Klimafragen im Museum

Mannheimer Kunsthalle zeigt die große Ausstellung „1,5 Grad“
Otobong Nkanga, Unearthed – Twilight, 2021, Tapisserie, Kunsthaus Bregenz (oben). Rechts: Eugen Bracht, Hoeschstahlwerk, Dortmund, Mittagspause, 1906, Öl auf Leinwand, Kunsthalle Mannheim.
Foto: Markus Tretter/© Otobong Nkanga, Kunsthaus Bregenz
Otobong Nkanga, Unearthed – Twilight, 2021, Tapisserie, Kunsthaus Bregenz (oben). Rechts: Eugen Bracht, Hoeschstahlwerk, Dortmund, Mittagspause, 1906, Öl auf Leinwand, Kunsthalle Mannheim.

Um „Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“ geht es in der neuen Schau der Mannheimer Kunsthalle. Mehr als 200 Werke werden unter dem Titel „1,5 Grad“ aufgeboten, eigener Bestand ebenso wie Leihgaben; einige Arbeiten wurden extra für die Ausstellung angefertigt. Der Kulturjournalist Thomas Groß hat sich die Präsentation angesehen.

Das Ausstellungshaus in Mannheim heißt noch immer Kunsthalle. Die derzeit dort gezeigte Schau trägt den Titel „1,5 Grad“, und wie ihr Name weiter besagt, geht es darin näher um „Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“. Und die Kunst? In einer Ankündigung zu dem Ausstellungsprojekt steht der Begriff „Kunstwerke“ erstmals in der sechsten Zeile. Am Anfang liest man die kaum noch bestreitbare Feststellung: „Die Klimakrise nimmt auf alle Lebensbereiche Einfluss!“ Also, so schließt man, betrifft das eben auch die Kunst. Erwähnt wird zudem das Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015, die Erderwärmung um die Titel gebenden 1,5 Grad zu begrenzen, damit negative Folgen beherrschbar bleiben – und dass dieses Ziel kaum noch zu schaffen ist.

Dass sich die Kunst einem landläufigen Zweckdenken und bekannten Anschauungs- und Verständnisweisen beharrlich widersetzen würde, wie es auf ihre Weise auch Theoretiker wie Theodor W. Adorno und Martin Heidegger betonten, gilt für die zeitgenössische Kunstproduktion ja nur noch zum Teil. Und erst recht das internationale Kunstschaffen verlangt eine Variation hergebrachter, eurozentrischer Deutungskriterien. Auch das bestätigt diese Schau. Konkrete zeitgeschichtliche Bezüge waren freilich nie ausgeschlossen. Hier nun wurden die Exponate danach ausgewählt, ob sie (irgendwie) zum Klimakomplex passen. Mehr als 200 Werke werden aufgeboten, aus eigenem Bestand ebenso wie Leihgaben; einige Arbeiten wurden eigens für die Ausstellung angefertigt. Und über den ästhetischen Mehrwert einzelner Exponate lässt sich, wie gewohnt, auch streiten. Die Fotoinstallation „Covering“ von Marianna Simnett, die den arrangierten Begattungsvorgang zwischen einem Deckhengst und einer Pferdestute dokumentiert, ist dafür ein auffälliges Beispiel.

Außer neuen Arbeiten wird auch der ältere Sammlungsbestand aufgerufen, eine expressionistische Naturdarstellung von Ernst Ludwig Kirchner etwa oder die nüchtern-neusachliche Ansicht eines Stahlwerks von Eugen Bracht, das mit seinen rauchenden Schloten auf heutige Betrachter recht bedrohlich wirkt. Farbige Markierungen im Neu- und Altbau des Museums weisen bestimmte Werke dem 1,5-Grad-Komplex zu.

Rauchende Schlote

Die Grafikausstellung „Das Insekt“, die etwas später im Jugendstil-Trakt eröffnet wurde und detailverliebt die Kleinlebewesen in Szene setzt, wird ebenfalls dem Klimaprojekt zugerechnet. Das Ganze ist zudem eine Kooperation mit der Mannheimer Bundesgartenschau, auf deren Gelände auf Spinelli, einer städtischen Konversionsfläche, zwei ebenfalls zur Ausstellung zählende Installationen auf Besucher warten. Dem Leitbegriff des ökologischen Gleichgewichts sind die begehbaren Arbeiten noch besonders verpflichtet, schließlich beansprucht die Gartenschau, die nachhaltigste ihrer Art zu sein. Die Installation von Olaf Holzapfel ist aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt, diejenige von Fabian Knecht versetzt in ihrem Inneren in ein Pflanzenreich.

