Für die Moral der ersten Gemeinden

Friederike Haller forscht im Epheserbrief nach der Identität der frühen Christen
Friederike Haller
Foto: Rolf Zöllner

Der Brief an die Epheser, über den die Berliner Theologin Friederike Haller promoviert, zielt darauf, das Ethos einer „christlichen“ Gemeinde zu prägen. Die Logik des Briefes sei die: Gott hat dich errettet – was ist deine Antwort?

Zu meinem Promotionsprojekt über „Ethik und Ekklesiologie im Epheserbrief. Eine Identitätskonstruktion im frühen Christentum“ bin ich gekommen, weil ich gerne ein Thema im Neuen Testament anpacken wollte. Ich wollte mit der Möglichkeit religionsgeschichtlicher Vergleiche Begründungsstrukturen innerhalb einer ethischen Argumentation analysieren.

Die neutestamentliche Forschung ist sich beim Epheserbrief relativ sicher, dass er nicht von Paulus selbst stammt, sondern von einem ihm loyal gesonnenen „Schüler“ wohl in den Achtziger-, spätestens Neunzigerjahren des ersten Jahrhunderts verfasst wurde. Der Autor des Briefes ist ein gläubiger und gebildeter „Judenchrist“, der sich mit der Heiligen Schrift, den Psalmen und den Propheten, sehr gut auskennt. Er schreibt ein gutes Griechisch, mit dem er an paulinische Begriffe und Konzepte anknüpft, aber stilistisch teils stark von ihm abweicht. Berühmt ist ein Schachtelsatz in diesem Brief, der sich über zwölf Verse hinzieht und in der Forschung einmal als „monsterhaft“ beschrieben wurde, weil er aufgrund der unklaren Bezüge der einzelnen Nebensätze nur schwer zu deuten ist. Es ist meines Erachtens eher unwahrscheinlich, dass dieser Brief tatsächlich nur an die Gemeinde in Ephesos in der heutigen Türkei ging. Er zirkulierte sicherlich in mehreren Gemeinden der frühen Christenheit in Kleinasien. Ich glaube, dass er sich an die ganze Gemeinschaft der an Christus Glaubenden richtete und die Adressierung an die Gemeinde in Ephesos eher nachträglich hinzugefügt wurde.

Der Autor richtet sich wohl an die dritte christliche Generation. Diese Gruppe hatte meist, anders als in den Generationen davor, nicht mehr die Erwartung, dass Jesus Christus, bald wiederkommen werde. Sie richtete sich auf ein „christliches“ Leben in der Welt ein, womit drängende Fragen einhergingen: Wer sind wir? Sind wir anders? Anders als wer? Was machen wir und warum machen wir es? Was für eine Gemeinschaft sind wir, was ist „Kirche“? Meiner Einschätzung nach war der Autor des Briefes ein „Judenchrist“, schrieb aber wahrscheinlich an vor allem „heidenchristliche“ Adressaten – wobei ich den Begriff „Heiden“ immer nur in Anführungsstrichen nutzen würde. Sämtliche Begriffe „Juden/jüdisch“, „Christen/christlich“ und „Heiden/heidnisch“ waren ja nicht rein deskriptiv, sondern selbst Teil von identitätsbildenden, und das heißt abgrenzenden Prozessen.

Dem Briefschreiber ging es nicht nur, aber vor allem um das Ethos in den neuen „christlichen“ Gemeinden: Der hohe Anteil an ethischen Mahnungen und die mehrfache Argumentation mit einer Erinnerung an eine (fiktive) „heidnische“ Vergangenheit der Gemeindeglieder sowie die Abkehr von dieser Vergangenheit sprechen meines Erachtens für einen ethischen Fokus des Briefs und einen erhöhten Bedarf an Identitätssicherung.

Als Beispiele für diese Vergangenheit, die im Epheserbrief drastisch als „tot“ bewertet wird, kommen immer wieder Laster wie „Unzucht“, „Unreinheit“ und Habgier. Das sind Stereotypen, mit denen der Verfasser zweierlei erreichen möchte: Er möchte einen „Rückfall“ in einen möglicherweise attraktiven „heidnischen“ Lebensstil verhindern. Und er zieht eine scharfe Grenze zu „heidnischen“ Menschen, die er als sexuell unkontrolliert und habgierig karikiert. Diese ethischen Defizite begründet der Autor mit fehlender Gotteskenntnis. Dabei greift er auf damals gängige Klischees zurück, die in der einen oder anderen Form auch in „jüdischen“, anderen „christlichen“ und auch zum Beispiel stoischen Polemiken genutzt werden. Deutlich ist, dass es dem Schreiber einerseits darum geht, seine Adressaten von so wahrgenommenem Fehlverhalten abzuhalten und andererseits, die „Innengruppe“ durch eine stereotype Verurteilung der „Außengruppe“ zu festigen. Der Brief an die Epheser zielt also darauf, das Ethos einer „christlichen“ Gemeinde zu prägen. Der Verfasser vertritt ganz klar das Prinzip der Rettung durch Gott. Die Logik des Briefes ist die: Gott hat dich errettet – was ist deine Antwort?

Wichtig ist, dass der Text trotz einer zunehmenden Distanz zwischen „Juden“ und „Christen“ in dieser Zeit keine wirklich judenfeindlichen Passagen enthält. Die „Heiden“ vor beziehungsweise außerhalb einer Bekehrung zu Christus würden von bösen Mächten beherrscht. Anders die „Juden“, die zwar ebenso der göttlichen „Erlösung“ bedürftig seien wie alle anderen, diesen bösen Mächten aber nicht unterworfen seien.

Der Verfasser stuft also deutlich ab. Auch bedient er sich in Form von Schriftzitaten (des „Alten Testaments“) der „jüdischen“ Theologie und bezieht sich auf die Verheißungen an Israel. Und er schätzt (alttestamentliche) Propheten und Apostel gleich als Fundament für die Kirche. Man kann ihm deswegen keinen Antijudaismus unterstellen. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade das zweite Kapitel des Briefes im jüdisch-christlichen Dialog nach der Shoah eine wichtige Rolle spielte. Was man kritisch sehen kann, ist, dass der Verfasser im Grunde ab dem Zeitpunkt, da Christus gekommen ist, wenig bis kein Interesse an „Heiden“ oder „Juden“ außerhalb der Kirche zeigt. Ob er dieses tatsächlich nicht hatte, wissen wir nicht; wir können aber ableiten, dass es sich bei dem Epheserbrief um einen „internen“ Brief ausschließlich zur christlichen Innenkommunikation handelt.

Der Epheserbrief wurde und wird in der Forschung häufig als eine Art Grundsatztext zum Wesen der Kirche nach dem Verständnis des Paulus beziehungsweise seines Schülers gelesen. Der Schreiber entwirft hier tatsächlich ein ziemlich neues Kirchenbild, nämlich die Kirche als eine überörtliche und überzeitliche Größe. Die einzelnen Gemeinden sind sozusagen Teile eines großen Netzes. Aber ich möchte den Epheserbrief nicht ausschließlich und auch nicht primär auf die Kirche hin lesen. Mir scheint der ethische Impetus des Schreibers doch von größerer Bedeutung, als dies bisher in der Exegese herausgearbeitet wurde.

Ich empfinde es als Privileg, dass ich mich in meiner Doktorarbeit so intensiv mit dieser faszinierenden Schrift auseinandersetzen darf.

 

Aufgezeichnet von Philipp Gessler

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Foto: Rolf Zöllner

Friederike Haller

Friederike Haller ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.


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