Jenseits von Eden und
Blühwiesenromantik (I)

Über Fehlschlüsse zeitgenössischen Ökoglaubens und die Freude weihnachtlicher Schöpfungstheologie
Bergisches Land
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Aussicht an einem nebligen Morgen, Odental, Bergisches Land, Deutschland (27.11.2021).

Im zweiten Corona-Winter wird immer deutlicher, dass die herkömmliche romantisierende Öko-Schöpfungstheologie nichts taugt, meint der Bochumer Systematische Theologe Günter Thomas. In drei Teilen entfaltet er auf zeitzeichen.net seine Überlegungen und plädiert für einen neuen schöpfungstheologischen Realismus. Hier der erste Teil.

Mit Weihnachten gibt es dieses Jahr einige zusätzliche Probleme. Unter dem Diktat des Coronavirus will nur schwer eine Weihnachtsfreude aufkommen. Auch die spirituellen Routinen können eine gewisse Betretenheit nicht verdecken. Jede neue Mutante trifft auf zunehmend erschöpfte und gereizte Menschen – außerhalb und innerhalb der Kirche, unter den einfachen Christenmenschen wie auch unter den Geistlichen.

Wohin kann sich der Blick wenden, damit auch nur eine Ahnung der Weihnachtsfreude aufkommen kann? Die These der folgenden Überlegungen ist eine einfache: Im zweiten Corona-Winter leuchtet die weihnachtliche Schöpfungstheologie. Von Seiten des reformatorischen Liederdichters Nikolaus Herman gibt es dazu einen Vorschlag: „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis; der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob Ehr und Preis, Gott sei Lob Ehr und Preis.“ (EG 27,6).

Was das Aufschließen einer Tür angeht, hat Nikolaus Herman recht. Aber er hat sich in der Tür vertan. Die Tür zum Paradies bleibt verschlossen. Und das ist gut so. Das Paradiesexperiment Gottes ging schief und wird nicht wiederholt. Aufgeschlossen wird eine andere Tür. Das Paradies würde zu wenig bieten im Vergleich zum weihnachtlichen Versprechen für diese Schöpfung. Wir feiern an Weihnachten Gottes Gang in eine bis tief in die naturalen Seiten der Schöpfung gewaltdurchsetzte Welt. Mit dem verletzlichen Kind in der Krippe lebt Gott ein Versprechen: Die Tür zu einer das Paradies überbietenden Neuschöpfung von Himmel und Erde wird weit aufgestoßen.

Verbaut durch Paradiesträume

Das Problem hier und heute ist nur: Der Weg zu der weihnachtlichen Schöpfungstheologie ist theologisch verbaut. Er ist verbaut durch Paradiesträume und Blühwiesenromantik, durch einen pathetischen Gestus des Bewahrens und das Übersehen eines ganz einfachen Sachverhaltes. Jede neue Mutation des Coronavirus macht etwas sichtbar, was die auf eine Bewahrung der Schöpfung abstellende kirchliche Rede von Natur weitestgehend leugnet: Menschen sind nicht nur leibliche Wesen, sondern durch die Natur gefährdet. Wir sind – ökotheologisch gewendet – gefährdete Gefährder.

Rund um den Globus ringen Menschen auf der biologischen Ebene mit einem in der Alltagswahrnehmung so unsichtbaren wie zugleich zerstörerischen Feind. Wir sind ganz offensichtlich Getriebene. Die Treiber sind gegenwärtig die ganz und gar ‚natürlichen‘ Viren und ihre Mutationen. Die Natur erweist sich als der Booster für die unzähligen psychischen, sozialen, ökonomischen und politischen Probleme. Die Bedrohung des Menschen in der Natur und durch die Natur steht nun schon fast zwei Jahre machtvoll im Raum – auch im Raum der Kirche.

