Dilettantische Juristen

Bremens Landgericht und das Religionsrecht

Nicht wenige mögen froh gewesen sein, dass sie länger nichts Neues mehr vom „Fall Latzel“ hören mussten. Dem Fall jenes ultrakonservativen Bremer Pfarrers, der vor knapp einem Jahr in erster Instanz wegen Volksverhetzung zu 8.100 Euro Geldstrafe verurteilt wurde und der gegen das Urteil Berufung einlegte, weswegen es noch nicht rechtskräftig ist. Die Causa war und ist für das Image aller Pfarrerinnen und Pfarrer in  Deutschland sehr ärgerlich, ja rufschädigend. Kürzlich forderte in zeitzeichen der Autor Markus Beile sogar ausgehend von diesem Fall, dass der Verkündigung in den EKD-Landeskirchen engere Fesseln anzulegen seien.

Die Verhandlung vor der zweiten Instanz, dem Bremer Landgericht, wird erst irgendwann im nächsten Jahr stattfinden. Aber schon in den vergangenen Wochen ist es dem Gericht, das schon wie auch die Staatsanwaltschaft beim Verfahren im vergangenen Jahr nicht den sattelfestesten Eindruck machte, gelungen, einen ziemlichen Bock zu schießen: Allen Ernstes gab es ein theologisches (!) Gutachten in Auftrag, in dem geklärt werden sollte, ob die öffentlichen Beschimpfungen homosexueller Menschen jenes Pfarrers von der Bibel gedeckt seien.

Nun kann man Verständnis dafür haben, dass im weltlichen Justizsystem keine große Bibelkenntnis vorhanden ist, gefragt ist ja auch eher Kenntnis der Gesetze und des Rechtswesens. Aber selbst wenn dem Gericht die Materie fremd gewesen ist, hätte eine Google-Recherche von wenigen Minuten gereicht, um herauszufinden, dass keinem theologischen Gutachter in diesem Fall eine sinnvolle Frage hätte gestellt werden können, denn jeder Mensch kann theologisch denken und glauben, was er will. Und ob das richtig oder falsch ist, kann ein staatliches Gericht nicht entscheiden, schließlich spielt unser Fall im Geltungsbereich des Grundgesetzes und nicht im neu entstehenden Taliban-Emirat Afghanistan. Dass dann auch noch ein äußerst konservativer Theologe, der gelebte Homosexualität für Sünde hält, als Gutachter bestellt wurde, ist in der ganzen Sache nur noch ein Treppenwitz.

Ein Menetekel

Nun hat die Staatsanwaltschaft Bremen  den Gutachterabgelehnt, auch aufgrund zahlreicher qualifizierter Proteste. Dem wird wahrscheinlich auch das Gericht folgen, die Entscheidung steht noch aus. Hoffentlich ist in der Bremer Justiz nun auch aktenkundig, dass es vor weltlichen Gerichten nicht sinnvoll ist, in Sachen Volksverhetzung theologische Gutachten zurate zu ziehen.

Gerne würde man den Vorfall als Posse abtun, aber leider taugt er eher als Menetekel dafür, dass totale Entkirchlichung und damit auch die fehlende Kenntnis von und das rechte Gefühl für das kunstvolle und kluge Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes zum Elitephänomen geworden ist. Und scheinbar wächst in unserem Land eine Generation von Juristinnen und Juristen heran, die religionsrechtlich so blank ist, dass sie den kategorialen Unterschied zwischen einem bautechnischen und einem theologischen Gutachten nicht mehr erkennen kann. Traurig, aber wahr.

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