Dürers Rache

Von "Betenden Händen" und einem Stinkefinger
Foto: privat

Ein Kupferbild von Dürers Zeichnung „Betende Hände“ hing in der Stube meiner Kindheit. Die zum Gebet zusammengelegten Hände gehören zu den bekanntesten Werken Albrecht Dürers, der wiederum der bekannteste Renaissance-Künstler Deutschlands ist. Als frommes Bildchen haben die Hände ganz unabhängig vom sonstigen Œuvre Dürers auch in kleinbürgerlichen und proletarischen Haushalten Karriere gemacht. Dass es sich bei der Zeichnung nur um eine Skizze für ein viel größeres Auftragswerk handelt, ist mir erst neulich zur Kenntnis gelangt.

Dürer zeichnete und malte fleißig im Auftrag des Frankfurter Patriziers und Ratsherrn Jakob Heller, der für die Dominikanerkirche der Stadt am Main ein wuchtiges Altarbild stiften wollte. Heute ist die Kirche – deutlich prosaischer - Sitz des Evangelischen Stadtdekanats und Regionalverbandes Frankfurt am Main und Offenbach. Im Dominikanerkloster tagt außerdem die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Die Kirche steht noch, aber die Einzelteile des Heller-Altars finden sich heute an verschiedenen Orten, z.B. im Historischen Museum Frankfurt. Auf der Mitteltafel des Triptychons war dereinst die Himmelfahrt und Krönung Mariens zu bestaunen. Einem der Apostel, die das himmlische Geschehen vom unteren Bildrand betrachten, schenkte Dürer seine betenden Hände. Und ins Zentrum des Bildes, gleich unter die in die Höhe entrückte Mutter Jesu malte Dürer sich selbst.

Selbstportrait Dürers auf dem Altarbild
 

„Niemand hat jemals so etwas wieder getan”, erklärt Ulinka Rublack, Professorin für die Geschichte der frühen Europäischen Neuzeit an der Universität Cambridge, im britischen Guardian: „Er platzierte ein Bildnis seiner selbst genau in die Mitte der Tafel, eine magere, einzelne Gestalt in der Landschaft. Dürer stellte sich nur ein wenig links vom Zentrum und genau unter Maria und Jesus auf, um sicherzustellen, dass die Blicke aller Betrachter genau auf ihn fallen.“

Selbstporträts von Künstlern und Darstellungen von Mäzenen und nicht in die Zeit passenden Figuren, wie z.B. die Einfügung von Reformatoren in biblische Szenen, sind uns wohlbekannt. Man muss schon genau hinschauen, um sie zu erkennen, weil sich ihre Antlitze üblicherweise an den Rändern der Bilder oder versteckt in der Menge der Figuren wiederfinden. Nicht so bei diesem Selbstporträt Dürers. Da steht er nun: Dürer mit Werbeschild, direkt am Saum der Gottesmutter. Bis heute. Warum?

Rublack erklärt Dürers Vorgehen als Racheakt am Mäzen Heller, der ihm eine anständige Bezahlung für seine Mühen verweigerte. Davon zeugen wütende Briefe Dürers an Heller, Neun an der Zahl, die sie im Rahmen ihrer Forschungen auswertete. In ihnen fragt der Künstler entsetzt: „Was denken Sie, wie hoch meine Lebenshaltungskosten eigentlich sind?“ Und beklagt sich, er verlöre über der Arbeit am Altar Zeit und Geld und würde doch nur die Undankbarkeit seines Auftraggebers ernten.

Am Rande der Verzweiflung

Die Arbeit am Heller-Altar hat Dürer nach eigener Aussage an den „Rand der Verzweiflung“ gebracht und von der Altarmalerei gründlich kuriert. Er wandte sich, so Rublack, nach Vollendung des Werkes anderen, profitträchtigeren Genres zu.

Die Mitteltafel des Heller-Altars wurde 1614 von Herzog Maximilian von Bayern erworben und nach München verbracht. So etwas konnten Menschen mit Geld damals noch bewerkstelligen. Heute würden zumindest in Mitteleuropa der oft geschmähte Denkmalschutz sein Veto einlegen und nationale Kulturstiftungen die Integrität des Werkes schützen. Für den Frankfurter Altar wurde alsdann eine Kopie angefertigt, die heute im Historischen Museum der Stadt zu sehen ist. Dürers Original hingegen wurde bei einem Brand 1724 zerstört.

Wie es sich für richtiges Mäzenatentum gehört, trägt der Altar, dessen Einzelteile von Dürer und Matthias Grünewald gestaltet wurden, den Namen Hellers durch die Jahrhunderte. Und erinnert nun auch an dessen Hartleibigkeit im Umgang mit den ausführenden Künstlern. Dürers Rache hat vermittels der Kopie sogar die Zerstörung des Auftragswerkes überdauert. Wenn ich in Zukunft seine „Betenden Hände“ betrachte, werde ich auch an diesen gemalten metaphorischen Stinkefinger denken müssen.

Was lernen wir nun hieraus? Wenn Sie einmal in die Situation kommen sollten, zum Beispiel eine:n Referent:in oder eine:n Autor:in entlohnen zu dürfen, als Auftraggeber:in eines Kunstwerks oder einer anderen Arbeit zu fungieren oder sich ganz generell auf der sogenannten Arbeitgeberseite des Lebens wiederfinden: Zeigen Sie sich freigiebig!

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