Großes Kino

Sonntagspredigt

Die Gedanken zu den Sonntagspredigten für die nächsten Wochen stammen von Dorothee Löhr. Sie ist Pfarrerin in Mannheim.

Mut zur Lücke

Sonntag Exaudi, 12. Mai

Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden. (Johannes 16,7)

Aus meiner Zeit in der Kranken­hausseelsorge ist mir ein Kreuz liebgeworden, das Jesus als Lücke darstellt. Denn die Lücke, die Jesus nach seinem Tod hinterlassen hat, ist nicht nur Grund zur Trauer, sondern auch zum Trost. Und dieser kommt in Person, wird Begleiter und Führer auf dem Weg. Tröster, „Paraklet“, wie der Heilige Geist genannt wird, war ursprünglich die Bezeichnung für einen Anwalt vor Gericht.

Der Geist bringt Erinnerungen an Jesus zurück und vermittelt daraus neue Einsichten. Schritt für Schritt. Nicht auf einmal. Und Jesus sagt der verunsicherten Jüngerschaft mit diesem Augenöffner: Habe Mut zur Lücke! Versuche nicht, die Lücke zu füllen, die Menschen im Innersten bewegt. Denn es gibt einen Mangel oder eine Leere, die kostbar ist. Hüte sie, statt sie selbst zu füllen. Halte die Lücke offen für Gott und das Wirken seines Geistes. Und habe keine Angst vor Wunden – nicht vor denen der anderen und nicht vor den eigenen.

Die Jünger erkennen Jesus an seinen Wunden. Und auch uns bestimmen und prägen Verletzungen, die wir in unserer Lebensgeschichte erfahren. Wer liebt, leidet. Auch wir werden an unseren Wunden erkannt. Achte deshalb auf sie! Und sei Zeuge für die Kraft des Geistes Jesu. Seine Sendung und seine Botschaft mit einem Mut zur Lücke zu hören und weiterzutragen, ist unsere Aufgabe.

Licht am Horizont

Pfingstsonntag, 19. Mai

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, mein Gott, du weißt es. Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort! So spricht Gott der Herr zu diesen Gebeinen: Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet. (Hesekiel 37,3–5)

Herr, mach uns stark zum Mut, der dich bekennt.“ Mit diesen Worten beginnt Choral 154 im Evangelischen Gesangbuch (EG). Er gleicht einer Musik zu Hesekiels Vision, dem großartigen Film über das Lebendigwerden. 

Aber glaubt Hesekiel, was er sieht? Bilder von dahingemetzelten Toten kennen wir zum Glück fast nur aus dem Kino. Und bei Hesekiel gibt es keine Täter, Opfer und Ankläger. Denn alle sind tot. Glaubt der Prophet, was Gott ihm zu predigen aufgibt? Auferweckung der Toten? Hesekiel glaubt es nicht wirklich. Aber er glaubt auch nicht, dass er mehr weiß als Gott, sondern vertraut darauf, dass Gottes Horizont weiter reicht als sein eigener. 

Und es kommt anscheinend auch nicht darauf an, dass der Prophet mehr glaubt als die Anderen. Denn Hesekiel ist sterblich, wie wir alle. Der einzig Ewig-Lebendige ist nur Gott. „Ich rede es, und tue es auch, spricht der Herr“ (Hesekiel 37,14). Und so endet das Drehbuch für dieses unglaubliche Kino, dessen Autor Gott ist. Er allein ist die Quelle für den Mut, von dem das Lied singt, der Soundtrack zum Film. Die dies singen, sind nicht mutiger als andere. Aber sie geben dem Lebensatem Gottes eine Chance und vertrauen sich dem Gott an, der allein verwandeln kann. 

Gott sagt zum Propheten: „Sprich zum Odem: So spricht der Herr, komm herzu von den vier Winden und blase die Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden“ (Hesekiel 37,9). 

Wir spulen die Filmrolle der Schöpfung Gottes an den Anfang der Bibel zurück. Auch da hauchte Gott dem Menschen seinen Odem ein, nachdem alle Glieder geformt worden waren. Der Geist Gottes blieb eben nicht schwebend über den Wassern stehen, sondern wurde zum Atem alles Lebendigen.

Ein paar Kapitel weiter im Film erreichen wir ein grausames Ereignis der Menschheitsgeschichte: Jerusalem und sein Tempel wurden im Jahre 587 vor Christus durch Nebukadnezar zerstört. Die Schlachten sind geschlagen. Und die Toten Israels liegen zerstreut auf dem Feld. Ihre Klage hallt dem Propheten in den Ohren: „Unsere Gebeine sind verdorrt und unsere Hoffnung verloren“ (Hesekiel 37,11). Aber Hesekiel verkündet die Neuschöpfung des Gottesvolks aus den Gräbern. Er kennt das Drehbuch, auch wenn er es noch nicht erlebt hat. 

Wir sind im Kino Gottes schon einige Kapitel weiter als Hesekiel. Denn wir kennen den Menschensohn und Mittler Jesus Christus. Er besuchte nicht ein Totenfeld, sondern wurde selber ermordet und begraben. Aber Jesus nahm Gott mit in die tiefste Todeserfahrung hinein. Und – er ist nicht im Tod geblieben.

Verborgener Wille

Trinitatis, 26. Mai

In ihm (Christus) seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahr­heit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung – in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der ver­heißen ist. (Epheser 1,13)

Manches Testament wird durch den weisen, vorausschauenden Erblasser mit einem Siegel versehen, das erst aufgebrochen wird, wenn der Erbberechtige volljährig geworden ist. Vorher bleibt es beim Anrecht. 