Der mit Abstand größte Teil der Schau findet sich indes im Museumsneubau. Dort ist er in unterschiedlicher Größe auf allen Etagen vertreten und in so genannte Fragmente aufgeteilt. Das darf man als zweifache Anspielung verstehen – darauf, dass auch kleinere Beiträge zum nachhaltigen Gesamtziel eine Würdigung verdienen und dass man sich ihm auf ganz verschiedene Weisen nähern kann. Im Auditorium beginnt der Rundgang mit einer Videoinstallation des Spaniers Daniel Canogar: Was hier komplex und farbig vor dem Auge des Betrachters vorüberfließt, sind die visualisierten Daten des gesamten deutschen Energieverbrauchs vom jeweiligen Vortag. An der Wand daneben hängt eine weitere Installation von Fabian Knecht, bestehend aus Thermometern. Mit Ausnahme von einem geben sie in Form von blauen Säulen zu niedrige Temperaturen an; das eine aber zeigt die tatsächliche Raumtemperatur, nachdrücklich in der Signalfarbe Rot. Lässt sich solch eine Arbeit als künstlerischer Aktivismus charakterisieren? Was sich im Erdgeschoss daran anschließt, haben die Ausstellungsmacher jedenfalls so genannt. Aber natürlich stößt man hier nicht auf eigentlichen, direkten Protest, sondern zunächst auf eine begehbare Installation des Brasilianers Ernesto Neto. Der Boden und die aus Seilen geflochtene Decke sind durch Stricke verbunden. Wer dabei Lianen assoziiert, denkt rasch auch an den Ur- und Regenwald, dessen Bedeutung fürs ökologische Gleichgewicht kaum zu überschätzen ist.

Gehäkelte Bilder

Was auf diese Arbeit folgt, beeindruckt ebenfalls mit sinnlicher Qualität: Die Argentinierin Guadalupe Miles porträtiert in einer Fotoserie die indigenen Gruppen der Wichi und Chorote, die unter der Umweltverschmutzung in ihrem angestammten Lebensraum besonders leiden. Farbenprächtig wirken daneben die aus Wolle und Kunstfasern gehäkelten Abbilder von Korallenriffs von Margaret und Christine Wertheim. Dass ein politischer Akzent auch Ironie nicht ausschließt, zeigt der „Rat Singer“ von Romuald Hazoumé. Aus einem Meer aus Benzinkanistern ragt die Spitze eines sinkenden Bootes empor; eine noch dort ausharrende Ratte mit Sonnenbrille steht auf Geldkoffern und setzt an zum womöglich rettenden Sprung. Eine zusätzliche Note verleiht dieser Arbeit die formale Nähe des Arrangements zur Land-Art, die in der Schau an anderer Stelle durch Richard Long repräsentiert ist.

Am meisten beeindruckt im Erdgeschoss „Controlled Burn“, eine Videoinstallation von Julian Charrière, die kosmische wie auch apokalyptische Assoziationen weckt und auf einem Feuerwerk basiert, das mit mehreren Kameras aufgenommen wurde und vor dem Auge rückwärts abläuft. Ob sich Naturmächte wirklich kontrollieren lassen von begrenzten Wesen wie dem Menschen, fragt man sich hier und stößt im folgenden „Fragment“ der Schau dann auf eher nüchterne Akzentuierungen dieser Frage. Unter dem Titel „Labor“ werden auch neue Technologien künstlerisch aufgegriffen und als Lösungsansätze präsentiert. Mit ihnen verbindet sich die Hoffnung, der Welt bewahrend beizustehen, statt sie immer nur weiter auszubeuten. Die dänische Künstlergruppe Superflex dokumentiert ihr Engagement für ökologische Biogasanlagen, während die griechische Künstlerin Kyriaki Goni auf beeindruckende Art grafisch die Idee illustriert, große Datenmengen in der DNA von Pflanzen zu speichern, was zumindest helfen könnte, Unmengen an Strom zu sparen. In diesem Kontext verdient auch ein fast vierzig Jahre altes Werk aus der Mannheimer Sammlung Erwähnung: Jannis Kounellis’ unbetiteltes Arte-povera-Objekt aus staubigen Kohlesäcken erinnert daran, dass fossile Energieträger an sich ja ein neutraler Teil der Natur sind.

Für übergeordnete Perspektiven steht dann besonders ein Raum im Obergeschoss. Anselm Kiefers Zyklus mit Sternenbildern sowie sein Bildrelief „Jaipur“ erhalten hier ein ebenfalls großformatiges und gleichsam erdendes Gegenstück in Form einer Tapisserie der nigerianischen Künstlerin Otobong Nkanga; um Land und Meer geht es dabei, um den Raubbau an beidem und um menschliche Opfer. Ja, der Mensch: Irgendwie steckt er hier hinter allem, bleibt aber oft unsichtbar, wofür stellvertretend der gut sichtbar platzierte „Filzanzug“ von Joseph Beuys steht. Dessen namenloser Träger ist gleichsam hinzuzudenken, doch kommt es auf ihn gerade auch in puncto Klimakrise an. Daran erinnert die Ausstellung „1,5 Grad“ im Zusammenhang von Kunst und Ästhetik.

Fossiles Zeitalter

Anregungen und Kunsterlebnisse findet man hier reichlich. Und es bleibt kein Zweifel, dass es nicht genügt, mehr oder weniger bekannte Fragen aufzuwerfen. Wir brauchen auch rasch Antworten und Handlungskonsequenzen. Das alles wird übrigens vorgeführt, ohne näher auf den Begriff der Schöpfung zu rekurrieren. Grundüberzeugungen und Weltanschauungen gelten hier als sekundär. Wie viel Hoffnung man aus all dem schöpfen kann, ist auch im Lichte aktueller Ereignisse zu sehen. Russlands Krieg gegen die Ukraine wird ja gewissermaßen auch mit dem Ziel geführt, das fossile Zeitalter noch länger fortzuschreiben. Und das hat außer der humanen Katastrophe natürlich auch keine guten Folgen fürs Klima.

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