Fremd und doch nahegekommen

Dominik Weyl hat über die Theologie des jungen Bonhoeffer promoviert
Dominik Weyl
Foto: Dirk Zengel

In seiner systematisch-theologischen Doktorarbeit hat Dominik Weyl, 35, untersucht, was Dietrich  Bonhoeffer im Alter zwischen 19 und 23 Jahren geschrieben und gesagt hat. Dabei ist er auf Befremdendes gestoßen, hat aber auch festgestellt, dass schon früh der starke Zug ins Ethische angelegt war, der Bonhoeffers Person und Werk auszeichnet.

In Mainz studierte ich Germanistik, Theologie, Geschichte und Bildungswissenschaften, wobei mein Schwerpunkt rasch auf der Theologie lag, besonders auf der Systematischen Theologie. Nach dem ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien wurde ich nicht Studienreferendar, sondern wissenschaftlicher Assistent bei Professorin Christiane Tietz, zuerst noch in Mainz, dann in Zürich. Meine Promotion an der Universität Zürich ist gerade abgeschlossen, die Dissertation muss nur noch veröffentlicht werden. Im September beginne ich das Vikariat in meiner hessen-nassauischen Heimatkirche. Die Orientierung vom Lehr- aufs Pfarramt vollzog sich während der vergangenen Jahre prozesshaft, ist für mich aber jetzt umso klarer.

Mit Dietrich Bonhoeffer kam ich im Studium wenig in Berührung. Das änderte sich aber durch eine Anstellung als Hilfskraft von Christiane Tietz, durch die sich auch Kontakte in die internationale Bonhoeffer-Forschung und die deutschsprachige Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft ergeben haben.

Gegenüber einem Freiheitsbegriff, der allein menschliche Autonomie behauptet, war ich immer skeptisch. Da fand ich in Schöpfung und Fall, Bonhoeffers Auslegung von 1. Mose 1–3, eine andere Bestimmung: Freisein ist keine bloße menschliche Anlage. Menschen sind auch nicht allein frei von etwas, sondern für etwas, für Gott und die anderen. „Freiheit ist eine Beziehung.“ Darüber wollte ich mehr wissen. Zunehmend interessierte mich, wie Bonhoeffer das Verhältnis von Glauben und Gehorsam, von Gotteswille und Menschenwille beschreibt. Damit hat er sich seit seinem Studium auseinandergesetzt. Gegenüber der Nachfolge oder der Ethik beachtete die Forschung seine frühesten Texte nur wenig. Dabei spiegeln sie wichtige dogmatische und ethische Grundentscheidungen, die Bonhoeffers spätere Texte besser verständlich machen. Sie kulminieren in drei Vorträgen, die Bonhoeffer 1929 als Vikar in Barcelona gehalten hat. Damit war das Thema meiner Doktorarbeit gesetzt. Sie trägt den Titel: Menschenwille und Gotteswille. Beobachtungen zu Dietrich Bonhoeffers systematisch-theologischen Erkundungen. 1925 – 1929. Indem sich meine Dissertation vertieft mit den frühesten Texten Bonhoeffers auseinandersetzt, hilft sie meines Erachtens, Bonhoeffer insgesamt differenzierter und besser zu verstehen.

Zuerst untersuchte ich einige Studienarbeiten Bonhoeffers: Seminararbeiten und homiletische Entwürfe, die im Umfeld seiner Dissertation Sanctorum Communio entstanden waren. Auffallend schon darin: der starke Zug ins Ethische. Das mag mit seiner familiären Prägung zusammenhängen. Und theologisch wurde Bonhoeffer vor allem von zwei Berliner Professoren beeinflusst, deren Denken die „Sittlichkeit“ und die „Sozialität“ des Menschen in den Blick nahm. Und zwar aus voluntaristischer Perspektive, das heißt: Sie haben über das Verhältnis von Gotteswille und Menschenwille reflektiert. Das waren der Kirchenhistoriker Karl Holl, der Begründer der Lutherrenaissance, und der Systematiker Reinhold Seeberg, bei dem Bonhoeffer schließlich promovierte. Holl vermittelte Bonhoeffer Luthers Theologie. Eindrücklich wurde ihm die Aussage des Reformators, der Christ sei frei, „neue Dekaloge“ zu schaffen. So ist es kein Wunder, dass Bonhoeffer von Anfang an – und dann in seiner Dissertation explizit – eine Prinzipienethik ablehnt. Für ihn begegnet die Forderung des Gotteswillens im konkreten ethischen Anspruch des Mitmenschen. Aber nicht so, als entspräche jeder dieser Ansprüche eins zu eins dem Gotteswillen. Gott will, sagt Bonhoeffer, die Begegnung zwischen Menschen als ein „Füreinandersein“. Ob der Anspruch des anderen aber diesem Füreinandersein entspricht, muss je und je verantwortlich entschieden werden. Hier ist Bonhoeffer lange missverstanden worden.

