Warum diese Hilfe enden muss

Und weshalb das zuständige Bundesministerium aufgelöst werden soll
Auflösen? Das BMZ in Berlin. Foto: epd/Thomas Lohnes
Auflösen? Das BMZ in Berlin. Foto: epd/Thomas Lohnes
Nur noch in Katastrophensituationen sollten Geld und Hilfsgüter aus dem Norden in den Süden fließen, meint Rupert Neudeck, Gründer des Hilfskommittees Cap Anamur und Vorsitzender des Friedenskorps "Grünhelme". Jede andere Form der Entwicklungshilfe müsse auslaufen - zum Wohle Afrikas.

Ich will nicht gleich jetzt die Entwicklungspolitik abschaffen. Aber das "BMZ" genannte Ministerium sollte nicht mehr existieren. Und: Es sollte die "Entwicklungspolitik" nicht mehr so genannt werden, weil schon das Wort eine Beleidigung ist, wie mir mein bester afrikanischer Freund seit 31 Jahren immer wieder sagt: Abdulkarim Ahmed Guleid aus Somalia, jetzt Addis Abeba. Denn Afrikanische Länder und Menschen sind schon entwickelt.

Es sollte diese Politik nicht mehr eine zweite Außenpolitik sein, nach der man polit-diplomatische und entwicklungs-diplomatische Beziehungen mit Ländern aufnimmt, aufrechterhält und nicht gefährden will. Die Entwicklungspolitik, die ich noch haben will, sollte der Natur der Sache nach zeitlich limitiert sein, nach der sambischen Wirtschaftsexpertin Dambisa Moyo sollte sie noch fünf bis zehn Jahre gelten und gleichzeitig auslaufen. Das wird in der Realität unserer bürokratisierten Welt dann eher zehn bis zwanzig Jahre dauern. Aber nach zehn Jahren sollte der Abbau radikal beginnen. Das alles zusammengenommen wäre das Ende für die Denkweise, unter der die Entwicklungshilfe gemacht wurde.

Die Erbsünde

Die Erbsünde der deutschen Entwicklungspolitik besteht darin, dass sie das Vorbild des Marshallplans der USA nicht aufgegriffen hat. Dieser war von vornherein begrenzt. Ein Anstoß zum Selbermachen und Selberweitermachen, während sich die staatliche Institution der Entwicklungshilfe so verselbständigt hat, dass sie aus der Realität der afrikanischen Länder kaum mehr wegzudenken ist. Diese Art von Unterstützung steht noch mit beiden Beinen in der Zeit des Kalten Krieges. Wir belohnten und bestraften Länder aus Afrika, Lateinamerika und Asien dafür, ob sie unserem jeweiligen Lager freundlich gegenüberstanden oder nicht. Wir bundesrepublikanischen Deutschen verschärften das Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip noch, wenn es eine dieser Regierungen gewagt hatte, die DDR anzuschauen, wahrzunehmen und vielleicht sogar zur Feier der endlich erlangten Unabhängigkeit einzuladen.

Immer gab es aber auch die bürokratische Verstetigung dessen, was einmal beschlossen worden war. Die Operation Lifeline Sudan verdeutlicht das wie in einer Karikatur. Da gab es in einem Jahr eine schlimme Dürreperiode und eine harte Hungersnot. Die uno richtete einen Stützpunkt an der Grenze von Kenia zum Sudan ein, mit sechs dickbäuchigen Hercules-Flugzeugen, die eigens für den Abwurf von Nahrungsmitteln aus der Luft ausgerüstet waren.

Und was entwickelte sich daraus? Ein Einfallstor mit Hotel- und Restaurantbetrieb für Hunderte von Nichtregierungsorganisationen. Inzwischen sind dieser Stützpunkt und das Abwerfen von Nahrungsmitteln aus der Luft institutionalisiert worden. Die Politik hat sich darin eingerichtet, "nice to the people" zu sein und ihnen etwas zu schenken, es ihnen zu übergeben oder aus der Luft auf die Köpfe zu werfen.

