Die Donald Trump vermissen

Das Weiße bei den weißen Evangelikalen
So sieht die Illustratorin Dorothee Mahnkopf die US-Evangelikalen.
Foto: picture alliance/Dorothee Mahnkopf
So sieht die Illustratorin Dorothee Mahnkopf die US-Evangelikalen.

„Weiß und evangelikal“, das ist heute mehr eine politische als eine religiöse Identität. Weiße Evangelikale sind Umfragen zufolge besonders anfällig für rechte Verschwörungsmythen, etwa die der „QAnon-Bewegung“. Warum ist das so? Das analysiert der US-Korrespondent Konrad Ege.

Über „weiße Evangelikale“ wird mehr geschrieben als über andere Glaubensgruppen in den USA. Was motiviert diese Menschen, zahlenmäßig eine Minderheit, die an vorderster Front stehen im Kulturkrieg um gesellschaftliche Normen und Politik, die an den meisten Sonntagen zur Kirche gehen, vermutlich einem Bibelkreis angehören, und sich über die Bürgerrechtsbewegung Black Lives Matter empören? 60 Prozent der weißen Evangelikalen (und 31 Prozent aller US-Amerikaner) sind laut einer Studie des „Public Religion Research Institute“ im November 2021 überzeugt, man habe Donald Trump den Wahlsieg gestohlen. „Vermisst Ihr Donald Trump schon?“, schrieb Baptistenprediger Franklin Graham kürzlich auf Facebook.

Bei Glaubensfragen nach der Bedeutung der Bekehrung und der Autorität der Heiligen Schrift sind weiße Evangelikale und schwarze und Latino-Evangelikale ähnlich ausgerichtet. Dennoch besteht ein tiefer Graben. Schwarze und Latinos wählen mehrheitlich demokratisch. Die Schlussfolgerung drängt sich auf: Es ist das Weiße, das weiße Evangelikale prägt. „Weiß und evangelikal“ ist heute mehr eine politische als eine religiöse Identität. Weiße Evangelikale sind anscheinend besonders anfällig für die Lehren der „QAnon-Bewegung“. Die im rechten Spektrum angesiedelte Bewegung verbreitet Mythen und Legenden über eine geheime Elite, die den Staat kontrolliere.

Mehrere Historiker haben sich zuletzt mit der Geschichte der Einstellung zu Rassenfragen unter protestantischen weißen Christen befasst. J. Russell Hawkins von der Indiana Wesleyan Universität in Marion (US-Staat Indiana) beginnt sein Buch The Bible Told Them So: How Southern Evangelicals Fought to Preserve White Supremacy (2021) mit einer Szene im Weißen Haus im Juni 1963. Der demokratische Präsident John F. Kennedy sprach mit Kirchenvertretern über Bürgerrechtsreformen. Neue Gesetze sollten den Süden der USA aus apartheid-ähnlichen Zuständen herausführen.

Rassismus aus Glauben

Forderung nach Gleichberechtigung habe wohl „wirtschaftliche, legale und soziale Untertöne“, sagte der junge Präsident, doch Menschen des Glaubens müssten sich auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich dass Gleichberechtigung „eine moralische Frage ist“. Kennedy bat um Wortmeldungen. Ein Baptistenpastor aus Florida namens Albert Garner dürfte ihn überrascht haben. Viele weiße Christen in den Südstaaten, wie er selbst, betrachteten Bürgerrechte ebenfalls als „moralisches Anliegen“, sagte er: Sie seien überzeugt, dass „Rassenintegrierung ... gegen den Willen des Schöpfers verstößt“. So fasste Buchautor Hawkins zusammen: Diese weißen Südstaatler hätten sich Gleichberechtigung nicht trotz ihres Glaubens widersetzt, sondern wegen ihres Glaubens. Der religiöse Konflikt zwischen schwarzen und weißen Christen sei ein Kernelement des Ringens um die Bürgerrechtsgesetze gewesen.

Sklaverei sei die Grundmauer des Rassismus in den USA, schrieb die Historikerin Anthea Butler von der University of Pennsylvania, selbst eine frühere Evangelikale, wie sie mitteilt, in ihrem Buch White Evangelical Racism (2021). Viele weiße Protestanten hätten zu Zeiten der Sklaverei, die im Bürgerkrieg (1861–65) gegen die abtrünnigen Südstaaten ihr Ende fand, mit einem Glauben an Prädestination die Unterordnung schwarzer Menschen gerechtfertigt. Man interpretierte die biblische Geschichte von Noahs Fluch über seinen Enkel Kanaan, dessen Nachkommen Sklaven werden sollten, als Rechtfertigung der Sklaverei.

