Nächstenliebe

Theologische Spuren

Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Diese Frage verblüfft bis heute, und obwohl sich Philosophen und Theologen seit langer Zeit um Antworten bemüht haben, hat sich daran nichts geändert.

Das philosophische Denken wagte sich an den Aufstieg und schritt beim logischen Aufbau der Welt von den einfachsten bis zu den höchsten Dingen, um in dem höchsten Seienden den Grund benennen zu können, auf den noch das kleinste Ding zurückzuführen ist.

Damit dieser Grund keiner weiteren Begründung mehr bedürfe, definierte ihn die Philosophie als sich selbst genügendes Seiendes, und eine philosophisch fragende Theologie oder besser eine metaphysisch geleitete Philosophie wollte in dieser causa sui den Gott verstehen, der alles geschaffen hat und sicher in den Händen hält. So aber reduzierte die Theologie Gott auf ein kompensatorisches Leistungsverhältnis.

Bekanntlich löste der Philosoph Martin Heidegger das Denken von der Warum-Frage und befreite damit philosophisches und theologisches Denken für die Frage nach dem Sein und nach Gott. Im Zentrum stand nicht mehr die Begründung, sondern das Das der Existenz.

Der Theologe Eike Christian Herzig verfolgt in der vorliegenden Monografie diesen Weg Heideggers weg von der metaphysischen Begründungsrelation ins Offene. Verglichen mit den zahlreichen Versuchen, den Denkweg des Philosophen nachzuzeichnen, setzt Herzigs Buch neue Maßstäbe. Heidegger wollte den Weg der menschlichen Subjektivität als ein seinsgeschichtliches Verhängnis verstehen, an dessen schrecklichem Ende sich die endlichen Menschen oder gar die Menschheit anmaßten, selbst der letzte oder erste Grund sein zu können.

In dieser angemaßten Selbstbegründung erkannte der Philosoph, wie sich der Mensch auf ein erkennendes und handelndes Subjekt reduziert, das sich selbst nur noch zum Objekt werden kann. Gerade dieses als Selbstreflexion verstandene Verhalten hielt den Menschen von der verantwortlichen Übernahme seiner endlichen Existenz, seines eigentlichen Seins zum Tode, ab.

Deswegen intendierte Heidegger, dieses metaphysisch befangene Denken und die in ihm und mit ihm wachsende Instrumentalisierung und Technisierung in die neu zu stellende Seinsfrage aufzulösen. In dieser Frage sollte der endliche Mensch sich seiner Heimatlosigkeit und Angewiesenheit bewusst werden.

Einer der großen Vorzüge von Herzigs Buch liegt darin, dass der Autor hierin nicht die bekannten Stationen im Denken Heideggers von Sein und Zeit bis zur Kehre abruft, sondern seine Darstellung mit diesem Denken bis zur Theologie hin entwickelt.

Der Neutestamentler Rudolf Bultmann suchte in seiner Auslegung der Bibel den Menschen bei dieser existenzialen Aporie auf, sein eigentliches Sein nicht begründen zu können, und sah durch die christliche Verkündigung den Menschen vor die Entscheidung gestellt, an Gott zu glauben, der ihn von allem Begründungszwang befreie.

Der systematische Theologe Heinrich Ott griff Bultmanns epochale Entscheidung auf und wollte darüber hinausdenken: Der Mensch werde in seiner durch den Glauben grundlegend veränderten Existenz nicht allein auf Gott und sich selbst gestellt, sondern in die Gemeinde der Glaubenden.

Inwieweit indes das theologische Denken Bultmanns und Otts damit den Verdacht schon entkräften konnte, mit der existentiellen Glaubensentscheidung doch Gott immer noch von der kompensatorischen Leistung her zu denken, blieb indes unsicher.

Ist Herzig bis hierhin der existenzialen Hermeneutik gefolgt, so geht er im Kapitel seines Buches über Eberhard Jüngel auf einem genuin theologischen Weg Heideg­ger entgegen: Jüngel beschreibt in seiner kongenialen Paraphrase der Trinitätslehre Karl Barths das Verhältnis zwischen Gott und Mensch nicht mehr aus der Aporie, in die die metaphysische Frage nach dem Grund geführt hatte. Der Gottesbegriff dient nicht mehr als Klammer, mit der der Mensch Gott als seinen Kompensationsgewinn festhalten will.

Gott ist vielmehr frei, weil er in sich selbst Gründer und Gegründeter sein kann, eben Vater und Sohn. In dieser Freiheit kann Gott in seiner Liebe den Menschen erwählen, um diesen an seinem innertrinitarischen Leben teilnehmen zu lassen.

So ist Gott in seiner Liebe so frei, sich um den Menschen zu sorgen, und dieser im Glauben an Jesus Christus von seiner existentiellen Sorge befreit dazu, Gott und den Nächsten zu lieben.

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