Kurze Geschichte der Pastorinnen

Carlotta Israel untersucht die evangelische Frauenordination im geteilten Deutschland
Carlotta Israel
Foto: Heike Roessing

Erst seit wenigen Jahrzehnten können Frauen in der evangelischen Kirche in Deutschland als Pfarrerin ordiniert werden. Carlotta Israel (28) beschreibt in ihrer Dissertation den Weg der Frauenordination im geteilten Land.

Aufgewachsen bin ich in einem Pfarrhaus; meine Mutter war die Pastorin. Dass daran etwas anstößig sein könnte, habe ich lange nicht gewusst. Das Bild „Frau im Talar“ nahm ich als etwas Selbstverständliches hin. Nach dem Abitur in Lüneburg bin ich 2011 für einen Freiwilligendienst von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste an das Leo Baeck Institut in London gegangen. Dort entschied ich mich durch den Kontakt in den deutschen Auslandsgemeinden für das Theologiestudium. Heimat finden und anderen Menschen eine Heimat geben, diese Erfahrung hat mich motiviert, Pastorin werden zu wollen.

Während meines Theologiestudiums in Göttingen und Hamburg stellte ich fest, dass Kirchliche Zeitgeschichte kaum im Vorlesungsverzeichnis angeboten wird. Durch eine Lehrstuhlvertretung, die die Kirchenhistorikerin Katharina Kunter übernommen hatte, hatte ich das Glück, mich das erste Mal mit dem Thema Frauenordination beschäftigen zu können. Später bin nach München gewechselt, wo es mit dem Lehrstuhl von Harry Oelke und der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte einen Schwerpunkt darauf gibt. Nach meinem Ersten Theologischen Examen bekam ich ab April 2019 die Möglichkeit zu promovieren. So habe ich meine Dissertation zum Thema „Evangelische Frauenordination im geteilten Deutschland“ begonnen. Die Ost-West-Thematik hatte mich bereits als Kind interessiert, weil meine Eltern freundschaftliche und familiäre Kontakte in die DDR pflegten und ein historisch-politisches Interesse an meinen Bruder und mich weitergaben.

Für die Pfarrdienstrechte sind die einzelnen evangelischen Landeskirchen in Deutschland zuständig, so dass sich eine Aufarbeitung der Geschichte der Frauenordination grundsätzlich von dieser Perspektive aus nahelegt. Einen allgemeinen Überblick zu geben, ist deshalb schwierig. Für mich ist aber eine der Fragestellungen: Ist die konfessionelle Prägung das entscheidendere Kriterium oder das System? In meiner Dissertation widme ich mich deswegen den landeskirchlichen Zusammenschlüssen, also der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Evangelischen Kirche der Union (EKU), der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und dem Bund Evangelischer Kirchen in der DDR (BEK).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die sogenannte Theologinnenfrage in den einzelnen Kirchenkanzleien und extra gegründeten Ausschüssen der Zusammenschlüsse stark diskutiert. Nach Meinung einiger Beteiligter führte die Debatte fast bis zur Auflösung der VELKD. Insgesamt konnten sich die ostdeutschen Kirchenverwaltungen dem Thema eher annähern als die westdeutschen. So waren die Lutheraner im Osten auch schneller als die im Westen, wo diese tendenziell eher zurückhaltender waren und bremsten. Die unierten Kirchen kamen generell mit Frauen in Pfarramt besser zurecht, was an der Ämterlehre liegt. Bei ihnen ging es weniger theologisch aufgeregt zu.

Am Anfang gestand man Theologinnen Kindergottesdienst und die Arbeit mit Frauen und Mädchen zu, obwohl sie während des Zweiten Weltkriegs quasi komplette Pfarrstellen versehen hatten. Auch das Abendmahl durften sie wenn, dann nur Frauen spenden, nicht aber Männern. Die Logik dahinter betrachtet Frauen eindeutig als Sondermenschen und quasi nachrangige Christenmenschen. Erst im Laufe der Zeit zeigt sich, dass es um das gleichberechtigte Pfarramt ging, das Frauen übernehmen wollten. Ein langer Prozess, gerade in den lutherischen Kirchen. Ein gleichberechtigter Pfarrdienst wird in der VELKD erst Mitte der 1970er-Jahre erreicht. Auch bei der EKU gab es noch lange eine Pastorinnenverordnung, die 1962 verabschiedet und bis in die 1970er-Jahre hin bearbeitet wurde. Mit dieser eigenen Gesetzestradition war Gleichheit noch nicht erreicht.

Im 1969 gegründeten BEK wurden viele andere Themen diskutiert, nicht die Frauenfrage. Für die Kirchen in der DDR war zu diesem Zeitpunkt schon längst klar, dass sie die Frauenordination brauchen. Die kirchlichen Verhältnisse in Ost und West waren kirchenpolitisch sehr unterschiedlich. Viele Pfarrer hatten vor dem Mauerbau die DDR verlassen, so dass der Pfarrermangel auch vorher schon die Diskussionen um Frauen im Pfarramt beherrschte. Die Arbeit am Pfarrerdienstrecht des BEK dauerte noch bis 1982.

Während es nach dem Zweiten Weltkrieg einen Anmarsch in die gesamten Diskussionsfelder gab, mit Frauenbildern aus der „Schöpfungsordnung“ oder von Paulus, zum Amtsverständnis, mit der Frage, was die Ordination sei, der nach dem Zölibat, oder dem Entfallen der Ordinationsrechte nach Geburt von Kindern, scheinen diese Probleme in den 1970er-Jahren auf einmal nicht mehr vorhanden zu sein. Plötzlich wurden Verwaltungsakte abgearbeitet statt Diskussionen. In den Akten und Protokollen bemerkt man den Umbruch Ende der 1960er-Jahre, eine andere Generation tritt auf.

Bislang hatten die Pastorinnen ihre Rechte auch nicht als Akt des Feminismus verstanden, sondern wollten sie auf die Schrift gegründet wissen. Die wenigen Quellen von Theologinnen, die in den Akten der Landeskirchenzusammenschlüsse sind, haben mich da auch sehr überrascht. Zum Beispiel wollten sie bei einer vom Theologinnenkonvent initiierten Umfrage in den 1960er-Jahren lieber kein Beffchen als Teil ihrer Amtskleidung haben, sondern eine eigene. Gesellschaftsgeschichtlich geht das einher mit der Entwicklung des sogenannten Differenzfeminismus.

Die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarrberuf läuft schon seit Mitte der 1970er-Jahre, aber es werden voraussichtlich erst in fünfzehn Jahren die Hälfte der Pfarrstellen mit Frauen besetzt sein, denn die Mehrzahl der Theologiestudierenden ist weiblich. Insgesamt ist es eine sehr junge Geschichte. 

 

Aufgezeichnet von Kathrin Jütte
 

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Foto: Heike Roessing

Carlotta Israel

Carlotta Israel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München.

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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