Engagiert

Zeitzeugenbericht aus Israel

Israel ist ein notwendiger Staat. Auch deutsche Juden sagen, sie könnten dorthin, käme etwa die AfD an die Macht. Und ein unwahrscheinlicher, den unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 reguläre Armeen von fünf arabischen Staaten angegriffen haben, was er wider Erwarten vieler überstand. Der erfahrene Kriegsberichterstatter Arthur Koestler, seit der Abrechnung mit dem Kommunismus im Roman Sonnenfinsternis international bekannt, war als Zeitungskorrespondent von Anfang Juni bis Oktober dort. Was er erlebt und beobachtet hatte, schrieb er danach erneut auf: eine Mischung aus Reportage und Tagebuchnotizen, Reflexionen und Eindrücken von Begegnungen, die mit dem Titel Nahaufnahme die Mitte seines dreiteiligen, 1949 bloß auf Englisch erschienenen Buches Promise and Fulfilment. Palestine 1917 – 1949  bildet.

71 Jahre später liegt dieser Teil nun gut eingeleitet und mit editorisch erhellendem Nachwort erstmals auf Deutsch vor – und zugleich die Frage nahe, ob das nötig oder gar Gewinn ist. Sie erübrigt sich, was den starken Autor angeht, der zuvor in Spanien nur knapp aus einer Todeszelle Francos entkommen war – so sehr er später auch mit Parapsychologischem irritierte. Er war dicht dran, er hatte viele Kontakte aus früheren Aufenthalten und war mit eigener zionistischer Prägung dem jungen Staat zudem ideell verbunden, was er mehrfach auch redlich zum Thema macht. So ist er in seinem Bericht parteilich, aber nie parteiisch. Hinzu kommt ein Hauch von Abenteuer und erster Reihe: Als Reporter schöpft er aus dem Vollen und setzt häufig mit gelungenen Sprachbildern Akzente, die nachwirken.

Die anregende, fesselnde Lektüre ist pure Vergegenwärtigung. Die Wendung „Mit dem Rücken zur Wand“ ist dabei ein wiederkehrendes Motto, das historisch und geografisch überaus zutreffend ist, und zugleich auch ein Versuch, den Sieg über die Übermacht zu verstehen oder zumindest zu deuten: „Die Juden hatten keine andere Wahl, als dort zu bleiben, wo sie waren, oder unterzugehen. Genau diese Erwägung bestimmte die Strategie des Krieges auf jüdischer Seite.“

Dass die deutsche Ausgabe die Wendung zum Titel nimmt, ist triftig. Koestler illustriert und dramatisiert sie mit markanten Nahaufnahmen wie der von zwei Männern, die den Angriff einer syrischen Panzerkolonne auf einen Kibbuz mit aus nur geringer Entfernung geworfenen Molotowflaschen stoppen konnten: „Eine davon warf Shalom Hochbaum aus Kattowitz, der zwei Jahre zuvor nach Degania gekommen war, nachdem er fünf Jahr in Konzentrations- und Flüchtlingslagern verbracht hatte. Die zweite hatte Yehuda Sprung aus Krakau geworfen, achtunddreißig Jahre alt, Frau und zwei Kinder, zwölf Jahre in Degania, davor Jurastudent an der Krakauer Universität. Keiner von beiden hatte jemals zuvor einen Panzer gesehen.“ Ihre unvermeidliche Furcht erwähnt er ebenfalls, aber nicht um Helden zu stilisieren, sondern um die Kriegssituation aus jüdischer Perspektive spürbar zu machen. Dazu gehört auch die Abfuhr, die er bekam, als er sich kritisch äußerte: „Im Kampf ums Überleben ist Objektivität ein Luxus und Distanziertheit ein Verbrechen“, notiert Koestler da ins Tagebuch zum eisigen Verhalten der Leute aus Ein HaShofet, die er immerhin so gut von früher kannte, dass ihr Kibbuz Modellpate für die fiktive Kollektivsiedlung in seinem Palästina-Roman Diebe in der Nacht gewesen war. Zu der aktuellen, unselig vergifteten postkolionalistischen Israel-Debatte trägt das Buch allenfalls den Hinweis bei, dass die grundsätzliche Problematik im zionistischen Diskurs lange bekannt war. Allein, so Koestler, es blieb keine Wahl. Dem engagierten Zeitzeugenbericht ist die zeitliche Distanz wenig anzumerken, und dank der nun rahmenden Texte ist die gelungene Edition eine Art Kondensat des Buches, dem er entnommen ist.

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