir in dieser aufgeregten Situation ein Zeichen setzen.“

Pau und Kurschus berichteten von ihren Erfahrungen mit Trauerfeiern und ihren Wirkungen. Die Politikerin erzählte von den Gedenken an die Opfer der Amokläufe in Schulen in Erfurt und Winnenden,  die Präses vor allem von der Trauerfeier für die Toten des Absturzes der Germanwings-Maschine im März 2015, bei dem 150 Menschen durch den erweiterten Suizid des Co-Piloten ums Leben kamen. „Trauer ist ein Gemisch an Gefühlen“, sagte Kurschus. Vermissen, Wut und die Frage nach der Schuld würden sich miteinander vermengen. „Im Vollzug haben wir gemerkt, wie heilsam ein solches gemeinsames Trauern sein kann.“ Pau pflichtete bei: „Man muss nichts neu erfinden, sondern der Trauer Raum geben.“

Keine Frage, der kommende Sonntag ist wichtig für ein Land in dieser Zeit, in der trotz täglicher Todeszahlen in den Nachrichten das Memento Mori kaum widerhallt. In dem die berechtigten Sorgen um unseren wirtschaftlichen und kulturellen Reichtum, um Freiheiten und nicht zuletzt um die eigene Gesundheit so wenig Raum für Trauer lassen. Aber der Gedenktag kann nur ein erstes Innehalten sein. Die Pandemie ist ja noch lange nicht vorbei. Die Zahl der Toten wird steigen und mit Ihr die Zahl der Trauernden. Wir werden noch mehr Menschen verlieren und es wird weitere Tage, Veranstaltungen und besondere Ort des Gedenkens geben müssen, an denen wir unsere Verluste beklagen können. Doch vielleicht werden wir auch nach und nach lernen, uns wieder neu zu verorten in einer Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Für Christen ist das eine heilige Gemeinschaft.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"