Mehr Raumpflege, bitte!

Warum unsere Kirchengebäude gerade jetzt Aufmerksamkeit verdienen
Foto: Christian Lademann

„Endlich raus aus den engen Kirchenräumen, hinaus ins Weite!“ Das höre ich in letzter Zeit häufiger von kirchlich Aktiven, die enthusiastisch ihre Erfahrungen seit Beginn der Pandemie beschreiben. Die notwendigen Hygienemaßnahmen führen dazu, dass Kirche plötzlich an ungeahnten Orten aufscheint: auf Waldlichtungen, Marktplätzen, Straßenkreuzungen, in Gärten... All das ist eine neu entdeckte Fluidität kirchlicher Formen und Orte, die zu Recht von Vielen als eine Bewegung hin zu einer zukunftsfähigen Kirche gesehen und gefeiert wird.

Dennoch beschäftigen mich solche Ausrufe, welche die neu entdeckte Freiheit mit dem Verlassen der kirchlichen Gebäude assoziieren. Haben unsere Kirchenräume es eigentlich verdient, für solche Freiheitsparolen herzuhalten? Ein solches Narrativ, das den Kirchenraum zum Symbol für die Enge wenig innovationsfreudiger Kirchlichkeit und den Muff von 1000 Jahren macht, wird unseren Kirchen nicht gerecht. Diese Räume waren vor allem in den letzten Monaten weitaus mehr als das. Als öffentliche Zeichen der Transzendenz ragen sie auf in den Dörfern und Städten und erzählen von der Wirklichkeit Gottes, auch als es eine Zeit lang still blieb auf den Kanzeln. Sie entfalten ihre Kraft als Orte individueller Religiösität, sind offen für Menschen, die darin Ruhe und Weite finden, vor allem als diese Räume endlich mal nicht dauernd mit pastoralen Worten gefüllt waren. Duldsam ertragen es unsere Kirchenräume, dass wir mit Desinfektionsmittelspendern und Verbotsschildern die ganze Fragilität unserer aktuellen Lebenswelt in sie hineingeräumt haben. Sie sind großzügige Gastgeber für Uni-Seminare, Testzentren und Versammlungen. Als historische Gebäude künden sie von einer Beständigkeit, die Balsam ist für all diejenigen, die gegenwärtig mit den Fragen nach der Zukunft der Kirche beschäftigt sind. All das und noch viel mehr leisten unsere Kirchengebäude. Sie sind alles andere als das Symbol der Enge und des ewig Gestrigen.

Schmerzhafte Abschiede

Mich treibt diese Frage nach der Sensibilität für die Relevanz von Kirchenräumen vor allem deshalb um, weil die kirchlichen Gebäude uns in naher Zukunft noch intensiver beschäftigen werden, als dies ohnehin jetzt schon der Fall ist. Die zu erwartende Finanzentwicklung macht es notwendig, dass der kirchliche Gebäudebestand massiv reduziert wird. Eine ganze Reihe Räume werden auf dem Prüfstand stehen und es werden schmerzhafte Abschiede zu gestalten sein. Diese Aufgabe ist nicht allein mit dem Taschenrechner in der Hand zu bewältigen, sondern es braucht eine kollektive Beschäftigung mit den besonderen Qualitäten von Kirchenräumen. Die Frage, welche Gebäude an welchen Orten wir brauchen und welche Nutzungen diese Räume ermöglichen sollen, ist letztlich nichts geringeres alles die grundlegende Fragestellung, wie wir uns zukünftig kirchliches Leben vorstellen.

Im Grunde ist es im Hinblick auf diese Mammutaufgabe nahezu fahrlässig, dass die EKD-Synode beschlossen hat, das Institut für Kirchenbau und Gegenwartskunst in Marburg nicht weiter zu finanzieren. Dieses Institut ist das einzige seiner Art, in dem die mannigfaltigen Fragen rund um einen zeitgemäßen evangelischen Kirchenbau bedacht und zahlreiche Räume für Diskurse rund um diese Themen geschaffen werden. In Kürze wird es dieses Institut nicht mehr geben und das in einer Zeit, in der die Fragen nach dem Umgang mit kirchlichen Gebäuden virulenter wird als jemals zuvor. Die EKD hat sich gegen die Fortführung dieser Arbeit entschieden. Nicht verschwunden ist hingegen die dringliche Aufgabe, Strategien für den Umgang mit dem kirchlichen Baubestand zu entwickeln, die nicht allein wirtschaftlich, sondern kirchentheoretisch plausibel und von vitalen Visionen und Kirchenbildern begleitet sind. Wenn diese Diskurse aus Marburg verschwinden, müssen sie an anderen Orten geführt werden. Ich bin gespannt, ob die EKD dafür schon Vorschläge hat. 

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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