Jenseits von Eden und Blühwiesenromantik (III)

Über Fehlschlüsse zeitgenössischen Ökoglaubens und die Freude weihnachtlicher Schöpfungstheologie
Bergisches Land
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Aussicht an einem nebligen Morgen, Odental, Bergisches Land, Deutschland (27.11.2021).

In der vergangenen Woche erschienen die ersten beiden Teile der „Jenseits-von-Eden-Gedanken“ von Günter Thomas - die kritische Sichtung einer romantisierenden Öko-Schöpfungstheologie (siehe hier und hier). Heute nun der letzte Teil des Bochumer Systematischen Theologen, der für einen neuen schöpfungstheologischen Realismus plädiert.

6. Ökologische Umsicht? Notwendig und riskant! Die Einsicht, dass der Mensch gefährdet ist, relativiert nicht die andere Einsicht, dass er Gefährder seiner naturalen Grundlagen und Umgebungen ist. Sie vertieft diese vielmehr. Schon die sogenannte priesterschriftliche Schöpfungserzählung kennt das Gefährdungspotential, das auch vom Menschen ausgeht. Der Prozess der Herrschaft, des Weltenbaus durch Unterscheidung, Grenzziehung und Chaosbegrenzung, war schon immer riskant und endet in „Gewalt“ in „allem Fleisch“, das heißt in allem Leben (Genesis 6,11-12). Die Chaosbewältigung und Lebenssicherung können noch mehr Chaos erzeugen. Aus der Macht der Herrschaft wird dann zerstörerische Gewalt. Die notwendige Herrschaft ist stets in der Gefahr, das Leben im gemeinsamen Schöpfungsraum mehr zu verunmöglichen als zu ermöglichen.

Die Liste ist lang. Nicht nur Ozeane voller Plastikmüll sind ein beredtes Zeugnis. Sind diese Gestalten menschlicher Chaosbewältigung und Gefahrenabwehr selbst zu riskant, ja gefährlich, Chaos erzeugend? Dies ist unstrittig in vielen Fällen die bedrängende Frage. Diese feine Linie zwischen dem notwendigen Zurückdrängen des gefährlichen Chaos und der Vergrößerung des Chaos durch eben diese riskante Chaosbewältigung, zeigt an, wo unsere ökologischen Probleme liegen.

Ein Tor wäre, wer dies bestreiten wollte. Aber ein Narr wäre, wer behaupten würde, dass die aufgerufenen Lösungen für die ökologischen Gefährdungen nicht selbst immer noch voller Risiken sind. Ökologischer Landbau produziert mehr CO2 als traditioneller. Schade auch. Wie schmutzig wird das Recyceln der Batterien der Elektroautos und aller E-Bikes sein? Time will tell.

Die Wahrnehmung der Gefährdung des Menschen erlaubt einen anthropologisch und sozialpsychologisch tieferen Blick auf die realen Dynamiken der Ausbeutung, der Zerstörung und der Gewalt. Es ist der Hungrige, der von zerstörerischer Gier überwältigt wird. Es ist der Verletzte, der zum maßlosen Rächer wird (Genesis 4,23-24). Es ist der Vulnerable und der Bedrohte, der sich rücksichtslos sichern möchte. Aus der realen Gefährdung und der prekären Bedürftigkeit des Menschen erwachsen die mächtigen Schubkräfte, die die notwendige Herrschaft großformatig lebensfeindlich werden lassen. Das Anliegen der notwendigen Bewahrung kann nur dann effektiv verfolgt werden, wenn die Dynamiken der Gefährdung des Menschen präzise und realistisch gesehen werden. Anders formuliert: Es sind oft die Lösungen, aus denen Probleme erwachsen.

Plastikutensilien lösen Hygieneprobleme

Zurück zum Plastikmüll: Auch wenn viele guten Gründe gegen eine Plastikkultur sprechen, die billigen und leicht zu reinigenden Plastikutensilien lösen so manches Hygieneproblem in der Küche. Darum denken Menschen, die in einem tropischen Klima leben, noch heute anders über Plastik als die deutschen Liebhaber handgedrechselter Holzschüsseln mit Nachhaltigkeitszertifikat und Bioölimprägnierung. Die Klimakonferenz in Glasgow machte jüngst deutlich, dass auch diese Liste lang ist.

Der Gefährder ist gefährdet – und dies auch durch seine eigenen Fehlhandlungen, durch die Folgen der bösen und viel öfter auch der guten Tat. Zur Erinnerung: Es gab Zeiten, da wurden Dieselfahrzeuge als ökologisch vorzüglich angeboten. Die Veränderungen der Landnutzung, zu denen das Bioethanol im E10-Kraftstoff führen, müsste jedem seiner frühen Protagonisten die Schamröte ins Gesicht treiben. Der Gefährder ist oft selbst Ursache seines Gefährdet-Seins. Der Klimawandel ist das eindrücklichste Beispiel.