So wie Baptistenpastor Garner äußert sich heute kaum mehr jemand. Eigentlich niemand. Man ist weg von der Idee, die Bibel verlange Rassentrennung, und von dem Widerstand gegen die Integrierung durch Bürgerrechtsgesetze. Doch die Vergangenheit sitzt tief. Heute sind wir bei der weißen evangelikalen Treue zu der überwiegend weißen Republikanischen Partei, die Anti-Diskriminerungsgesetze ablehnt und das Wahlrecht für Schwarze einschränken will. Rassismus wird in der evangelikalen Welt heutzutage weitgehend als Sünde bezeichnet, strukturelle Veränderungen werden jedoch abgelehnt. „Das Abstreiten des persönlichen Rassismus geht bei vielen rechten Evangelikalen Hand in Hand mit Blindsein zu systematischem Rassismus“, urteilte der Präsident des evangelikalen Fuller Theological Seminary in Kalifornien, Mark Labberton, in einem Buch über evangelikale Christen Still Evangelical (2018).

Wie es weitergeht mit den weißen Evangelikalen ist bedeutend für die Zukunft der USA. Weiße Evangelikale geben den Ton an bei den Republikanern. Die Fähigkeit rechtschristlicher Gruppen, ihre Leute politisch zu mobilisieren, könnte Klimaschützer und Gewerkschaften vor Neid erblassen lassen. Die konservative Christenheit hat ihre Basis organisiert. Dank der Kirchengemeinden hat sie eine landesweite Infrastruktur. Sie verfügt über einen wort- und bildmächtigen Medienapparat online und im Rundfunk.

Wer in der heutigen Republikanischen Partei die Vorwahlen überstehen will, sollte sich nicht mit dieser Gruppe anlegen. 2020 haben laut Nachwahlbefragung rund 84 Prozent der weißen evangelikalen Wähler für Donald Trump gestimmt. Kommentierte der Baptistenpastor und Politikwissenschaftler Ryan Burge in der New York Times: Weiße Evangelikale seien politisch gesehen noch nie so vereinigt gewesen wie heute. In den 1970er Jahren hätten sich 40 Prozent der „wöchentlichen weißen evangelikalen Kirchgänger“ mit der Republikanischen Partei identifiziert. Gegenwärtig liege der Prozentsatz bei 70 Prozent.

2016, nach Trumps Wahlsieg, war spekuliert worden, weiße Evangelikale, die sich angeblich für „Familienwerte“ einsetzen, würden irgendwann einmal auf Distanz gehen wegen Trumps Lebenswandel, seiner feindseligen („unchristlichen“) Haltung zu Migranten, seiner Lügen. Diese Abkehr hat nicht stattgefunden. Wie man so sagt: Was auch immer die Motive einzelner Trump-Wählerinnen und -Wähler waren, von Ablehnung der Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe bis Wirtschaftspolitik und Skepsis gegenüber der Gängelei mit Regierungsvorschriften: Die weißen Evangelikalen wussten, für wen sie da stimmten.

Trumps Hetze gegen Black Lives Matter, das Auseinanderreißen der Migrantenfamilien an der Grenze und sein Vorhaben, Antidiskriminierungsgesetze für den Wohnungsmarkt aufzuheben, haben viele weiße Evangelikale offenbar nicht gestört. Trump wurde gesehen als einer von ihnen, mit seinem Ruf, Amerika wieder groß zu machen wie früher. Früher, als weiße Protestanten den Ton angaben – und große Rassendiskriminierung herrschte.

Moral Majority

Zum Verständnis der weißen Evangelikalen muss man zurückblicken in die 1970er-Jahre, als Fernsehprediger Jerry Falwell seine Moralische Mehrheit gründete mit dem Ziel, „die freie Marktwirtschaft, die Familie und die biblische Moral“ zu verteidigen. Die Moral Majority mobilisierte 1980 für den republikanischen Präsidentschaftsanwärter Ronald Reagan, es war eine „Probeaufführung“ für Trump: Ex-Gouverneur Reagan, Unterzeichner eines liberalen Abtreibungsgesetzes in Kalifornien, geschiedener Ex-Schauspieler aus Hollywood, sei nicht der beste Christ, der jemals auf Erden wandelte, hieß es, doch man habe keine andere Wahl.

