Beten, Bundeswehr und die Armen

Warum unser Land mit seinen Werten verteidigt werden muss und die Armen nicht aus dem Blick verlieren darf
Foto: Harald Oppitz

Was passiert, wenn „die Russen“ auf dem Kurfürstendamm stehen? Landesbischof Kramer, der Friedensbeauftragte der EKD, will sich dann den Panzern mit einem auf Russisch geschriebenen Plakat entgegenstellen. Ich hoffe ernstlich nicht, dass das geschehen wird. Weder will ich, dass sich Landesbischof Kramer in Lebensgefahr begibt, noch möchte ich, dass unser Land besetzt wird. Weder von russischen Militärs noch von sonst jemandem. Ich lebe sehr gerne in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht und niemand wegen Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung oder Hautfarbe benachteiligt werden darf. Und diese Werte hätte ich gerne verteidigt, nach innen und nach außen. Am liebsten mit diplomatischen Mitteln, so dass alle Seiten ihre unterschiedlichen Interessen friedlich verhandeln und ihr Gesicht wahren können.

Für den Fall, dass das bedauerlicherweise nicht funktioniert, wäre ich jedoch dankbar, wenn Deutschland nicht nur in der Lage wäre, Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern. Im Ernstfall möchte ich, dass die Bundeswehr so ausgestattet ist, dass sie das tun kann, wofür sie da ist: Unser Land und seine Demokratie zu schützen. Wenn es nicht anders geht und darauf ankommt, auch mit Waffengewalt.

Christen sind mit ihrer Friedensethik im Kriegsfall immer in einem Dilemma. Das gilt übrigens auch für christliche Soldatinnen und Soldaten. Unser Glaube verpflichtet uns auf Nächsten- und sogar Feindesliebe. Zugleich können wir doch nicht tatenlos zusehen, wie machtbesessene Verbrecher Menschenrechte mit Füßen treten. Ich finde, die Theologie und die Haltung Dietrich Bonhoeffers hat gerade eine bestechende Aktualität und schenkt ethische Orientierung.

Diese Orientierung fehlt meiner Ansicht nach denjenigen, die gerade hamstern was das Zeug hält. Ich konnte in der letzten Zeit einige Menschen beobachten, die mit schwindelerregend beladenen Einkaufswagen voller Mehl, Zucker und Nudeln die Supermärkte verließen. Aber wer weiß, vielleicht waren die Leute ja auf dem Weg zu einer Tafel, um Mehl, Zucker und Nudeln zu spenden. Denn die Tafeln sind gerade vollbeschäftigt und überlastet, auch weil offenbar nicht wirklich klar ist, wer eigentlich für die Versorgung der Armen in unserer Gesellschaft und für die der Flüchtlinge zuständig ist. Das hat übrigens auch viel mit Frieden zu tun - mit einem gesellschaftlichen Frieden nämlich.

Sanktionen und die Ärmsten

Ich finde es sehr wichtig, dass die Folgen der Sanktionen nicht die Ärmsten treffen. Diejenigen, die kein Geld haben, um Lebensmittel zu hamstern. Diejenigen, die nicht wissen, wie sie ihre Strom- und Gasrechnung bezahlen sollen. Die Oligarchen dieser Welt werden gewiss gut durch die Krise kommen. Obwohl es natürlich unangenehm ist, wenn man nicht mehr auf der eigenen Jacht entspannen kann, weil die gerade in einem italienischen Hafen an der Kette liegt. Schon verständlich, dass russische Influencerinnen als quasi prophetische Prostest-Zeichenhandlung öffentlich ihre Chanel-Handtäschchen zerschneiden.

Ich bete jeden Tag für den Frieden. Ich meine, wir sollten das als Christenmenschen mit der gleichen Leidenschaft tun, mit der manche Leute Mehltüten und Zucker hamstern. Ich glaube daran, dass diese Gebete mehr für den Frieden austragen als gehamsterte Lebensmittel. Wir brauchen Frieden, Recht und Gerechtigkeit. In der Ukraine, in der Welt. Ich weiß auch, dass in einem Krieg alle verlieren. Trotzdem: Ich hoffe, dass im Ernstfall jemand für mich zur Waffe greift. Und ich bin sehr dankbar, dass es Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr gibt, die dazu bereit sind.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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