Obwohl Bonhoeffer ethische Prinzipien ablehnt, nimmt er 1929 in Barcelona Zuflucht zur neulutherischen Vorstellung der Schöpfungsordnungen, zu denen auch das „Volk“ zählt. Diese theologische Kategorie war politisch längst von völkischen Implikationen durchsetzt. Bei Bonhoeffer gibt es eine nationalkonservative Tendenz, die aus damaliger Perspektive moderat und nicht ideologiegeleitet erscheint – aber meines Erachtens vor allem wenig reflektiert ist. Aus heutiger Perspektive bleibt uns Bonhoeffer hier fremd.

Aber wenig später begann Bonhoeffer, sich ökumenisch für die Völkerverständigung zu engagieren. Auch sprach er nicht mehr von Schöpfungsordnungen, sondern von Erhaltungsordnungen. Das ist ein stark relativierender Begriff und mag als eine Art Selbstkorrektur gesehen werden.

In Barcelona hatte sich Bonhoeffer auch zum Krieg geäußert. Er sagte: „Die Liebe zu meinem Volk wird den Mord, wird den Krieg heiligen.“ Über solche Sätze hat man in der Forschung allzu gern hinweggesehen. Bonhoeffer habe hier nicht seine „eigene Sprache“ gesprochen, hieß es. Ich meine doch. Er verwickelt sich dabei in Widersprüche, die bestimmte Grenzen seines damaligen theologischen und politischen Nachdenkens markieren. Zugleich hat dieses aber bereits das Potenzial, sich über diese Grenzen hinaus weiterzuentwickeln. Dazu bedurfte es auch äußerer Anstöße wie des „Fall Dehn“ um 1930 oder Bonhoeffers erster Amerika-Aufenthalt 1930/31. Für mein Verstehen Bonhoeffers und für meine Arbeit war sicher hilfreich, dass ich Bonhoeffer nie als den „evangelischen Heiligen“ gesehen hatte, zu dem man ihn in der Kirche und auch in der Forschung gemacht hat. Ich nehme ihn vielmehr als theologischen Gesprächspartner wahr, der mir in vielem theologisch nahekommt, aber in manchem auch fremd bleibt – und fremd bleiben darf. Und ich nehme seine theologische Entwicklung ernst, die nicht danach fragen muss, ab wann Bonhoeffer nun seine „eigene“ oder „eigentliche“ Sprache gesprochen hat. So ist mir auch bewusst geworden, dass Bonhoeffer von vielen Seiten vereinnahmt werden kann und wird. Das liegt auch daran, dass seine Gedanken manchmal unscharf und fragmentarisch sind. Sie sind nicht immer so klar, wie es die Postkarten-Zitate nahelegen (die mitunter nicht einmal von Bonhoeffer stammen). Dabei geht es mir nicht um eine Dekonstruktion Bonhoeffers (allenfalls des Denkmals), sondern um das Hinterfragen oder zuerst: das Bewusstmachen der Bonhoeffer-Bilder, die wir uns gemacht haben. Ich will aus „Bonhoeffer“ kein Prinzip machen. Eine australische Kollegin sagt das so: What would Bonhoeffer do?, is the wrong question, zu Deutsch: Die Frage, was Bonhoeffer tun würde, ist die falsche Frage. 

 

Aufgezeichnet von Jürgen Wandel
 

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Dominik Weyl

Dominik Weyl war Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Zürich. Im September beginnt er das Vikariat in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.


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