„Ein großes Fest, das Spaß macht“

Anne Polster beleuchtet den Konfirmationstag aus der Perspektive der Jugendlichen
Anne Polster
Foto: Andreas Müller

In das Zentrum ihrer praktisch-theologischen Doktorarbeit stellt Anne Polster, 38, das Ereignis der Konfirmation. Als Fazit schlägt die Pfarrerin der reformierten Kirchengemeinde Männedorf am Zürichsee eine Neuinterpretation vor.

Ohne die Konfi-Zeit und ohne einen engagierten Religionslehrer in der Oberstufe hätte ich, die ich klassisch volkskirchlich im Hamburger Umland sozialisiert worden bin, vermutlich nicht zum Theologiestudium gefunden. Studiert habe ich in Kiel, Prag, Leipzig, Bangalore (Indien) und Basel. Erste Erfahrungen mit dem Konfirmandenunterricht konnte ich in meinem Vikariat in der Württembergischen Landeskirche sammeln. Im Anschluss an das Vikariat wechselte ich als Studienassistentin in der Vikarsausbildung an das pädagogisch-theologische Zentrum in Stuttgart-Birkach. Dort hat sich mir immer stärker die Frage gestellt, wie das, was wir in den Vikarskursen als Theologie der Konfirmation referierten, mit dem zusammenpasst, wie die Konfirmandinnen und Konfirmanden das Geschehen des Konfirmationstages erleben. Trifft die Vermutung zu, dass das Passungsverhältnis praktisch-theologischer Theorie der Konfirmation, die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen und die kirchliche Praxis, dass dieses Dreieck nicht stimmig ist?

Mit einem Stipendium des Evangelischen Studienwerks Villigst habe ich in Kiel am Lehrstuhl für Praktische Theologie bei Professorin Uta Pohl-Patalong die Promotion aufgenommen. Es folgten die klassischen Schritte einer empirischen Forschungsarbeit: Schärfung der Forschungsfrage, das Finden einer geeigneten Methodologie und Erhebungsmethode, Datenerhebung, Datenauswertung und zum Abschluss wieder der Schritt in die Theorie. Bei der Datenerhebung wenige Tage nach der Konfirmation war es mir wichtig, nicht die zur Erzählung gewordenen Geschichten abzufragen, sondern möglichst nah an den Erlebnissen und Erfahrungen zu bleiben. Ziel der Forschung war es, die Perspektive der Jugendlichen als Hauptperson des Konfirmationstages zu rekonstruieren. Die Untersuchung zielt darauf, das Spektrum der Bedeutungsdimensionen der Konfirmation auszuloten, und fragt nach den Bedeutungskonstruktionen.

Ein typisches Motiv des Tages sind Geld und Geschenke. Das Vorurteil, dass sich Jugendliche nur deswegen konfirmieren lassen, hält sich leider hartnäckig. Doch Geschenke und Geld haben einen tiefen sozialen Sinn. Beispielsweise das Konfirmationsgeld hat für die Jugendlichen unter anderem die Bedeutung eines Zugangs zur Welt der Erwachsenen und eines Notgroschens. Dieses Potenzial verändert die Wirklichkeit. Es macht die Jugendlichen nicht erwachsen, aber es eröffnet ihnen einen Schritt auf dem langen, komplexen Weg des Erwachsenwerdens.

Die individuell-biografische Dimension der Konfirmation zeigt sich zum Beispiel bei der Wahl der Kleidung. Die Jugendlichen sind herausgefordert, sich der Frage nach der eigenen Identität zu stellen: Wer bin ich, als wen möchte ich mich darstellen? Schließlich ist Selbstpositionierung eine der Kernaufgaben des Jugendalters. Bei der Kleiderwahl ist auch zu beachten, dass sich die Jugendlichen innerhalb der Konfi-Gruppe positionieren. In den Diskussionen hat sich gezeigt, dass es für Jugendliche zwar wichtig ist, ihren eigenen Stil und damit ihre eigene Identität darzustellen, aber zugleich nicht aus der Gruppe zu fallen. Die Individualität und die Konformität in der Gruppe müssen miteinander ausgependelt werden. Auch eine klassische Entwicklungsaufgabe des Jugendalters.

In der Theologie der Konfirmation findet sich momentan ein Gegenüber zwischen theologischen und anthropologischen Faktoren. Das wird der Konfirmation nicht gerecht. Denn diese Faktoren sind miteinander verschränkt. Der Festcharakter der Konfirmation ist beispielsweise nicht einfach ein Motiv unter anderen, sondern die Grundlage dafür, dass der Konfirmationstag eine emtionale, individuell-biografische, soziale und religiöse Bedeutung entfalten kann. Auch die Relevanz, die die Konfirmation für die Jugendlichen erlangt, steht in Wechselwirkung mit dem Festcharakter. Dadurch, dass ein großes Fest gefeiert wird, markiert sie einen wichtigen Punkt in der Biografie. Das kirchliche Fest bietet den Anlass für eine familiäre Zusammenkunft, die über die üblichen innerfamiliären Zusammenkünfte im Jahreslauf hinausgeht Umgekehrt steht das kirchliche Fest in Wechselwirkung zum familiären. Denn die Kirche ist an dem Tag vor allem durch die Familien gefüllt, und über die gut gefüllte Kirche erhält die Konfirmation für die Jugendlichen eine Bedeutung. Das heißt aber auch, dass Traditionsabbrüche sichtbar werden, wenn die Konfirmation zum Beispiel im Familiensystem an Relevanz einbüßt. Da, wo Familiensysteme kleiner werden, wo eine erweiterte Verwandtschaft fehlt, gibt es keine Notwendigkeit mehr, Einladungen zu verschicken oder Dankkarten. Kirchlicherseits gibt es Handlungsspielräume für die Vorbereitung der Konfirmation. Wenn wir uns nicht einfach damit zufriedengeben wollen, dass Traditionen abbrechen, ist hier ein sinnvoller Ansatzpunkt. Die Kirche kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass der Konfirmationstag zu einem Festtag wird. Und natürlich ist an dieser Stelle das Zusammenspiel von Kirche und Familie sehr wichtig. Denn das, was die Konfirmation ausmacht, entsteht nur im Miteinander von Kirche und Familie. Beide sind aufeinander angewiesen.

Auf der Grundlage der Ergebnisse meiner empirischen Untersuchung schlage ich als Neuansatz die Deutung der Konfirmation als Empowerment vor. Mit dem Konzept des Empowerment lässt sich angesichts sich wandelnder religöser Biografien das Moment des Suchens aufnehmen und verstärken. Das heißt, es geht in der Konfirmation weniger darum, zu einem eigenen festen Bekenntnis zu kommen, sondern die Jugendlichen zu befähigen, ihren Weg suchend weiterzugehen. Die Konfirmation ist ein Schritt auf diesem Weg, aber nicht der letzte.

Vor wenigen Wochen haben meine Konfirmandinnen und Konfirmanden Konfirmation gefeiert. Mir war es wichtig, meinen Beitrag für eine Atmosphäre des Festes zu schaffen. Das Resümee einiger Konfirmanden, die ich für meine Doktorarbeit befragt habe, war: „Die Konfirmation ist ein großes Fest, das Spaß macht.“ Hoffentlich haben meine Konfirmanden das auch so erlebt. 

 

Aufgezeichnet von Kathrin Jütte
 

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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