Aber es gibt nicht nur die Selbstgefährdung. Dies einzugestehen fällt schwer. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie zeigt, dass viele Menschen lieber schuldig als biologisch verletzlich sein wollen. Die Selbstanklage ist für viele dem Eingeständnis der Ohnmacht vorzuziehen. Wer sich selbst als Täter anklagt, kann sich immer noch mit Stolz seiner Tatkraft erfreuen. Das bedrohliche Ausgeliefertsein an eine auch wenig gütige Natur anzunehmen, ist für den ökologischen Homo Faber, den Heiler der Erde, zutiefst kränkend.

Theologische Lebenslüge mutig verabschieden!

Es spricht manches für die Annahme eines dem Präventionsparadox ähnlichen Herrschaftsparadoxes: Eben weil die Natur in der westlichen Welt so gut und zum Schutz des Menschen so weitgehend beherrscht ist, können sich theologische und politische Bewegungen gegen die Beherrschung der Natur wenden. Genau dieses Paradox bricht die Covid-19 Pandemie auf einer elementar körperlichen Ebene auf. Dass sich ohne die Interventionen des Menschen in der Natur ein Schöpfungsfriede findet, ist eine theologische Lebenslüge, von der sich mutig zu verabschieden die Covid-19-Pandemie eine Gelegenheit bietet.

7. Weihnachtsfreude im zweiten Corona-Winter? Es bedarf keines Griffes in die theologische Trickkiste, um einen realistischen Blick auf die naturalen Seiten der Schöpfung im zweiten Corona-Winter mit dem Weihnachtsfest zu verbinden.

„Das Wort ward Fleisch“, so die knappe Weihnachtsbotschaft des Johannesevangeliums. Der göttliche Logos ging ein in das „Fleisch“, von dem in der Noah-Erzählung Gott selbst befindet, dass es voller Gewalt sei (Genesis 6,11-12). Weihnachten ist das Fest der göttlichen Interventionsbereitschaft. Es ist die Feier von Gottes Weg in eine von Gewalt durchtränkte Welt – offensichtlich durchtränkt in ihren sozialen und naturalen Dimensionen.

Es ist eine bis tief in die Natur hinein durch Gewalt verkehrte Welt: Weil die Welt nicht flächig von Gottes Geist durchdrungen ist, weil sie nicht der Entfaltungsraum eines heiligen Lebens ist, und weil sie aus vielen Gründen auch kein Sakrament ist, genau darum kommt Gott. Er kommt, weil er nicht schon immer irgendwie in der Welt da ist. Weil die Welt eben nicht Gottes Körper ist, kommt Gott in der körperlichen Gestalt des Kindes. Weil Gott nicht mit dem Leben selbst verwechselt werden soll, kommt er in eine in ihrer Feindschaft gegen Gott höchst lebendige Welt. Gott kommt nicht in eine Welt der Liebe, sondern der gescheiterten Gewaltbegrenzung.

An Weihnachten feiern wir, dass sich Gott höchst verletzlich den Risiken einer feindlichen, ja gewalttätigen Schöpfung aussetzt. Noch mehr – Gott fügt sich mit dieser neuen Initiative ein in eine lange Geschichte der immer wieder scheiternden Bemühungen um eine Gewaltbegrenzung.

Die seufzende Welt ist Ort der Gottesgegenwart

Diese ganz und gar nicht gütige, nicht nur harmonische und letztlich tief friedlose Welt wird von Gott gewürdigt. Diese seufzende Welt der Intensivstationen und voll des bitteren Geschmacks der Endlichkeit, die Welt der gefährdeten Gefährder, wird ein Ort der intensiven Gottesgegenwart. Diese Gegenwart ist eine barmherzig bewahrende und gestaltende Gegenwart. Wenn Gottes Feindesliebe dieser Welt nicht zerstörend, sondern barmherzig rettend begegnet, dann sollten auch wir diese Welt nicht zerstören. Selbstverständlich.

Wir feiern auch Weihnachten im Lichte der Auferstehung Jesu. Die Zukunft der Schöpfung bricht in dem Leben Jesu an. Durch das gesamte Leben Jesu, durch Inkarnation, Verkündigung und Heilungen, Kreuz und Auferstehung, gibt Gott dieser Schöpfung das Versprechen einer neuen Welt und lebt es selbst vor. Das Leben Jesu ist die Weihnachtsbotschaft. Das Kind im Stall macht den Anfang.

„Das Wort ward Fleisch“. Die Evangelien sind voller Hinweise auf eine schöpfungstheologische Dimension dieses Ganges in die Welt der Gewalt. Nicht umsonst sind die Weihnachtslieder angefüllt mit Bildern des in das Dunkle und in die Nacht einbrechenden Lichtes – ein zentrales Motiv der Schöpfungstheologie der Bibel. Die Natur im Stall nimmt an der Weihnachtsfreude teil.

