Eigenartige, vertrauensvolle Nähe

Wie überraschende Lektüre plötzlich die Gottesfrage stellt

„Ich möchte, Herr, wenn du erlaubst, lieber an deiner Barmherzigkeit nicht zweifeln.“ – „Du sprichst wie ein Pfaffe mit mir. Aber wahrlich ich sage dir: Die Zeit der Höflichkeitsfloskeln zwischen uns ist vorbei. Wir sind hier nicht im Konfirmandenunterricht.“ So unerbittlich sind die Sequenzen in dem 2017 erschienenen Roman von Sibylle  Knauss Der Gott der letzten Tage . Ein Pfarrer blickt auf dem Sterbebett auf sein Leben  zurück – in seinen Gedanken und im Gespräch mit Gott. Leidenschaftlich gern hat er seinen Beruf ausgeübt, und dies nicht nur deshalb, weil er das Grüßen und Gegrüßtwerden im Ort so sehr mochte.

Sein Rückblick ist mit Zweifeln und Selbstrechtfertigungen durchsät, ob er sein Leben gut gelebt hat: in seinen  Beziehungen zu Frauen, zu seinen Kindern, in seinem beruflichen Einsatz, im Glauben an Gott. Es ist anrührend und schmerzlich, wie er an seine eigene Kindheit zurückdenkt, in der ihm Gottesfurcht als höchste Tugend vorgelebt wurde. Wie er den konstanten Albtraum, zum Gottes-dienst zu spät zu kommen, noch einmal durchlebt. Oder wie der Satz „Du bist in Gottes Hand“, den er unzählige Male an anderen Krankenbetten gesprochen hat, ihm nun selbst keinerlei Geborgenheit vermittelt und ihn stattdessen quält, dass er sich, mit Schläuchen gespickt, im  Krankenhausbett nicht auf den Bauch drehen kann.

Erst kürzlich bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden, als ich es nach einem Vortrag bei Pfarrpersonen zum  Dank geschenkt bekam. Mich hat das Buch irritiert, weil Gott hier als einer spricht, der die Vorstellung des Menschen ständig durchkreuzt: Nein, so, wie der Pfarrer sich selbst vor Gott beschreibt, sei er ehrlich betrachtet wirklich nicht gewesen. Nein, für diesen geglückten Moment in seinem Leben stelle nicht der Pfarrer, sondern Gott die Ursache dar. Nein, die Ewigkeit entbehre all dessen, was er sich vorstelle.

Stetig hält Gott dagegen: „Theologie, das ist etwas für Anfänger.“ „Wie mich das langweilt, wenn ihr euch selber straft.“ „Es gibt keine Buchführung bei mir. Keine Bilanzierung von Glück und Leid.“ Gott mag die Psalmen, doch tadelt er sie wegen ihrer „Entgleisungen … Immer dann, wenn die Menschen mich auf ihre Seite ziehen wollen. Sollte ich nicht hassen, Herr, die dich hassen?“ Aber Gott zeigt auch seine Bedürftigkeit: „… auch ich brauche dich. Hast du das gewusst? Diese kleine Geschichte, die ich mit dir habe, … ist eine Liebesgeschichte. … Noch deine schlechtesten Predigten haben mich angerührt“.

Das Buch hallte noch lange in mir nach. Und zwar durch die Intimität und Unumwundenheit des Gespräches, das man belauscht. Gott rückte nicht nur dem Pfarrer, sondern auch mir auf die Pelle. Denn in der harten Auseinandersetzung, in der sich beide nichts ersparen, stellt sich eine konfrontative, eigenartig vertrauensvolle Nähe ein. Sie macht es nötig und möglich, auch mein eigenes Reden von und zu Gott zu hinterfragen. 

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