Notwendige Demarkationslinien

Warum man bei der Auseinandersetzung mit rechten Christen genau hinsehen muss
Martin Fritz
Foto:EZW

In der Auseinandersetzung mit rechten Strömungen im Christentum dürfen berechtigte moralische Intentionen und Bedenken nicht von vorherein die Resultate bestimmen, meint Martin Fritz, der sich in zeitzeichen 11/2021 falsch wiedergegeben sieht und auf Differenzierung pocht.

Im Novemberheft der Zeitzeichen geht Hans-Ulrich Probst, Wissenschaftlicher Assistent an einem der Lehrstühle für Praktische Theologie in Tübingen, in seinem Artikel über die christliche Rechte in Deutschland („Jenseits des Normalkonservativen“) auch ausführlich auf meinen Beitrag im Buch „Christentum von rechts. Theologische Erkundungen und Kritik“ (Tübingen 2021) ein. Dabei gibt er meine Position grob verkürzt und verzerrt wieder. Weil es sich bei dem fraglichen Thema bekanntermaßen um ein überaus heikles Feld der politisch-theologischen Auseinandersetzung handelt, ist das keine Lappalie.

Probst schreibt mir die Ansicht zu, die „rechten“ unterschieden sich von „konservativen“ Christen nur durch ihre „kriegerische und populistische Rhetorik“, also lediglich in der äußeren Form; „substanziell-inhaltlich seien dagegen rechte Positionen nicht von einem christlichen ‚Normalkonservatismus‘ zu unterscheiden“. Es folgen suggestive rhetorische Fragen: „Ist also die politische Theologie von rechts nicht weiter gefährlich, wenn sie erst einmal enttarnt ist? Alles also eigentlich substanziell konservative Positionen, die sich nur in der Rhetorik zugespitzt haben?“ Und später noch einmal: „‚Normalkonservative‘ Positionen, die nur in einer polemischen Rhetorik daherkommen?“

„In den Mund gelegt“

In der Tat, eine derartige Entdämonisierung der rechten Christen wäre eine Verharmlosung. Aber um mir solches unterzuschieben, unterschlägt Probst die zweite Hälfte meiner Analyse. Darin wird ausdrücklich ausgeschlossen, was er mir in den Mund legt. Es wird dargelegt, warum das „Christentum von rechts“ auch inhaltlich „jenseits des Normalkonservativen“ steht: „Es wäre zu kurz gegriffen, würde man die Charakteristik des Rechtschristentums auf die angeführten äußerlichen Bestimmungen – Konservativismus plus Kulturkampfbewusstsein und populistische Mittel – beschränken. Vielmehr scheint die fragliche Kampfstellung […] auf die ursprünglich konservativen Anliegen substanziell zurückzuwirken. Die populistische Verschärfung bleibt der propagierten Gestalt von Christentum nicht äußerlich“ (56). Trotz aller thematischen Überschneidungen entstehe daher bei der Lektüre einschlägiger Texte „umgehend der Eindruck, das Terrain eines protestantischen oder katholischen ‚Normalkonservativismus‘ verlassen und eine geistige Sphäre eigener Prägung betreten zu haben“ (53f).

Nicht eine akzidentelle, sondern eine substanzielle „Deformation“ (56) und „Radikalisierung“ (60) ursprünglich konservativer theologischer Motive wird von mir konstatiert und anschließend nach ihren verschiedenen Momenten ausbuchstabiert. Dabei wird auch hinreichend auf die Gefahren einer solchen Verschärfung aufmerksam gemacht.

Hinter der Probst’schen Fehldarstellung steht ein sachlicher Grunddissens in der Auffassung neurechten Christentums. Das Interesse an unmissverständlicher Abgrenzung und Missbilligung neigt dazu, es von allen akzeptablen, insbesondere von den in mancher Hinsicht angrenzenden konservativen Formen von Christentum als etwas ganz Anderes zu unterscheiden – es neigt zu einer Verhältnisbestimmung absoluter Differenz. Meine Behauptung von Differenz und Kontinuität zwischen konservativem und rechtem Christentum ist demgegenüber nicht nur schwerer zu fassen, sondern droht für manchen auch die notwendige Demarkationslinie zwischen den fraglichen Größen zu verwischen. Sie droht damit den neurechten Ideologen auf den Leim zu gehen, die ihre Ideologie mit „konservativer Semantik“ im „bürgerlich-konservativen Milieu“ (Probst) annehmbar machen wollen.

„Die Übergänge sind fließend“

Darauf ist zu entgegnen: Auch berechtigte moralische Intentionen und Bedenken sollten nicht vorab die analytischen Resultate bestimmen. Und die Übergänge zwischen politisch-ideologischen Formationen verlaufen nun einmal in aller Regel nicht sprunghaft, sondern fließend. Daher ist die analytische Begriffsbildung umso überzeugender, je besser es ihr gelingt, bei allen notwendigen Grenzziehungen zugleich auch die Übergangszonen abzubilden. Einen Vorschlag zu einer solchen Beschreibung habe ich mit der Formel vom „Konservativismus in (substanzieller!) populistischer Verschärfung“ vorgelegt. Mag demnach auch im Grenzbereich gerade nicht leicht zu entscheiden sein, welcher Grad an rhetorischer und inhaltlicher Zuspitzung noch der Sphäre „konservativer“ Nüchternheit und Problemlösungsorientierung zugerechnet werden kann und mit welchem Übermaß endgültig die Grenze zu „neurechter“ Skandalisierungsdynamik überschritten ist ­– dass jenseits des Grenzstreifens jeweils wesenhaft verschiedene und obendrein antagonistische Einstellungen anzutreffen sind, bleibt davon unbenommen.

Man kann das anders einschätzen, kann natürlich anderen Denkmodellen den Vorzug geben und kann an dem von mir vorgeschlagenen selbstverständlich Kritik üben. Aber man sollte sich, gerade in diesem verminten Gelände, zur Sachlichkeit im Umgang mit abweichenden Standpunkten ermahnen. Die benannte Unterschlagung von Probst ist keine unbedenkliche Vereinfachung, sondern eine erhebliche Verzeichnung meiner Darstellung. Angesichts des hochsensiblen Themas ist sie mindestens fahrlässig. Vermutlich ist sie im besten Selbstgefühl des Streits gegen die „Gefahr von rechts“ erfolgt. Aber dieser Streit sollte nicht auf Kosten von Redlichkeit und Nuanciertheit geführt werden – schon gar nicht unter denen, die sich um den zu Recht geforderten „deutlichen theologischen Widerspruch“ (Probst) gegen die rechtspopulistischen Verzerrungen des Christentums bemühen.

 

Eine wesentlich ausführlichere Fassung der Untersuchung „Im Bann der Dekadenz. Theologische Grundmotive der christlichen Rechten in Deutschland“ von Martin Fritz  erscheint im Dezember in der Reihe EZW-Texte bei der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (www.ezw-berlin.de).

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Martin Fritz

Dr. Martin Fritz ist Wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin und Privatdozent für Systematische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau.


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