Es sei damals schon um Rasse gegangen, erklärte Randall Balmer, Religionsprofessor und Autor von Bad Faith: Race and the Rise of the Religious Right, im August 2021. Reagan, ein „Meister der Symbolik“, habe im Wahlkampf Signale geschickt mit seiner Betonung von „Law and Order“ und dem Prinzip von „States Rights“. Mit dem Verweis auf die angeblichen „Rechte“ der fünfzig Bundesstaaten protestierten Südstaatenpolitiker gegen die Bürgerrechtsgesetze von Kennedy und dessen Nachfolger Lyndon Johnson. Sie missachteten die Rechte der einzelnen Staaten. Balmer schreibt über einen weiteren Punkt, der evangelikale Pastoren politisiert habe. Sie seien empört gewesen über ein Urteil des Obersten Gerichtes, dass rassengetrennte Schulen nicht als gemeinnützig anerkannt werden sollten.

Eine sehr späte Entschuldigung

Die größte protestantische – und stark evangelikal geprägte – Kirche in den USA ist der 14 Millionen zählende Südliche Baptistenverband. An dieser, wie der Name sagt, mehrheitlich im Süden („Bibelgürtel“) angesiedelten „Southern Baptist Convention“ (SBC) zeigt sich die Geschichte der „Rassenbeziehungen“. Der Verband wurde 1845 im Streit um Sklaverei gegründet. 1995 hat sich die Kirche formell entschuldigt. Das Thema bleibt schwierig in der noch heute weit mehrheitlich weißen Kirche. SBC-Präsident seit Juni 2021 ist Pastor Ed Litton von der Redemption-Kirche in Alabama. Der 62-Jährige engagiert sich für die „Versöhnung der Rassen“, wie es heißt. Niemand bei den Südlichen Baptisten wolle als ein verbohrter Mensch mit Vorurteilen dastehen, sagte Litton bei einer Konferenz zu den Beziehungen zwischen schwarz und weiß im Oktober. Littons Vorgänger J. D. Greear überraschte in einer Ansprache, Baptisten müssten aus Sicht des Evangeliums bekennen, dass Black Lives Matter, dass schwarzes Leben zählt. Für ihn bedeute das allerdings nicht, dass er diese Forderungen für angemessen halte.

Doch Versöhnung ist nicht so recht möglich ohne Schuldbekenntnis und Bereitschaft zur Wiedergutmachung. Als der große Aufreger bei vielen weißen Baptisten gilt heute die genannte „kritische Rassentheorie“ („Critical Race Theory“), weit verbreitet bei Bürgerrechtsverbänden. Diesem Denken zufolge liegt das Problem der Rassendiskriminierung nicht bei der Voreingenommenheit Einzelner. Schuld seien vielmehr alte Strukturen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die Schwarze schon immer benachteiligten. Diese Strukturen müssten fallen.

Nach Ansicht der Präsidenten der sechs theologischen Hochschulen des „Südlichen Baptistenverbandes“ ist das Konzept mit baptistischen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Im Bundesstaat Virginia wurde im November 2021 ein neuer Gouverneur gewählt. Knapp gewonnen hat der republikanische Kandidat Glenn Youngkin. Laut einer Nachwahlbefragung stimmten 89 Prozent der weißen Evangelikalen für den konservativen protestantischen Finanzinvestor. Es ging beim Wahlkampf viel um die Schulen, wo Eltern mehr Einfluss haben sollten auf den Lehrstoff. Am ersten Tag im Amt werde er die Lehre der Rassentheorie in Schulen verbieten, sagte Youngkin.

Das politische Engagement weißer Evangelikaler kann als Aufbäumen gewertet werden. Ein Festhalten an einer entschwindenden Welt, in der der ehemals dominierende weiße Protestantismus von seiner Führungsrolle verdrängt wird, besonders unter jungen Menschen.

Die weißen Evangelikalen werden zusehends zur Minderheit. Laut einer Erhebung („2020 Census of American Religion“) des „Public Religion Research Institute“,identifizierten sich 2020 14,5 Prozent der US-Amerikaner als weiße Evangelikale. 2010 trugen 20,8 Prozent dieses Etikett. Doch eine Zeitlang noch lässt sich politische Macht ausüben. Die Kirchenbänke werden freilich leerer und leerer. 

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"