In der Freiheit begründet

Wohin steuert die evangelische Publizistik? Eine Tagung in Tutzing
Moderator und Mitinitiator der Tagung in Tutzing: zeitzeichen- Chefredakteur Reinhard Mawick.
Foto: Frank Zeithammer
Moderator und Mitinitiator der Tagung in Tutzing: zeitzeichen- Chefredakteur Reinhard Mawick.

Für gut 48 Stunden trafen sich in der Evangelischen Akademie Tutzing Mitarbeitende der evangelischen Publizistik, um über die herausfordernde Lage in ihrer Branche zu diskutieren. Die von zeitzeichen mitorganisierte Tagung fasst Stephan Kosch zusammen.

Die evangelische Publizistik steckt in der Krise. Sinkende Auflagen in der Kirchengebietspresse bis hin zur kompletten Einstellung so traditionsreicher Titel wie der „Evangelische Kirchenbote“ in der Pfalz zum Ende des vergangenen Jahres sind da nur ein Indikator, wenn auch ein gewichtiger. Denn die generelle Krise des Print-Journalismus macht nicht halt vor den Redaktionstüren der evangelischen Wochenblätter: immer weniger Anzeigenkunden, immer weniger zahlende Abonnenten und noch immer kein Geschäftsmodell für das Internet, das die Einnahmeverluste ausgleicht oder gar überkompensiert. Zudem verlieren die Kirchen schneller Mitglieder, als noch vor kurzem erwartet – und damit wird auch der Kreis der potenziellen Leser*innen mit Interesse an kirchlichen Themen immer kleiner. Hinzu kommt: Die Kirchensteuereinnahmen sinken, was in den Redaktionen, die in der Regel abhängig sind von kirchlichen Zuschüssen, die Krisenstimmung verstärkt.

Gleichzeitig sind die Formen der evangelischen Publizistik vielfältiger geworden, Influencer, mal mit, mal ohne kirchlichen Auftrag, und eine wachsende Zahl von Social-Media-Angeboten bringen Sichtbarkeit im Netz, erreichen Tausende von Followern. Sie sorgen aber in der Regel auch nicht für neue Einnahmen und verwischen gleichzeitig zunehmend die Grenzen der verteilten Rollen zwischen Journalismus, kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit und Verkündigung in dem Gesamtgebilde „Evangelische Publizistik“. Und weil immer weniger Geld zur Verfügung stehen wird, dürfte sich dieser Trend noch verstärken, so zumindest einer der Eindrücke nach der Tagung „Evangelische Publizistik – wohin?“ in der Evangelischen Akademie Tutzing. Nicht umsonst war neben „Krise“ die „Freiheit“ und die Betonung ihrer Bedeutung für die evangelische Publizistik ein wiederkehrendes Motiv in vielen Beiträgen.

So begann Roland Rosenstock, Professor für praktische Theologie, Religions- und Medienpädagogik an der Universität Greifswald und einer der Mitorganisatoren der Tagung, seinen Eröffnungsvortrag überraschenderweise nicht bei dem Gründer der Inneren Mission Johann Hinrich Wichern (1808–1881), bei dem er den Beginn der selbständig organisierten evangelischen Pressearbeit verortet. Stattdessen erinnerte er an das Jahr 2012 und einen Streit um einen damals erschienenen Beitrag des Juristen Hans Ulrich Anke, bis heute Präsident des Kirchenamtes der EKD. In diesem hatte Anke Rosenstock zufolge vor allem den geistlichen Verkündigungsauftrag der evangelischen Publizistik betont und von dieser erwartet, dass die „auf die Botschaft der Kirche“ setze, „statt auf Nachrichten über die Kirche“.

Dies wurde damals in vielen Redaktionen als Angriff auf die journalistische Freiheit innerhalb der evangelischen Pu­blizistik gewertet. Stellvertretend reagierte damals Volker Lilienthal, langjähriger epd-Redakteur, mit heftiger Kritik und stellte die Frage nach der Unabhängigkeit des von der EKD finanzierten Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) und den dortigen Möglichkeiten für einen freien Journalismus. Rosenstock selber verwies am Ende in seinem Vortrag darauf, dass der erste Direktor des GEP, Roland Geisendörfer, „für die journalistische Freiheit innerhalb und außerhalb der verfassten Kirche“ eingetreten sei. Hingegen habe der bis März 2024 amtierende GEP-Direktor Jörg Bollmann den Aussagen Ankes nie öffentlich widersprochen. Und: Das GEP habe sich von einem Dachverband zur Förderung und Vernetzung der landeskirchlichen Presseverbände zu einem „wirtschaftlich konkurrierenden Mitbewerber gegenüber den föderal geprägten Medienverbänden gewandelt“.