Jesus gebietet den Chaosmächten

In Anspielung auf den Propheten Jesaja lässt der Evangelist Markus Jesus bei den wilden Tieren weilen (Markus 1,13). Wie der davidische Herrscher über die Chaosmächte des Meeres gebieten wird (Psalm 89,26), so gebietet Jesus den bedrohlichen Chaosmächten des Sturmes (Markus 4,35-41). Mit der Heilung der Blinden und Lahmen wendet sich Jesus Menschen zu, die nicht nur unter den sozial-kulturellen, sondern eben auch den naturalen Zerklüftungen des Lebens leiden.

Die tiefen Antagonismen in den naturalen Seiten der Schöpfung werden von Jesus weder heiliggesprochen noch einfach mitleidend und anteilnehmend begleitet. Sie werden verwandelnd adressiert – jenseits einer Verachtung („der Leib als Gefängnis“) und jenseits einer Sakralisierung („Heiligkeit des Lebens“) naturaler Prozesse. Die naturale Seite der Schöpfung kann gleichwohl zum Gleichnis der Welt Gottes werden – in Analogie und auch gegenläufig in scharfer Grenzziehung (Markus 11,20) – aber eben nur Zeichen und Gleichnis. Sakrament ist nicht die ‚rohe‘ Natur, sondern in Brot und Wein werden es die kultivierten, das heißt die beherrschten Schöpfungsgaben.

Der Tag, an dem der Gott der ersten Schöpfung ruht, wird zum Tag neuschöpferischer Unruhe (Lukas 13, 10-16; 14,1-6). Jenseits von Eden lässt sich Gott in Christus wie nie zuvor von seiner Schöpfung berühren und in der Tat zur Verwandlung bewegen. Wir feiern darum Gottes verwandelnde Respektlosigkeit gegenüber der Gewalt ‚in allem Fleisch‘.

Im Licht von Ostern feiern wir an Weihnachten, dass sich Gott in dieser verkehrten Welt letztlich durchsetzen wird – und der in der Verletzlichkeit des Kindes in Bethlehem einsetzende Weg kein Irrtum ist. Aber es bleibt eine auch provozierende Intervention Gottes: Gott kommt weder als apokalyptischer Rächer an Kohlekraftwerkbetreibern noch als Magier, der uns den Gewalten einer evolutionären Welt entnimmt. Für die, die im Dunkeln sitzen, kommt das Kind, der Tröster.

Weihnachtsbotschaft als tröstende Torheit

Nicht nur das Kreuz erscheint für viele als Torheit. Auch die Weihnachtsbotschaft muss wohl in diesem Jahr eine tröstende Torheit sein. So wird das Kind zum Zeichen einer radikalen göttlichen Anfänglichkeit (Hannah Arendt) inmitten des Alten, einer großen Wende der Welt, die hier schon einsetzt. In Christus und im Geist steigert Gott seine „compassion“ im Sinne eines empfindenden Mitleidens wie auch im Sinne einer Leidenschaft der aktiven Intervention. Im Geist Gottes findet sich eine Steigerung der Kreativität, die nicht nur in die Auseinandersetzung mit den Kräften der Gewalt in dieser Schöpfung geht, sondern tiefgreifend Neues, ja die Überwindung des Todes verspricht.

Dieser kreativen Wende Gottes versuchen wir Menschen zu entsprechen – wohl wissend, dass es einen Überschuss des Versprechens gibt, der noch aussteht. Wenn Paul Gerhardt vom Kind in der Krippe sagt, es sei „voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die ihm an Euch bewusst“, ja, wenn er Christus einen König sein läßt, der „all Feind auf Erden“ überwindet, so ist mehr gesagt, als in der Erfahrung der Pandemie einzuholen ist (EG 11).

Und doch ist es die Freude weckende Weihnachtstorheit, dass – wieder in den Worten Paul Gerhardts – Christus „alle Welt in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast, die kein Mund kann aussagen, so fest umfangen“ hat (EG 11). So feiern wir jenseits von Eden diese leidenschaftliche Missachtung der menschlichen Gottlosigkeit und diese barmherzige Achtung der zerbrechlichen Leiblichkeit. Noch ist Herrschaft unvermeidlich und riskant, weil sie gewaltaffin ist. Genau dieser Schöpfung ist aber ein göttliches, ein kindliches Versprechen gegeben. Diese ganz und gar realistische Leidenschaft Gottes ist Grund zur Freude – auch in einer Zeit, in der das Jubeln der Engel so ferne scheint. Diese Leidenschaft Gottes ist ansteckend – auch für gefährdete Gefährder. Dann kann auch ihnen die Weihnachtstorheit eine Gotteskraft werden (1 Kor 1,18).

(Alle drei Teile des Essays können Sie hier lesen)

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