Kann die Theologie und können die Kirchen mit all ihren Umweltbeauftragten diese so universale wie elementare Erfahrung der Bedrohung schöpfungstheologisch und dann auch spirituell aufnehmen und verarbeiten? Meine Befürchtung ist: Sie können es nicht. Schon seit knapp zwei Jahren nicht. Und sie können es nicht, weil sie sich weithin in eine in schlechtem Sinne romantisierende, Paradiesträume pflegende Bewahrensethik verrannt haben.

Schwelende Krise der Ökotheologie

Unter allen so berechtigten wie notwendigen Appellen für Solidarität und Fürsorge inmitten der Pandemie schwelt in Wahrheit eine Krise der Schöpfungstheologie – genauer, eine Krise der Ökotheologie. Diese Krise hat etwas mit dem Verbauen der anderen Tür zu tun. Wie konnte die Tür zur weihnachtlichen Schöpfungstheologie so verbaut werden? Zur Beantwortung dieser Frage ist erst ein Blick auf einen Grundzug der gegenwärtig dominierenden Schöpfungstheologien zu werfen und dann ein kurzer, scharfer Blick auf die Dramen der Schöpfungserzählungen im ersten Buch der Bibel. Mit dem Problembewusstsein dieser Dramen erschließt sich die Freude des weihnachtlichen Schöpfungsereignisses fast wie von selbst. Und dann leuchtet die Weihnachtsbotschaft auch in Corona-Zeiten.

1. Ökotheologie – ein Blick zurück: Seit der Mediävist Lynn White 1968 die ökologische Krise auf den biblischen Herrschaftsauftrag des Menschen zurückführte und seit den Anstößen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (Vancouver 1983: Justice, Peace, and Integrity of Creation) wird in einer unübersehbaren Fülle an Literatur die Schöpfungstheologie auf eine Schöpfungsethik und diese auf eine Ethik der Bewahrung umgestellt. Es ist so erstaunlich wie offensichtlich: Im Fokus steht die Bedrohung der außermenschlichen Natur beziehungsweise der natürlichen Seiten der Schöpfung durch den Menschen. Die Menschen sind die Gefährder, nicht die Gefährdeten.

Die zentrale Einsicht der gesamten Bewegung „Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ und aller gegenwärtigen Ökotheologie ist, dass die Gefährdung der Natur und der theologisch gefassten Schöpfung von dem Menschen ausgeht. Der Mensch ist die Gefahr für die Natur. Beim Menschen steckt das Problem. Die Änderung des Menschen ist daher die Lösung. So die Idee.

Die theologische Rezeption der Gaia-Hypothese von James E. Lovelock verstärkte die Vorstellung einer dynamischen, aber letztlich wohlgeordneten Ganzheit der Natur, der sich der Mensch einzufügen hat. Es geht um die Bewahrung einer Integrität der Schöpfung. Für nicht wenige Protagonisten geht es gar um ein Heilen der Erde. Das Ziel für viele ist eine fruchtbare Resonanz zwischen Körper und Umgebung, ausformuliert in einer nicht-anthropozentrischen Lehre vom Menschen in einer körpersensitiven Öko-Theologie. Achtsamkeit und Respekt für die Mutter Erde sollen die neuen Tugenden sein.

Erde als Körper Gottes begreifen?

Die radikale ökotheologische Transformation von Glaube, Liturgie, Theologie und kirchlichem Handeln steht bei einigen ganz oben auf der theologischen Wunschliste. Protestanten lassen sich von der katholischen Idee einer Heiligkeit des Lebens anstecken. Einige theologische Vorstöße möchten die Erde als Körper Gottes begreifen. Nicht wenige Theologen und Theologinnen schlagen vor, gar die ganze Erde als Sakrament des Göttlichen zu betrachten.

Viele sind fasziniert von der Idee, die ganze Schöpfung sei vom Geist Gottes belebt. Jegliche Priorisierung des Menschen ist dann eine Verletzung dieses Amalgams aus Gott, Geist und Natur. Die Förderung von Blühwiesen wird zum Anliegen der Kirche. An die Stelle von Heil tritt das Flourishing of Life.