Maissäcke wie Bomben

Ich erinnere mich an eine Begebenheit, die sich 1998 in dem Ort Assernie in der Nähe von Rumbek im Südsudan zutrug. Wir hatten vor Ort erlebt, dass die Ernte gut war, es keinen Hunger, aber auch keine Medizin gab. Deshalb waren wir in der Gegend herumgefahren und hatten nach einem Platz für eine kleine Dorfambulanz gesucht. Wir hatten ihn bald gefunden und legten uns in unseren "Tukulls", wie die kleinen sudanesischen Schilfrohrhäuschen heißen, zur Nachtruhe. Am nächsten Morgen wurden wir vom ohrenbetäubenden Lärm eines Flugzeugs geweckt, das erst einmal eine Runde über uns drehte und anschließend bei einer Waldschneise um das Dorf herum Hirse und Maissäcke wie Bomben herunterfallen und -knallen ließ.

Was war geschehen? Der Schweizer Botschafter aus Nairobi hatte sich in einem eigenen Flugzeug hierherbringen lassen. Er hatte den Dorfältesten gefragt, ob dieser Nahrungsmittel brauchen könne. Auf so eine Frage sagt ein Ältester in einer Bürgerkriegssituation nie Nein. Und der Botschafter hatte am Abend die Zusage, dass über dieser Ortschaft Nahrungsmittel abgeworfen werden würden. Wir konnten uns selbst davon überzeugen, dass diese Maßnahme vollkommen sinnlos war. Aber sie geschah.

Ein zweites Beispiel: China, die nach den USA wahrscheinlich zweitmächtigste Wirtschaftsnation der Erde, die jetzt den Europäern und der EU zur Euro-Rettung zu Hilfe kommt, steht weiter auf dem Verteiler der deutschen Entwicklungspolitik. Die deutschen Institutionen, die am härtesten dagegen protestiert haben, dass man diese Hilfe einstellt, waren die katholische und evangelische Kirche. Der eigentlich Grund für diese Proteste ist, dass sie in diesem Land eine große Zahl von Arbeitsplätzen zu verlieren haben.Je mehr Arbeitsplätze und Entwicklungsindustrie-Einnahmen aus der Entwicklungspolitik hier bei uns bleiben, umso besser ist es.

Da wird zum Beispiel mit großem Aplomb eine Institution aufgebaut, die nur wenig damit zu tun hat, dass sich Länder, Völker und Volkswirtschaften selbst weiterbringen sollen. "Weltwärts" heißt das unter anderem mit Steuergeldern finanzierte Programm, das natürlich jubelnd von Eltern, Kirchen und Gemeinden und unterbeschäftigten Jugendverbänden begrüßt wurde. Denn nun können junge Menschen zu ihrer eigenen Bewusstseinsbildung in zahlreiche Länder geschickt werden - auf Kosten der Steuerzahler.

Radikal durchgreifen

Was hingegen zum Greifen nah ist: Den jungen Menschen in Afrika, die bis zu 60 Prozent ihrer Gesellschaften ausmachen, fehlt es an Arbeitsplätzen und an Berufsausbildung. Statt in den vergangenen fünzig Jahren mit Milliarden an Entwicklungsgeldern Produktionsstätten und Arbeitsplätze, Verkehrs- und Energie-Infrastukturen aufzubauen, haben sich die Helfer auf den faulen Ausreden der Politiker und sonstiger Fachberater ausgeruht und die Länder immer weiter herunterentwickeln lassen.

Noch heute könnte ein umfangreiches Maßnahmen-Programm mit den begrenzten Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) auf die Beine gestellt werden, große Infrastrukturprojekte könnten -zigtausende junger Menschen in Arbeit bringen. Stattdessen verzettelt sich der Riesenapparat des Ministeriums in alle nur denkbaren Arbeitsbereiche einer funktionierenden Volkswirtschaft, Entwicklungsindustrie und Evaluationsmaschinerie, die all das hervorbringen soll, was die Realität vor Ort nicht hergibt. Deshalb sollte radikal durchgegriffen, das Ministerium gestrichen werden und in den nächsten fünfzehn Jahren als Abteilung des Auswärtigen Amtes weiterexistieren. Der ganze Apparat muss zurückgefahren werden. Das Ministerium sollte Schritt für Schritt einem Rückbau unterzogen werden. Damit wäre die Rolle dieses Politikbereiches nicht länger die einer heimlichen zweiten deutschen Außenpolitik, sondern einem Schrumpfungsprozess unterzogen, der nach zehn, spätestens zwanzig Jahren ein Ende finden würde.

