War Luther Flexitarier?

Ein Beitrag zwischen Ökumenischer Schöpfungszeit und Reformationstag im Kirchenjahr
Glasfenster Luther-Portrait
Foto: Dieter Schütz / pixelio.de

Martin Luther sprach vom Fleisch als „unniedlicher“ und „unlieblicher“ Speise, auch wenn es „unsere größte Lust“ geworden sei. Wie würde er sich heute im heiß diskutierten Feld der Ernährungsgewohnheiten positionieren? Darüber macht sich Constantin Gröhn, theologischer Referent für Diakonie und Bildung in Hamburg, mit Blick auf den Reformationstag seine Gedanken. 

Was Fleischkonsum und Reformation angeht, ist mir aus dem Theologiestudium das Züricher Wurstessen in Erinnerung geblieben. Am ersten Fastensonntag 1522 schnitt eine Gruppe um den Buchdrucker Christopher Froschauer öffentlich zwei Würste klein, um die Scheibchen demonstrativ zu verzehren. Was heute so einfach und banal wirkt, war ein provokanter Verstoß gegen das geltende Abstinenzgebot, auf Fleisch in der Fastenzeit zu verzichten. In meinem sonst nur spärlich bebilderten Lehrbuch zur Kirchengeschichte wurde die „Demonstration evangelischer Freiheit“ mit einer eindrücklichen Zeichnung illustriert, auf der viele offene Münder und Würste zu sehen waren – vielleicht, um es anschaulich zu machen, vielleicht aber auch, weil sich so die eigene Esskultur in die historische Betrachtung schleichen konnte. Manche Historiker behaupten, das Wurstessen hätte für die Reformation in der Schweiz eine ähnlich hohe Bedeutung wie der Wittenberger Thesenanschlag für die Reformation in Deutschland gehabt.

Was jedenfalls das Wurstessen an sich angeht, stehen wir als Deutsche den Schweizern in nichts nach – über alle Konfessionsgrenzen hinweg. Besonders seit der Nachkriegszeit wurde im Bewusstsein, es zu dürfen und zu können, sehr viel Fleisch gegessen. Und aus dem öffentlichen Abstinenzgebot wurde dabei eine Kultur des öffentlichen Anreizes. Nach einer Studie von 2021 fließen direkt und indirekt jährlich 13,2 Milliarden Euro an öffentlichen Steuergeldern in die deutsche Tierindustrie. Davon gehen nach Angaben vom BUND Subventionen in Millionenhöhe an Schlachtfirmen wie Tönnies. Damit ist das „Fastenbrechen“ so sehr zum Alltag und zum Zeichen individueller Freiheit stilisiert worden, dass mit Blick auf die „Fridays for future“-Bewegung Parteivize Wolfgang Kubicki auf dem FDP-Parteitag 2019 kundtun konnte: „Ich will den Schülerinnen und Schülern nur sagen: Weder der Staat noch meine Frau werden mir jemals verbieten, dass ich ein Steak esse.“ Auf Luther selbst lassen sich diese Konsumgewohnheiten, sofern man das Töten und Essen von Tieren überhaupt als Konsumgewohnheiten bezeichnen mag, aber nicht zurückführen (und auch wenn ich ihn mir immer als feisten und leidenschaftlichen Wurstesser vorgestellt habe). 

Fleischverzicht zur Fastenzeit?

Vielmehr wäre Luther nach heutigen Maßstäben wohl Flexitarier gewesen. Er lehnt das übermäßige Essen von Fleisch ab, möchte die Umwelt schützen, seine Gesundheit fördern und will trotzdem nicht ganz auf Fleisch verzichten. In seiner Auslegung zum ersten Buch Mose schreibt Luther: „Wir sehen aber hier, was er [Gott] uns für Speise schafft, nämlich Kräuter und Gewächse der Bäume. Darum glaube ich, dass unsere Leiber viel gesünder und stärker gewesen wären, wenn dieser Gebrauch von allerlei Speise, sonderlich aber das Fleischessen nach der Sintflut nicht aufgekommen wäre.“[1] An anderer Stelle spricht er vom Fleisch als „unniedlicher“ und „unlieblicher“ Speise, auch wenn es „unsere größte Lust“ geworden sei. Und Luther glaubt, dass mehr „Früchte“ nicht zu so einer „aussätzigen und überflüssigen Feistigkeit“, sondern „zur Schönheit des Leibes, zu reinem gesunden Umlauf des Blutes“ gedeihen ließen.[2]

So frage ich mich, ob nicht auch wir etwas „lieblicher“ und „niedlicher“ werden würden, wenn wir zumindest zu bestimmten Zeiten wieder auf Fleisch verzichten würden statt auf die nicht nur teils ungesunden, sondern auch leidvollen Zeichen individueller Freiheit zu pochen? Und könnte vielleicht eine Rückbesinnung auf Luther sogar dazu führen, dass die evangelischen Fastenaktionen nach vielen Jahren allermöglichen anderen Motti wieder einen Verzicht auf Fleisch anregen? Ich jedenfalls werde mir dies wünschen zum diesjährigen Reformationstag am 31. Oktober.    

 

[1] D. Martins gründliche und erbauliche Auslegung des ersten Buchs Mosis, in: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch, Bd. 1, 1986, Sp.44.

[2] Vgl. ebd., Sp. 88.

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Foto: Asmus Henkel

Constantin Gröhn

Constantin Gröhn (geboren 1976) ist theologischer Referent für Diakonie und Bildung in Hamburg. Er versucht dem Motto Ludwig Feuerbachs „Du bist, was Du isst“, immer mal wieder auf die Spur zu kommen.


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