Keiner will in dieser Sache den Anschluss verpassen. Herrschaft wird zum Unwort, die Unterlassung der Intervention zum Gebot, denn Schöpfungsethik ist Bewahrensethik. Christliche Weltverantwortung meint die Verantwortung für die Integrität dieser Schöpfung. Die neue Chiffre der religiös-moralischen Intersektionalität heißt darum Schöpfungsgerechtigkeit.

2. Und dann kam Corona. Brutal und innovativ, variantenreich und rücksichtslos machen Viren weltweit, für was sie in der biologischen Evolution gut zu sein scheinen – mutieren und den Anpassungsdruck erhöhen. Herzlos und frei jeder Barmherzigkeit suchen sie sich die Schwächsten als Opfer aus – Alte, Arme und schon vorher Kranke. Mit einem frostigen Lächeln blickt die Mutter Erde auf die Sterbenden. Die Reisefreiheit in Richtung Paradies ist aber drastisch eingeschränkt. Vor dem Tor des Paradieses steht heute ein Engel mit zwei Flammenschwertern. Auf dem einen steht „Mutation“ und auf dem anderen steht „Selektionsdruck“ geschrieben.

Bei vielen Menschen außerhalb des ökotheologischen Resonanzraums wuchs während der langen Corona-Monate die unheimliche Einsicht, dass die Natur für den Menschen ein riskanter Ort ist und schon immer war. Wie auch für die 99 Prozent aller bekannten Arten, die noch vor dem Auftauchen des Menschen untergingen. Wie auch für Lazarus. Der religiös aufgeladene Geist des geschöpflichen Lebens schnürt den Corona-Kranken den Atem ab. Dabei ist das Coronavirus doch ‚natürlich‘, voll und ganz ‚bio‘! Inmitten einer tiefen Sehnsucht nach dem Paradies einer „unberührten Natur“ greift die nasse kalte Hand der Evolution nach den Menschen. Der ‚Gott von Galapagos‘ rüttelt die romantischen Träumer wach.

Jede Nadel einer Corona-Impfung injiziert neben dem Vakzin zugleich die Einsicht: Das Leben kann ein übler Verräter sein. Natur ist nicht nur gut. Jede Booster-Impfung entlarvt viel der kirchlichen Schöpfungsgerechtigkeitsromantik als religiösen Kitsch.

Den Anthropozentrismus überwinden? Bloß nicht!

Ist Gott ein Freund des Lebens? Hoffentlich nicht! Wer so denkt, macht ihn zum Dämon. Gott ist auch ein Feind des Lebens – des bedrohenden und chaotischen, als Nacht und Zerstörung hereinbrechenden Lebens. Gott ist ein Feind manchen biologischen Lebens zugunsten heilvoll gelingenden biologischen Lebens – von Menschen und anderen Geschöpfen. Darum bauten Christen von Anfang an neben Kirchen Hospitäler. Den Anthropozentrismus überwinden? Um Gottes Willen nein! Impfen ist Anthropozentrismus pur!

Ist „das ganze materielle Universum … Ausdruck der Liebe Gottes, seiner grenzenlosen Zärtlichkeit uns gegenüber“? Ist „in allem, was existiert, der Widerschein Gottes vorhanden“? Ist die Erde wirklich, „eine schöne Mutter, die uns in ihre Arme schließt“? Ich fürchte, dies sind theologisch törichte Gedanken. Sie werden auch nicht dadurch besser, dass sie von Papst Franziskus stammen und in der vielzitierten Enzyklika Laudato si stehen. Es ist dummerweise diese Mutter, die eben einige Menschen nicht liebevoll umarmt, sondern erwürgt – weil diese Mutter den Selektionsdruck der Evolution mehr liebt als die Menschen. Es ist diese Mutter, die weltweit die ohnehin vorhandenen sozialen, psychischen, politischen und ökonomischen Konflikte boostert.

