Der Staat Israel

Neues Ziel von Judenhass

Judenfeindschaft – seit dem späten 19. Jahrhundert als „Antisemitismus“ bezeichnet – gehört zur DNA des christlichen, ja sogar des vorchristlichen Abendlandes. Eine Reaktion von Jüdinnen und Juden darauf war Ende des 19. Jahrhunderts der Wunsch, einen wehrhaften und beschützenden Staat ihr Eigen zu nennen. Dieser erst nach dem Holocaust Wirklichkeit werdende Wunsch aber war seit seinen ersten Artikulationen allemal Ziel von Judenhass – geradeso wie der 1948 gegründete Staat Israel bis zum heutigen Tag.

Diesem Phänomen widmet sich ein von Klaus Holz, dem Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland, und Thomas Haury – der zuletzt ein Buch unter dem Titel Antisemitismus von links publiziert hat – gemeinsam verfasstes Buch. Im Zentrum dieses ebenso präzise argumentierenden wie historisch weit ausgreifenden Bandes steht ein Phänomen, das als „Israel bezogener Antisemitismus“ bezeichnet wird.

Zu lernen ist daher nicht nur, dass und wie Stalinismus, DDR sowie linksradikale deutsche Terroristen den Judenstaat verteufelt und zum Inbegriff US-amerikanischen Imperialismus erklärt haben, sondern dass sogar schon Hitler und sein Chefideologe Alfred Rosenberg den Zionismus verteufelt haben, hieß es doch schon in Hitlers Mein Kampf: „Sie [die Zionisten, M. B.] denken gar nicht daran, in Palästina einen jüdischen Staat aufzubauen, um ihn etwa zu bewohnen, sondern sie wünschen nur eine mit eigenen Hoheitsrechten ausgestattete, dem Zugriff anderer Staaten entzogene Organisationszentrale ihrer internationalen Weltbegaunerei; einen Zufluchtsort überführter Lumpen und eine Hochschule werdender Gauner.“

Doch geht es bei alledem keineswegs nur um Vergangenheiten, sondern auch – und nicht zuletzt – um christliche Formen von antisemitischer Kritik am Staat Israel, wie sie sich zuletzt im „Kairos-Palästina-Dokument“ des Weltkirchenrates geäußert haben. Dabei rücken auch namhafte evangelische Christen Deutschlands ins Blickfeld, etwa der Heidelberger Theologe Ulrich Duchrow, dem die Autoren angesichts seiner Behauptung, der Staat Israel sei die „Speerspitze des Kolonialismus“, vorhalten, „eine recht krude Variante aus dem Arsenal der Judenfeindschaft“ mit theologischem Antijudaismus verbunden zu haben.

Systematisches Zentrum der komplexen, niemals unbegründeten Kritik an israelbezogenem Antisemitismus aber ist die Auseinandersetzung der beiden Autoren mit jüdischen Kritikern und Kritikerinnen israelischer Politik – hier vor allem mit der bewusst jüdisch auftretenden Judith Butler. Judith Butler – eine „israelbezogene Antisemitin“? Doch sind die Dinge so einfach nicht – ist doch auch Holz und Haury nur zu bewusst, wie kritikwürdig manche Züge der israelischen Politik sind. Weshalb sich die systematische Frage stellt: „Was wäre eine „proisraelische Politik“, die mit einer universalistischen Ethik vereinbar ist und die Antisemitismuskritik nicht unterläuft.“

Diese schwerwiegende Frage beantworten Holz/Haury mit einem Verweis auf die Tradition der idealistischen Philosophie, namentlich auf Hegels „Phänomenologie des Geistes“; sei doch die israelbezogene Antisemitismuskritik „eine Form des unglücklichen Bewussteins“, denn:

„Der ihr inhärente Universalismus lässt sich nur als bedingter Universalismus einlösen. Es ist zu wenig zu fordern, Antisemitismuskritik müsse von Rassismus unterschieden werden [….] Vielmehr ist die antisemitismuskritische Norm, dass keine Ungleichheit gegen Jüdinnen und Juden legitim sein kann, weil sie jüdisch sind, nicht auf eine partikulare Gruppe beschränkbar.[…]Nichts am Antisemitismus ist der Kritik zu entziehen, auch dann nicht, wenn die Kritik in Dilemmata, Ambivalenzen, Ungewissheiten mündet.“

Bei Hegel jedenfalls ist das „unglückliche Bewusstsein“ in sich entzweit, aber eben so, dass es auch immer sein Anderes bei sich hat. Das heißt in diesem Fall, dass eine moraluniversalistische Kritik israelischer Politik immer dann legitim und stimmig ist, wenn sie sich der Gefahr bewusst ist, sich antisemitischer Gedanken zu bedienen.

Es ist im Rahmen einer räumlich begrenzten Rezension nicht möglich, dem historischen Reichtum, der Schärfe der Argumentation sowie der materialen Fülle des übersichtlich gegliederten Bandes gerecht zu werden. Gleichwohl ist er zumal all jenen ans Herz zu legen, die sich aus grundsätzlichen moralphilosophischen oder theologischen Überlegungen heraus mit deutscher Verantwortung angesichts des Holocaust, des Israel-Palästina-Konflikts sowie mit Formen des antimuslimischen Rassismus befassen.

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