Dementoren im Pfarrhaus

Wenn der Frust am Berufsende auch den Jungen die Kraft aussaugt
Foto: Harald Oppitz

Das Schöne an meinem Beruf ist: Ich unterrichte engagierte Leute, die richtig Lust haben, Pfarrer*in zu werden. Eine „Einheitsbiographie“ gibt es schon länger nicht mehr. Manche Vikar*innen kommen gerade aus dem Studium, andere haben bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen und einen Masterstudiengang absolviert. Die meisten haben Auslandserfahrung. Eine bunte, interessante, spannende Truppe.

Meiner Ansicht nach bilde ich die Leute für einen Beruf aus, der ihre vielfältigen Kompetenzen fordert und fördert. Diese Menschen werden nicht in ausgetretene, dröge Pfade entlassen, die vom Dienstbeginn bis zum Eintritt in die Pensionierung keine Überraschungen bieten. Für die Zukunft ist Bergsteigen angesagt. Oder auch mal eine Höhlenwanderung. Sie werden nicht allein unterwegs sein, sondern im Team mit anderen Professionen – aber das sind sie ja schon von ihrer Ausbildungsgruppe her gewohnt.

Die neuen Pfarrer*innen werden eine Kirche mitgestalten, die sich gerade neu erfinden muss und darf (!); in einer Gesellschaft, die zwar nicht mehr mehrheitlich aus Kirchenmitgliedern besteht, die aber doch dringend die Kompetenz und Präsenz von Kirche braucht und erst recht deren frohe Botschaft. Die Gesellschaft braucht Notfallseelsorge, Diakonie und Ethik. Oder auch die Seelsorge „zwischen Tür und Angel“, die immer wieder angefragt wird. Unsere Ausbildung im Theologischen Seminar muss daher so gestaltet sein, dass sie angehende Pfarrer*innen mit dem notwendigen Reisegepäck für diesen anspruchsvollen Weg ausstattet und ihnen Zutrauen gibt, selbst etwas bewirken zu können. Auch dies ist eine spannende Herausforderung.

Nicht  eine einzige Antwort

Was mich betrifft: Ich habe noch keinen Tag bereut, meine Stelle angenommen zu haben. Ich bin beeindruckt davon, wie neugierig und engagiert die jungen (und älteren) Vikar*innen sich in Kooperationsprozesse und Strukturfragen einarbeiten.

Leider teilen nicht alle erfahrenen Pfarrpersonen diese Einstellung. Bei dem, was mir die Vikar*innen oder Pfarrer*innen im Probedienst erzählen, rollen sich mir die Fußnägel hoch. „Heute würde ich nicht noch mal Pfarrer werden wollen,“ lautet etwa oft die Begrüßung bei einer Pfarrkonferenz. „Tut mir echt leid für Sie, dass Sie diesen Mist wuppen müssen.“ Eine junge Kollegin, die die Kolleg*innen in der Nachbarschaft – allesamt kurz vor dem Ruhestand – zu einem Treffen einlädt, um über die Gestaltung des Kooperationsraums zu sprechen, bekommt auf ihre Einladung nicht eine einzige Antwortmail. Als sie nachfragt, erklärt ihr ein Kollege, dass das Thema sie Ältere schließlich nicht mehr sonderlich tangieren würde, sie würden ja bald pensioniert. Kurz darauf erfährt sie, dass die Kollegen sich ohne sie getroffen haben. „Wir wollten uns halt mal persönlich und unter uns kurzschließen.“

Eine Vikarin sitzt in der Pause der Pfarrkonferenz an einem Tisch mit Kolleg*innen Ü50. Das Gespräch dreht sich ausschließlich (!) um die Frage, wo man wohnen kann, wenn man aus dem Pfarrhaus ausziehen muss. Ohne Zweifel eine wichtige Frage, aber warum kommt niemand auf die Idee, die junge Frau zu fragen, wie es ihr im Vikariat ergeht, was sie für Fragen hat, ob jemand ihr vielleicht mit Rat und Tat zur Seite stehen könnte? „Ich habe mich selten so gelangweilt! Was ich wirklich doof fand: Nachdem sie die ganze Zeit nicht mit mir geredet haben, hat mich einer abschließend gefragt, ob ich seine Urlaubsvertretung übernehmen könnte.“ Ja, das hätte ich auch „doof“ gefunden - und mehr als das!

Haltung der Resignation

Was ich schildere, sind leider absolut keine Einzelfälle. Es ist eher die Regel, dass die Vikar*innen solche Erfahrungen machen. Und das ist ein Problem! Denn wenn die innere Emigration und Frustration von Pfarrpersonen in den letzten zehn Dienstjahren solche Ausmaße annimmt, dann ist zu fragen, was für Auswirkungen das sowohl auf die Motivation der kommenden Generation als auch auf die Gemeinden hat. Ich kann mir ausmalen, wie die Predigten, die Konfi-Arbeit, der Religionsunterricht oder die Arbeit mit Ehrenamtlichen aussehen. Es ist eine Haltung der Resignation, gepaart mit Unhöflichkeit, die abschreckend wirkt. Und vielleicht ja auch abschreckend wirken soll. So kommt niemand auf die Idee, mehr als das unbedingt Nötige an Kooperation und Engagement von Leuten zu verlangen, die innerlich schon längst gekündigt haben.

Schade! Nicht nur, dass es älter werdenden Gehirnen gut tut und es demenzvorbeugend wirkt, wenn man sich neuen Herausforderungen stellt: Es sind doch lange Jahre für alle Beteiligten, wenn Leute keine Lust mehr an ihrer Arbeit haben. Ich verstehe schon, dass die Umsetzung neuer staatlicher Vorgaben (Stichwort Umsatzsteuer) und die Lektüre von Kirchenaustritten nicht vergnügungssteuerpflichtig sind. Auf der anderen Seite hat man mit jahrzehntelanger Erfahrung auf dem Buckel und der damit verbundenen Routine doch auch die Möglichkeit, Zeitfenster und Engagement für die gemeinsame Suche nach Visionen für diese Kirche freizuschalten. Das ist auch gut biblisch, denn schon die ersten Christen waren zuversichtlich auf einem Weg, der sich erst im Gehen und Entdecken ergeben hat.

Ich frage mich, ob die Haltung innerer Emigration von Pfarrpersonen als dringende Herausforderung für kirchenleitende Gremien identifiziert werden muss. Denn man kann ja nicht warten, bis auch die letzten der älteren Kolleg*innenrunde eine Wohnung für den Ruhestand gefunden haben oder pensioniert worden sind. Die neuen Kolleg*innen stehen in den Startlöchern. Sie brauchen Gesprächspartner*innen. Und keine Dementoren, die ihnen die Energie aussaugen.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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