Mauergeschichte

Huizings kleine Medienkunde
Foto: Privat

Es war erst 5.55 Uhr. Aber der Tag fuhr bereits gegen die Wand. Die Sonne verjagte die Nacht, knallte dann gegen ein Wolkengebirge. Totalschaden. Es würde ein schwülheißer Tag werden unter geschlossener Wolkendecke. Eine Spottdrossel machte sich hyperaktiv bemerkbar. Und das Internet war tot. Plötzlich und unerwartet. Ärger kletterte an der Wirbelsäule hoch. Ich schüttelte, als er oben angekommen war, mehrfach den Kopf, um ihn hinauszuschmeißen. Die Bewegungen verstärkten nur den Ärger, der jetzt in Wut umzukippen drohte. Ich versuchte über mein Handy Zugang zum Internet zu bekommen. Aber das Netz war, wie beinahe immer, zu schwach. Aus dem Handbuch für Dummköpfe erinnerte ich eine Regel, stürmte ins Schlafzimmer und zog den Stecker, zählte bis dreißig, steckte ihn wieder in die Dose und starrte auf die Lichtorgel meiner Fritz!Box. Sie entschied sich für rot. Meine Gesichtsfarbe passte sich der Farbe Rot sofort an. Ich wiederholte den Vorgang – zweite Regel aus dem Handbuch für Dummköpfe. Wie befürchtet: Wieder nichts.

 

Ich musste dringend einen Text in Druck geben, der Herausgeber des Bandes hatte mächtig Druck gemacht. Ich war im Wort. Heute. Nicht morgen. Nicht übermorgen. Nein! Heute!

Letzte Regel des Handbuchs. Ich nahm mein Handy, stellte mich vor ein großes Fenster und wählte die Nummer der Telekom. Ich beruhigte mich und machte mir selbst Mut. Ich war früh dran. Die Warteschleife dürfte nicht unendlich sein. Und in der Tat. Bereits nach sieben Minuten hatte ich einen trainiert freundlichen Menschen in der Leitung. Er hörte sich routiniert mein Leid an, versprach Linderung, indem er mich an eine Fachkraft weitervermittelte. Diese Fachkraft war offenbar ausgebildete Technikhistorikerin, nannte meine Fritz!Box vorsintflutlich. Was ich innerlich abstritt. Und irgendwie, ich wollte keine Details wissen, hatte sie Zugriff auf einige meiner Leitungen und Boxen. Ihre Macht reiche nicht, um von Ferne den Schaden zu beheben. Es müsse ein Techniker mich aufsuchen. Und weil ich so früh sei, könne bereits gegen 15 Uhr Rettung nahen. Meine Stimme suchte Wörter der Dankbarkeit. Aus dem Pool der Angebote wählte ich eine prächtige Kombination aus. Die Historikerin war mit mir sehr zufrieden. Jetzt musste ich meinen Arbeitsrhythmus umstellen. Bis fünfzehn Uhr. Ich versuchte mit mir bis dahin auszukommen.

Pünktlich! Er sah aus wie ein Hungerkünstler, hatte aber mächtig viel Wissen gespeichert und sprach sehr langsam, wenn er mit mir redete und mein Augen auf Verständnis hin abtastete. Mein Telekom-Engel. Farbe: Magenta – nicht gelb! Er kam nicht allein, sondern mit zwei Paketen. Wie Weihnachten im Spätsommer. Eine nagelneue, re-designte Fritz!Box. Und einer dieser grauen Kästen, die den Strom irgendwie transfigurieren. Und er hatte noch zwei Verstärker für optimalen Empfang im Haus im Angebot. Er bot sich sogar an, die alten Schrauben aus der Wand zu drehen. Vielwortig brachte ich ihn von diesem Service ab, bedankte mich überschwänglich. Ich musste ihn sogar nachdrücklich überreden, Trinkgeld anzunehmen und versprach, ihn für seinen überirdischen Service im Internet mit Höchstnoten zu bewerten.

Ich warf noch einen schnellen Blick auf die Wand. Jede Schraube konnte eine ganz individuelle Anekdote meiner leidvollen Mediengeschichte erzählen. Dann eilte ich zurück an den Schreibtisch. Es war jetzt 16.35 Uhr. Satt viel Zeit, um den Artikel pünktlich abzuschicken. Nur die Sonne hatte sich nicht erholt. Schwitzend unter der geschlossenen Wolkenglocke hackte ich in die Tasten.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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