Versöhnung mit der Natur? Bewahren und achtsam kultivieren, jenseits aller Herrschaft? Schöpfungsgemeinschaft leben? Nein! Intensivstationen sind Schlachtfelder im Kampf gegen das zerstörerische Leben zugunsten gelingenden Lebens. Intensivpfleger und Intensivpflegerinnen sind Krieger und Kriegerinnen. Krankenhäuser sind keine Orte, an denen die Versöhnung mit der Natur gefeiert wird. Jede Impfung, von der Forschung bis zur Injektion, ist Herrschaft. Der Mechanismus jedes mRNA-Impfstoffs ist ein Akt trickreich-täuschender Kriegsführung. Wer möchte im Ernst mit dem Coronavirus unbedingt in einer ungeschützten Schöpfungsgemeinschaft leben, so ganz ohne Diskriminierung? Die gefährlichen Varianten des Covid-Virus wollen weder bebaut noch bewahrt werden. Sie wollen bekämpft und beherrscht werden. Das Immunsystem des Menschen lebt keinen schlichten Schöpfungsfrieden.

Kampf gegen verobjektivierende Technik und gegen Biotechnologie? Wie viele Liter Druckfarbe und wie viele Tonnen Papier wurden in dieser Causa auf Seiten der christlichen Kirchen eingesetzt! Corona entlarvt geradezu brutal die Illusionen und erzwingt moralische Ehrlichkeit. Künstliche Beatmung und auch eine Hightech-Maschine wie die ECMO (Extra Corporeal Membrane Oxygenation) sind ein Segen. Wo wären wir in der Pandemie ohne die in kapitalistischem Wettbewerb und durch Biotechnologie hergestellten effizienten Impfstoffe? Ohne die so oft ritualisiert religiös verteufelte Verobjektivierung der Natur gäbe es keinen Impfstoff.

Im Einklang mit der Natur ‚ökologisch‘ leben, im Haus Gottes ganz achtsam leben, Heilung der Erde – welche bewahrenstheologischen Metaphernräume auch immer in der theologischen und kirchlichen Kommunikation eröffnet werden, ihre Wucht und ihre Kraft der Durchsetzung erhalten sie durch ihren Charakter als Halbwahrheit. Wie alle halben Wahrheiten sind auch sie ganz irreführend. Ohne Herrschaft – und das nannten die Alten Kultur –, das heißt ohne ein Begrenzen und ohne ein verobjektivierendes Verarbeiten der Natur gibt es jenseits des Paradieses kein menschenwürdiges Leben. Wer dies bestreitet, hat nicht nur elementare Einsichten zur biologischen Evolution, sondern auch wesentliche Einsichten der biblischen Tradition gegen sich. Und: Wer dies bestreitet, verpasst die Weihnachtsfreude.

Kurz, in der Corona-Krise ‚rettet‘ all dies, was von vielen Ökotheologien verdammt wird: Intervention und Vernichtung statt Bewahrung und Schöpfungsgemeinschaft, die Verbindung von intellektuellem und ökonomischem Startup-Unternehmertum im Kapitalismus statt Idealismus im Kollektiveigentum, verobjektivierend-manipulierende Zugriffe auf Natur statt Ganzheitlichkeit und natürlich ein robuster Anthropozentrismus statt Liebe zu allem Leben. Ist es nicht ein großer Segen, dass Wirtschaft, Politik und Wissenschaft in der Auseinandersetzung mit dem Virus nicht auf die Schöpfungstheologie der Kirchen hören? Würden diese ihre zahlreichen Blühwiesenromantikbotschaften ernst nehmen, so müssten sie letztlich die Impfverweigerung propagieren. Aber das tun sie nicht. Adorno sei gedankt. Es gibt den Trost der Dialektik. Auch im Falschen kann Wahrheit aufblitzen.

(Fortsetzung folgt! Den zweiten Teil des Textes von Günter Thomas lesen Sie ab 15. Dezember auf www.zeitzeichen.net)

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