Unverblümt

Church Ladies aus den USA

Sich für den Richtigen aufheben, Sex vor und außerhalb der Ehe sowieso nicht – so haben es die schwarzen „Church Ladies“ aus dem Süden der USA in Deesha Philyaws Erzählband in Sonntagsschule und Kirche gelernt. Aber was, wenn da keiner kommt, es der Grundfalsche war oder es vielleicht eher eine Frau ist? Die Antworten, die ihre Figuren finden, sind allesamt Befreiungsversuche und dabei keineswegs nur auf Sex fixiert. Philyaws Ansatz ist also feministisch und krängt auf der Stoßkante von Bedürfnissen, religiös verbrämten Rollenzuschreibungen, tief verinnerlichten Normen und der Suche nach gutem Leben.

Die neun Geschichten, die sie dazu strikt undogmatisch, unverblümt und sehr lebenspraktisch erzählt, sind so erfrischend wie unterhaltsam. Mitunter geraten sie zwar an den Rand von Verhängnis, gerade weil es immer wieder um schwierige Töchter-Mutter-Beziehungen geht, in denen dann indes doch Sex für Erleichterung sorgt. Männerfeindlich sind sie jedenfalls nicht, illusionsarm aber schon. In den Gattungen variiert Philyaw gekonnt und gefällig. Da ist der Brief, den vier Halbschwestern einer fünften schreiben, die sie bloß vom Hörensagen kennen. Der gemeinsame Erzeuger ist tot. Sie habe ohne ihn nichts verpasst, soll es aber wissen, finden sie. Ansonsten enthält er viel lebhaften Klatsch und eine spürbare Wärme: Man muss diese Schwestern mögen. Dann ist es das Tagebuch einer marodierenden Teenagerin, die auf die Frau des Pastors steht. Ihre Granny liest heimlich mit, was fraglos schlimmer ist. Als einem Sugardaddy später alles um die Ohren fliegt, bleibt die Granny aber auf ihrer Seite. Gleich in der ersten, konventionell und wie sonst auch mit starken Dialogen erzählten Geschichte treffen sich zwei Freundinnen jedes Jahr zu Silvester. Sie feiern, haben Sex und erzählen Eula davon, dass sie jetzt ins Singles-Softball-Team der Gemeinde gehen solle, um endlich einen Mann zu finden. Geparkte Wagen könne schließlich nicht mal der Herrgott lenken. Als Jungfrau enden wolle sie nämlich nicht. Dann weint sie – weil Caroletta einen Tick zu lange schweigt: „Ich weiß gar nicht, was komischer ist: dass Eula glaubt, ich vierzigjährige Schachtel hätte in all diesen Jahren nie mit einem Mann Sex gehabt, oder dass sie uns für jungfräulich hält, nach allem, was wir in dieser Zeit miteinander gemacht haben.“ Was dann passiert, liegt zwischen Kingsize-Bett, Schaumwein und Zanken darüber, was Gott von einer Frau verlangen darf.

Platt ist das nicht, nur lebensnah. Für Skurriles hat Philyaw Gespür. Auch bei dem Mädchen, das Gott und den Reverend für eine Person hält: „An anderen Tagen waren meine Mutter und Gott schon im Schlafzimmer, wenn ich aus der Schule kam. Dann empfingen mich gleich beim Eintreten Stöhnen und ein stampfendes Geräusch. Ich schlich durch die Diele, um zu lauschen. „O Gott!“, schrie meine Mutter. Und Gott hörte ich auch.“ Der vom Geld der Gemeinde wohlhabende Alte ist natürlich verheiratet. Und ihre Mutter verdient als Kellnerin gerade so genug. Ausbeutung und Klassendünkel spießt Philyaw jedoch bloß nebenher auf. Sie konzentriert sich darauf, was Frauen aus sich heraus dagegenhalten. Das ist ein Manko. Philyaw gehörte verschiedenen Denominationen an und besucht heute keine Gottesdienste mehr, will die Zeit aber keineswegs missen: „Mich interessieren Erzählungen, die Schwarze Frauen unter sich oder mit niemandem teilen.“

Diesen Nagel trifft sie, aber nicht aus der Schlüsselloch-Perspektive: Sie reißt die Tür weit auf. Mitunter traut sie der Liebe zu viel zu. Doch dieser Glaube grassiert ja nicht nur unter „Church Ladies“. Ihre stets story-dienliche Bibelkenntnis beeindruckt. Den Geschichten gibt das eine zeitlos-menschheitliche Note, die man durchaus ernüchternd finden mag. Doch auch da kommt es wohl auf den Glauben an. Völlig verloren scheint sie ihn nicht zu haben. Er hört sich hier bloß viel frischer an.


 

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