Kaum entbehrlich

Ich weiß, dass das in unserer Gesellschaft kaum machbar ist, denn die Stellenpläne dieses Ministeriums sind für die relative Ewigkeit ausgewiesen. Ich weiß das, weil ich auch einmal Nutznießer einer solchen Struktur war. Damals war ich fest angestellter und bestverdienender Redakteur des Deutschlandfunks, der für eine bestimmte Aufgabe gegründet worden war: Die "Brüder und Schwestern in der Zone" zu informieren. Als die Wiedervereinigung nahte, wurde klar: diese Aufgabe würden die Ostdeutschen nach dem Wegfall der Mauer selbst erfüllen können.

Aber Pustekuchen. Sobald sich etwas derart heftig und stark in alle bürokratischen Räume der Politik eingegraben hat, bekommt man das als deutsches Eigenbedürfnis nie mehr weg. Sogar ein passendes Berufsbild ist entstanden. An der Universität Bochum kann man inzwischen den Titel eines diplomierten Entwicklungshelfers erwerben. Mit diesem neuen Berufsbild will man sich wohl kaum entbehrlich machen.

Die Menschen, die für die Entwicklungshilfe, die staatliche, die private und die QuaNGO-Hilfe, nach draußen gehen, verdienen besser als Beschäftigte, die nach normalen bundesrepublikanischen Tarifverträgen bezahlt werden. "QuaNGO" steht für "Quasi-Gouvernmental-Organisatioin", das ist der neue Begriff, den Franz Nuscheler für Organisationen geprägt hat, die sich fälschlicherweise noch "Nichtregierungsorganisationen", also "NGOs" nennen, aber längst von der eigenen Regierung oder der EU-Kommission abhängig sind.

The bottom Billion

Die Dritte Welt gibt es nicht mehr. Lateinamerika und Asien werden es schaffen oder haben es bereits geschafft. Was bleibt, ist der Sorgenkontinent Afrika. "The Bottom Billion", von denen Paul Collier in seinem bewegenden und epochalen Buch spricht, ist die Milliarde, die in Afrika lebt und immer stärker wächst. Gewiss, es gibt die Probleme in Haiti sowie für eine begrenzte Zeit auch noch die in Afghanistan und Nordkorea. Aber das sind Ausnahmen, die die Regel kaum verletzen. Afrika hat die Mittel in den nächsten zehn Jahren so bitter nötig, dass man nicht darüber diskutieren sollte, ob und wenn ja und wie lange wir China noch weitersubventionieren sollten.

Dies ist mein Vorschlag für die nächsten zehn Jahre: Die Hauptanstrengung der deutschen Entwicklungspolitik müsste in der Begründung einer Partnerschaft mit zwei Ländern Afrikas liegen. Andere EU-Staaten müssten andere afrikanische Länder übernehmen, so dass die Geber sich nicht länger nationale Konkurrenzen leisten und die Nehmernationen nicht mehr zwischen den Gebern auswählen können.

Das Ganze hat nichts mit einer der ganz großen Errungenschaften der Neuzeit zu tun, Barmherzigkeit, die in schreienden Katastrophen zu Hilfe kommt. Diese Art der Hilfe bleibt bis auf Weiteres eine Aufgabe der gesamten Menschheit und ist eine der größten Errungenschaften und Fortschritte der Moderne.

Alles andere sollte in allerspätestens zwanzig Jahren zurückgefahren sein. Die Märkte Afrikas müssen in einem Rahmen wachsen und boomen, der Afrika angemessen ist. Das Ministerium sollten wir jetzt schon als eines planen, das sich in den nächsten zwei bis drei Legislaturperioden schrittweise in Luft auflöst.

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Rupert Neudeck

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