Dieses Bild scheint für den Autor des Epheserbriefes ein Gleichnis der Heilsgeschichte zu sein, die noch nicht abgeschlossen ist. Der Geist ist das Angeld und Unterpfand, das an dem versiegelten Testament hängt, um zu zeigen, von wem es stammt. Aber eröffnet ist es noch nicht. Deshalb verstehen wir auch die innertrinitarischen Gespräche zwischen Vater, Sohn und Geist noch nicht. Unendlich, geheimnisvoll und mysteriös ist die Trinität Gottes. 

Wir können sie am Fest der Dreieinigkeit besingen und loben, aber nicht alles verstehen. Denn der Christ ist im Werden, nicht im Sein. 

Mut zur Wahrheit

Sonntag nach Trintatis, 2. Juni

Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der Herr. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? (Jeremia 23,28–29) 

Ein Prophet ist jemand, der pfingstlichen Rückenwind hat, Gottes fernes Wort seinen Nächsten weitersagen kann, für andere verständlich Zukunftsweisendes sagt. Auch jeder Getaufte ist fähig, Gottes Wort zu hören und weiterzusagen. Denn Prophetie hat nichts mit Wahrsagerei zu tun. Sie ist vielmehr ein Übersetzungsdienst. Wir sollen die Liebe Gottes ins Leben übersetzen, uns gegenseitig Orientierung geben, wahrhaftig sein und – auch vor denen warnen, die Menschen manipulieren wollen. Sagen, was Sache ist. Kurz, all das, was wir von wahren Freunden erwarten. Das ist unser prophetischer Dienst aneinander. Und wahre Liebe treibt sogar die Furcht aus, uns unbeliebt zu machen, wenn wir wahrhaftig sind und Unangenehmes ansprechen.

Jeremia hat sein ganzes Leben mit seinem Auftrag gehadert. Er wäre lieber ein unbeachteter Zeitgenosse in der Provinz geblieben, statt als ungeliebter und ungehörter Warner nach Jerusalem zu wandern, das bald zerstört werden wird. Vielleicht hätte er lieber das gesagt, was die Menschen hören wollten, auch wenn es nicht der Wahrheit entspricht. 

Unheilspropheten warnen vor der Katastrophe, auch wenn sie wissen, dass Menschen deshalb nicht umkehren und das Unheil daher nicht mehr aufgehalten werden kann. So erging es auch bekennenden Christen in der Nazizeit. Bis zu deren Ende blieben sie einsame Rufer. Aber dann gab es plötzlich viele, die es schon immer gewusst hatten und auf der richtigen Seite standen.

Jeremia verkündet schon vor der Katastrophe die unangenehme Wahrheit. Wie später Johannes und Jesus fordert er die Leute auf, umzukehren: Bessert euer Leben und euer Tun! Alle anderen Botschaften sind nur beschwichtigende Träume, irreführende Lüge, leeres Stroh.

Jeremia ist sehr deutlich: Er gibt hartes Brot statt leeres Stroh, Wahrheit statt Lügen. Er sagt Unwetter voraus, den Zorn Gottes über die Ungerechtigkeit. Mein Wort ist nicht harmlos, spricht der Herr, sondern brennt wie Feuer. Es ist „wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert“ (Jeremia 23,29). 

Pfingsten, das Fest der brennenden Liebe ist schon gewesen, und wir sind alle mit dem prophetischen Geist begabt. Wer Gottes Wort hört, versteht und in brennender Liebe beherzigt, hat die Kraft, auch versteinerte Verhältnisse aufzusprengen. Wir brauchen uns nicht mit Verharmlosungen und Vertröstungen abzugeben, weder für uns noch für andere. Vielmehr sind wir alle Propheten, können die Wahrheit wissen und weitersagen. 

 

Neue Maßstäbe

2. Sonntag nach Trintatis, 9. Juni

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. (Epheser 2,19–21)

Jeder ist Ausländer und hat kein Bürgerrecht, fast überall. Doch für das Bürgerrecht im Himmel gelten andere Regeln, weil Jesus „der Eckstein“ ist und für Christen Erkennungszeichen und Fundament. Damit ist er der Maßstab für alles gemeinschaftliche Bauen der Christenheit, ob wir eine Kathedrale mit Gewölbe planen, ein Zeltlager, ein Iglu, eine Höhle, ein Baumhaus oder eine Unterkunft für eine Wohngemeinschaft. Ob wir die Kirche ausbauen, rückbauen, umbauen, abbauen oder überbauen, Jesus zieht mit ein. 

Jesus, der Außenstehende, der Schwache und Sterbende, der sich nicht mit Gewalt durchgesetzt hat, ist der Maßstab jeder christlichen Lebensform. Er hat durch sein Leben, Sterben und Auferstehen die Maßstäbe dieser Welt durcheinandergebracht. Er hat die Liebe in den Hass eingepflanzt, die Gerechtigkeit in das gesetzliche Durcheinander, die Langmut in die Kurzatmigkeit der Welt. „Der immer schon uns nahe war, stellt sich als Mensch den Menschen dar“, beginnt ein Weihnachtschoral (EG 56).

Fremde? Einheimische? Anwohner? Gäste? Wir sind alle fremd. Aber er, der fremd war, kam uns nahe, so nahe wie ein Hausgenosse, Mitbürger, Mitmensch. So verwandelt uns Gott zu seinen Mitbürgern, Heiligen, Hausgenossen.

 

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