Krav Maga hilft

Über die Kunst, distanzlose Übergriffigkeit im Pfarramt abzuwehren
Foto: Harald Oppitz

Für Pfarrpersonen, besonders weibliche, ist Übergriffigkeit von Gemeindegliedern im Alltag zuweilen ein Problem – so gutgemeint sie auch sein mag. Ob da eine israelische Selbstverteidigungstechnik helfen kann, fragt sich unsere Online-Kolumnistin Angela Rinn.

Kirchengemeinden können wundervolle Orte sein, an denen Menschen Nähe und Gemeinschaft erfahren. Manchmal haben ihre Mitglieder jedoch die Tendenz zur Übergriffigkeit. Ich erinnere noch gut eine Situation, nachdem ich einmal meine Haarfarbe geändert hatte. Beim Handschlag mit den Gottesdienstbesuchern an der Kirchentür griff mir eine ältere Dame beherzt in den Schopf und wuschelte: „Das sieht gut aus!“ meinte sie dabei. Älteren Damen gibt man keine Ohrfeige. Ganz ehrlich: In diesem Moment hätte ich große Lust dazu gehabt. Zuhause habe ich mir sofort die Haare gewaschen.

Wie wehre ich mich, wenn jemand aus der Gemeinde übergriffig wird? Das ist alles andere als eine banale Herausforderung. Auch Männer werden zuweilen übergriffig behandelt und hören unerwünschte Kommentare und Belehrungen zu Barttracht oder Kleidung. Aber besonders schwierig ist es für Pfarrerinnen. Viel zu lange und immer noch wurden und werden Mädchen und Frauen dazu erzogen, sich im Konfliktfall defensiv zu geben und freundlich und höflich zu bleiben, selbst wenn ihre Grenzen überschritten werden. Ein klares „Nein!“ fällt deshalb nach wie vor vielen schwer. Deshalb üben wir in der Ausbildung bewusst, wie angehende Pfarrerinnen und Pfarrer sich gegen Grenzüberschreitungen wehren können.

Zunächst gilt es, die scheinbar einfache Herausforderung zu meistern, dem eigenen Körpergefühl zu trauen. Leider ist auch das gute Gefühl für den eigenen Leib und seine Grenzen häufig überformt worden, so dass Menschen Schwierigkeiten haben, auf die wichtigen Signale ihres Körpers zu hören. Dabei ist unser Leib oft viel schneller als der Verstand darin, eine Situation einzuordnen und warnt vor Gefahr und Grenzüberschreitung. Wir müssen nur wieder lernen, auf seine Zeichen zu achten.

Darf ich „Nein“ sagen? Und: Wie sage ich „Nein“? Ist es ok, eine Wohnung zu verlassen, wenn der Besuchte die Tür von innen abschließt? Ist es in Ordnung zu gehen, wenn ich mich in einer Begegnung unwohl fühle? Wenn ich merke, wie es mir in der Brust eng wird, es mir den Atem abschnürt, weil mir jemand zu nahe kommt – darf ich den Besuch abbrechen? Ja, das ist völlig ok, es ist sogar mehr als angemessen! Dafür muss man sich auch nicht entschuldigen, man darf und kann einfach gehen! Das sagt sich einfach, in der Praxis zeigt sich, wie schwer es ist. Wir trainieren deshalb, wie man Grenzen klar und deutlich formuliert und auch leiblich gestaltet.

Letzthin habe ich überlegt, ob wir uns Inspirationen von einem Krav-Maga-Ausbilder holen können. Krav Maga ist ein israelisches Selbstverteidigungssystem, das – im zivilen Bereich – der Deeskalation dient und ein angemessenes Verhalten unter Stress einübt. Das könnte dabei helfen, eine selbstbewusste Haltung zu entwickeln, die ausstrahlt. Sicher auch auf ältere Damen.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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