Doppelte Gefahr

Wohnungslose dringend vor Kälte und Corona schützen

Bisher wurden die Menschen nur geschätzt. Die gute Nachricht: Ende dieses Monats liefert die Bundesregierung erstmalig Zahlen. Zahlen von Wohnungslosen. Und das erst jetzt, obwohl Interessenverbände wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. in Deutschland seit über dreißig Jahren valide Zahlen und Statistiken einfordern. Vor zwei Jahren schließlich, im Januar 2020, hatte der Bundestag ein Gesetz zur „Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung“ sowie einer Statistik „wohnungsloser Personen“ erlassen.

Doch ist das nur eine Seite der Medaille, denn die am 31. Januar präsentierten Statistiken bilden bloß einen Teil der Wirklichkeit ab. Sie erfassen lediglich die von den Kommunen nach Ordnungsrecht untergebrachte Menschen und die, die in Obdach von freien Trägern sind, also in Gemeinschafts- und Notunterkünften leben.

Noch immer fehlen in der Statistik die Menschen ohne ein Dach über dem Kopf, die, die auf den Straßen, in Parks, U-Bahnhöfen, auf Baustellen leben. Und auch solche, die bei Freunden oder Bekannten Unterschlupf gefunden haben.

Bis konkrete Daten vorliegen, konnte die Zahl der wohnungslosen und der von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen überhaupt nur geschätzt werden. Das zeigen die vor Weihnachten von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Deutschland vorgestellten Ergebnisse. Besagte Zahlen lagen zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor, werden sich aber von denen der vergangenen Jahre nicht wesentlich unterscheiden. Danach verfügen rund 670 000 Menschen in Deutschland nicht über einen eigenen Wohnraum. Die meisten von ihnen leben in Notunterkünften oder bei Freunden oder Verwandten. Fast 50 000 sind gänzlich obdachlos (Stand 2018), sie leben auf der Straße.

Im zweiten Corona-Winter, jetzt wo die Temperaturen wieder sinken, spitzt sich für sie die Situation nochmals zu. Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der der Diakonie Deutschland (Berlin), warnte schon vor Wochen vor neuen Todesfällen. Im vergangenen Winter erfroren zwanzig Menschen.

Die Pandemie verschärft die prekäre Lebenssituation von Menschen ohne Wohnung, die ohnehin zu den gefährdetsten Gruppen der Gesellschaft gehören. Wohnungslose brauchen in diesem Winter doppelten Schutz: vor Kälte und Corona. Es ist Aufgabe der Kommunen, dafür Sorge zu tragen.

Doch wie der Wohnungs- und Obdachlosigkeit generell Herr werden? Der im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung angekündigte „Nationale Aktionsplan zur Überwindung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit“ ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das Ziel soll sein, so steht es im Vertrag, Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden. Damit dieses ambitionierte Vorhaben umgesetzt wird und dieser Aktionsplan nicht nur eine Kampagne bleibt, geht es jetzt um konkrete Inhalte und Förderprogramme.

Keine Wohnung, kein Mietvertrag, kein Einkommen, keine Meldeadresse, keine Krankenversicherung – dieser Kreislauf muss im Kampf gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit durchbrochen werden. Einen bestimmten Anteil sozial gebundener Wohnungen ausdrücklich für Wohnungslose bereitzustellen, das wäre ein Ansatz.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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