Alles in allem also ein durchaus provokanter Auftakt, denn sowohl Hans Ulrich Anke als auch die neue GEP-Doppelspitze, in Form von Ariadne Klingbeil als kaufmännische und Stefanie Schardien als theologische Geschäftsführerin, nahmen an der Tagung teil. Eine grundsätzliche Debatte über die Freiheit von Journalisten innerhalb kirchlicher Strukturen fand aber im Verlauf der Tagung ebenso wenig statt wie eine Diskussion über die künftige Rolle des GEP. Letzteres war sicherlich der erst kurzen Amtszeit der neuen GEP-Spitze geschuldet, Ariadne Klingbeil hatte erst im Januar ihren Dienst angetreten, für Stefanie Schardien begann er sogar erst am 1. März, also am letzten Tag der Tagung. Und Hans Ulrich Anke wollte in seinem Vortrag nicht auf den Streit aus dem Jahr 2012 eingehen, sondern verwies auf die aktuelle Krise der Kirche, in der externe Faktoren mit hausgemachten Problemen zusammenwirkten. Die im GEP organisierte Publizistik sei Teil der Kirche, sagte Anke. Und die Aufgabe der Krisenbewältigung sei Teil ihres Dienstes. Diese sollte sie annehmen.

Kritisches Potenzial

Zudem forderte Anke eine stärkere Bündelung der Kräfte in der kirchlichen Kommunikation. Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit sei dies „längst schon überfällig“. Bislang fehle es an verbindlicher Steuerung, sagte Anke angesichts der föderalen Struktur im deutschen Protestantismus.

Zugleich betonte er, dass die Kirche das kritische Potenzial von professionellem Journalismus brauche. Für den Evangelischen Pressedienst (epd) sei dessen redaktionelle Unabhängigkeit eine „Notwendigkeit“. 

Die Freiheit der evangelischen Publizist:innen blieb also Thema. Auch bei Christine Ulrich, Redakteurin beim epd in Bayern und Doktorandin, die sich wissenschaftlich mit dem Wahrheitsdiskurs in seiner Bedeutung für die journalistische Arbeit beschäftigt. Trotz aller vermeintlichen post-faktischen Diskurse rund um Corona oder Donald Trump bleibe die Suche nach Wahrheit der Kern des Journalismus. Und das gelte besonders für Mitarbeitende der christlichen Publizistik, da sie sich in einer doppelten Wahrheitssuche befänden – einerseits als glaubende, anderseits als journalistisch arbeitende Menschen. Beiden Feldern liege das Prinzip der Zeugenschaft zugrunde und eine besondere innere Grundhaltung des Mutes und der Demut. „Christliche Publizistik ist prädestiniert für die Wahrheitssuche, weil sie in der Freiheit begründet ist.“

Diesen Faden nahm Ulrich Körtner, Professor für systematische Theologie an der Universität Wien, in seinem Vortrag auf. Wie freiheitsfördernd oder freiheitshemmend kirchliche Medien seien, zeige sich „konkret in ihrer Praxis der Presse- und Meinungsfreiheit, der journalistischen Sorgfaltspflicht, aber auch den Freiräumen, die Redaktionen und Verlagen von den Kirchen eingeräumt werden“. Evangelische Publizistik sei nicht mit kirchenamtlicher Pressearbeit zu verwechseln und müsse auch kritisch über die eigene Kirche berichten. Sie sei „eine innere Konsequenz des Evangeliums der Freiheit. Dieses ist das Medium der Freiheit schlechthin.“

Die evangelische Publizistik spiele in der Kirche eine vergleichbare Rolle wie die (Qualitäts-)Medien in der demokratischen Gesellschaft als vierte Gewalt. „Sie stärkt im besten Fall das Priestertum aller Getauften, wenn sie die eigenständige Meinungsbildung der Kirchenmitglieder über Entwicklungen und Themen in Kirche und Gesellschaft fördert, zugleich aber auch eine unverzichtbare Aufgabe für die zunehmend säkulare Gesellschaft erfüllt, in der es zunehmend an soliden Kenntnissen über Religion, Christentum und Kirche mangelt.“

Ein ebenso motivierendes wie anspruchsvolles Aufgabenprofil, dessen Umsetzung gerade auf den digitalen Kanälen mit einigen Herausforderungen zu kämpfen hat. Da ist zunächst die „Plattformisierung“ der digitalen Öffentlichkeit, die die Hamburger Professorin für Praktische Theologie Kristin Merle diagnostizierte. In dieser werde es für Kirchen immer schwerer, als relevant wahrgenommen zu werden. Denn allein die Adressatin entscheide darüber, was für sie relevant sei.

