Gegen den „wahnsinnigen Tyrannen“

Nicht zuletzt Aussagen von Martin Luther und Dietrich Bonhoeffer können die Lieferung von Waffen an die Ukraine rechtfertigen
"Gott schütze die Ukraine" steht früh morgens auf einem kleinen Schild in blau und gelb am Eingang zum Konsulat der Ukraine am Rande der Frankfurter Innenstadt.
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"Gott schütze die Ukraine" steht früh morgens auf einem kleinen Schild in blau und gelb am Eingang zum Konsulat der Ukraine am Rande der Frankfurter Innenstadt.

Angesichts des Überfalls des Putin-Regimes auf die Ukraine wird und muss evangelische Friedensethik dringend neu diskutiert werden, meint Sebastian Kranich, Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen. Die Wiederholung sicher geglaubter Einsichten und Positionen wird der bisherigen Entwicklung jedenfalls nicht gerecht. Eine Widerrede auf das zeitzeichen-Interview mit Friedrich Kramer, Landesbischof in Magdeburg und Friedensbeauftragter der EKD.

In der DDR habe ich den Waffendienst verweigert. Wie der EKD-Friedensbeauftragte, Landesbischof Friedrich Kramer von der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, war ich Bausoldat. Wie er lehne ich Krieg prinzipiell ab. Aber Inhalten seines Interviews über Friedensdemonstrationen, Waffen für die Ukraine und die friedenspolitischen Aufgaben der evangelischen Kirche widerspreche ich.

Ja, Russland ist nicht unser Feind. Wer wollte eine ganze Bevölkerung in Geiselhaft nehmen? Doch der feindliche Überfall auf die Ukraine durch das Putin-Regime ist durch nichts zu rechtfertigen. Er war lange geplant und reiht sich ein in eine Reihe von russischen Aggressionen.

Friedrich Kramer ist gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, da diese „möglicherweise Verhandlungsoptionen für die Zeit nach dem Krieg“ ausschlössen. Das ist eine schwache, spekulative Hypothese. Dahinter scheint die langgehegte Idee einer besonderen Beziehung Deutschlands zu Russland zu stehen, die gerade an der Wirklichkeit zerbricht. Die Realität zeigt ebenfalls: Die Menschen in der Ukraine benötigen in einer Notwehrsituation Waffen, um Leib und Leben und Land zu verteidigen. Gemäß der Lehre vom gerechten Frieden steht ihnen dieses Recht zu.

Friedrich Kramer bestreitet, dass wir ohne die Lieferung von Waffen die Ukrainer gegen einen mächtigen Gegner allein lassen würden. Als Begründung führt er ukrainische Friedensaktivisten an, „die dazu aufrufen, nicht zu den Waffen zu greifen.“ Doch die übergroße Mehrheit der angegriffenen und terrorisierten Ukrainerinnen und Ukrainer sieht das offenbar anders und handelt anders.

"Dem Rad selbst in die Speichen fallen"

In dieser Situation gilt es nach Dietrich Bonhoeffer, der russischen Aggression, also „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“. Lediglich „die Opfer unter dem Rad zu verbinden“, also die Beschränkung auf humanitäre Hilfe und Gebete reichen nicht zu, so wichtig und dringend diese ebenfalls sind. Die Lieferung von Verteidigungswaffen bedeutet daher kein „Einknicken“ der Bundesregierung auf Druck von Medien und Öffentlichkeit. Sondern sie ist in dieser Situation eine parlamentarisch breit unterstützte gesinnungs- wie verantwortungsethisch angemessene Entscheidung.

Friedrich Kramer meint, wir hätten es versäumt, „einen gemeinsamem Sicherheitsraum mit Russland aufzumachen.“ Darüber sind die Meinungen geteilt. Akut aber gibt es nur Sicherheit gegen eine russische Aggression und einen russischen Präsidenten, dessen Reden und Handeln nach dem Maßstab Martin Luthers als Agieren eines „unsinnigen und wahnsinnigen Tyrannen“ bezeichnet werden kann. Ein solcher Herrscher zeichnet sich nach Luther dadurch aus, dass er für rationale Argumente und Einwände nicht mehr zugänglich ist.

Friedrich Kramer sieht die Friedensethik nicht an einem Wendepunkt. Er meint: „Wenn Russland die NATO angreifen würde, hätten wir eine neue Situation, die tatsächlich eine solche Wende nach sich ziehen müsste.“ Diese Logik erschließt sich mir nicht. Denn es kann doch nicht zweierlei Friedensethiken geben – je nach Bündnisfall. Angesichts des Überfalls des Putin-Regimes auf die Ukraine wird und muss evangelische Friedensethik dringend neu diskutiert werden. Die Wiederholung sicher geglaubter Einsichten und Positionen wird der Entwicklung der letzten Wochen und Tage jedenfalls nicht gerecht.

Die beginnende friedenspolitische und friedensethische Debatte bedarf „Vorsicht, Augenmaß und Nüchternheit.“ Da hat Friedrich Kramer Recht. Sie braucht aber zudem auch intellektuelle Redlichkeit, christlichen Realismus sowie Herzblut und solidarischen Einsatz für die Betroffenen des Kriegs, wie er in diesen Tagen weltweit zu erleben ist.

(Nachtrag: Am 2. März veröffentlichten der EKD-Friedensbeauftragte Landesbischof Friedrich Kramer und der Bischof für die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr Bischof Bernhard Felmberg eine gemeinsame Stellungnahme zum Krieg in der Ukraine. Darin wird der Angriffskrieg der russischen Regierung als völkerrechtswidrig, gegen die Sicherheitsarchitektur und gegen das Bemühen um eine internationale Friedensordnung gerichtet verurteilt. Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung wird nicht erwähnt. Das Thema deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine ist ausgespart.)

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