Doch auch nicht-kirchliche Medien hätten mit vielen neuen Problemen zu kämpfen, wusste Rieke Harmsen, Leiterin der Abteilung Crossmedia im Evangelischen Presseverband für Bayern, zu berichten. Sie berichtete via zoom aus New York, wo sie sich als Stipendiatin über aktuelle wirtschaftliche Trends der Medienwelt informieren konnte. Zu diesen zählen: Steigende Kosten bei sinkenden Erlösen, Nachrichten verlieren an Priorität auf den Social-Media-Kanälen, Geld wird vor allem über Sponsoring und Events verdient. Immer mehr Medien gäben auf, ganze Regionen in den USA seien mittlerweile Informationswüsten. Stiftungsfinanzierter Journalismus versuche, dagegen zu arbeiten, doch wenn eine Struktur einmal verschwunden sei, sei es schwer, diese wiederaufzubauen. Ein möglicherweise wichtiger Hinweis auch für die kirchliche Publizistik.

Weitere Berichte aus der Praxis lieferten Willi Wild, der Chefredakteuer von Glaube und Heimat, Dennis Pfeiffer, Leiter der evangelischen Nachrichtenagentur idea, und epd-Chefredakteur Karsten Frerichs, der vor einer „Imitation von Journalismus“ in der evangelischen Publizistik warnte: „Wo evangelischer Journalismus draufsteht, muss evangelischer Journalismus drin sein! Und von seiner Funktion her ist und bleibt Journalismus untrennbar mit dem Adjektiv ‚unabhängig‘ verbunden“, betonte Frerichs. Einen Einblick in die Zukunft der evangelischen Publizistik in Bayern gab Roland Görtz, Direktor des dortigen Evangelischen Presseverbandes und ebenfalls Mitorganisator der Tagung. Dieser wird zumindest räumlich künftig enger mit der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit verbunden sein, denn in München entsteht ein Kommunikations-Campus, in dem rund 80 Mitarbeiter adressatenbezogen „Content“ generieren und ihn auf unterschiedlichen Kanälen verteilen. Inwiefern die „reine Lehre“ der Trennung von unabhängig arbeitenden Presseverbänden von kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit bei diesem Campus-Modell auch zukünftig aufrechterhalten werden kann, bleibt abzuwarten.

Blick in die Zukunft

Zum Ende der Tagung blickte dann nochmal Florian Höhne, Lehrstuhlinhaber für Medienkommunikation, Medienethik und digitale Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, in die Zukunft der evangelischen Publizistik. Diese brauche „auch künftig Organisationsformen, die Freiheit ermöglichen“. Höhne brachte auch Finanzierungsmodelle wie Spenden und Crowdfunding ins Spiel. Mit Blick auf die von Robert Geisendörfer geforderte Anwaltschaft für die Schwachen und Stimmlosen in dieser Gesellschaft fragte er kritisch, ob evangelische Publizistik diese wirklich zur Geltung bringe. Und er forderte, der Hoffnung Raum zu geben, etwa durch eine Stärkung des konstruktiven Journalismus, der die Probleme benenne, aber immer auch nach konkreten Lösungsansätzen frage und diese vorstelle. Sein Vortrag wie auch viele andere Beiträge der Tagung und weiterführende Texte sind nachzulesen im am Ende des Textes angegebenen Buch und einer Dokumentation der Tagung, die demnächst beim epd erscheint. 

Literatur 
Reinhard Mawick/Willi Wild (Hg.): Evangelische Publizistik – wohin? Geschichte, Beispiele und  Zukunft kirchlicher Medienarbeit.Wartburg Verlag, Weimar 2024, 258 Seiten, Euro 20,–.

Weitere Beiträge zum Thema
www.zeitzeichen.net/node/11027 und www.zeitzeichen.net/node/11021

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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