„Vielfalt, die wir respektieren“

Der Präsident des Lutherischen Weltbunds, Panti Filibus Musa, Erzbischof der Lutherischen Kirche Christi in Nigeria, über Homosexualität, die Frauenordination und Waffenlieferungen
Ein gemeinsames Gebet auf der bisher letzten, der 12. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes im Mai 2017 in Windhuk, Namibia.
Foto: epd/Norbert Neetz
Ein gemeinsames Gebet auf der bisher letzten, der 12. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes im Mai 2017 in Windhuk, Namibia.

zeitzeichen: Der Lutherische Weltbund (LWB) vertritt in der Frage der Homosexualität unter seinen 150 Mitgliedskirchen keine einheitliche Position. Warum ist das so?

PANTI FILIBUS MUSA: Das Thema Homosexualität steht beim Lutherischen Weltbund (LWB) schon seit vielen Jahren auf der Tagesordnung, zumindest seit der LWB-Ratstagung 1995 in Windhuk in Namibia. Es war Gegenstand intensiver Debatten. Der LWB kam zu dem Schluss, dass seine Mitgliedskirchen zu diesem Thema keine gemeinsame Position vertreten. Dennoch ist es eine fortlaufende Diskussion. Unsere Mitgliedskirchen existieren in unterschiedlichen Kontexten und Realitäten, die unterschiedliche Ansätze und Herausforderungen haben, wenn es um Homosexualität geht. Wenn wir uns jetzt entscheiden würden, würde dies unserem gemeinsamen Weg und unserer gemeinsamen Reflexion als Gemeinschaft von Kirchen widersprechen.

Es ist also in Ordnung, dass Sie keine gemeinsame Position haben – oder sollte es zu diesem Thema eine geben?

PANTI FILIBUS MUSA: Noch einmal, hier handelt es sich um eine fortlaufende Reise. Dafür haben wir auf dem Tisch Platz geschaffen, auch wenn es sich um ein Thema handelt, das Spaltungen hervorrufen kann. Aber wir erkennen an, dass wir zusammenbleiben und nicht getrennt werden.

Besonders in Ihrer Heimat, in Nigeria, geht die Politik gegenüber Homosexuellen besonders brutal vor, ihnen droht sogar die Todesstrafe. Beschämt Sie das?

PANTI FILIBUS MUSA: Als globale Gemeinschaft müssen wir anerkennen, dass Kulturen und Gesetze in den Ländern unserer Mitgliedskirchen unterschiedlich sind. Als Kirchen sollten wir von dieser Position aus darüber nachdenken: Wie gehen wir mit der menschlichen Situation in jedem Kontext um, wenn es um das Thema Homosexualität geht? Es sei daran erinnert, dass jeder Mensch überall das Grundrecht auf ein Leben in Sicherheit und Freiheit hat und dass wir Gewalt aufgrund der sexuellen Orientierung von Menschen niemals dulden können.

Haben Sie Probleme mit Homosexuellen?

PANTI FILIBUS MUSA: Nein. Wir glauben der Bibel zufolge, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Wenn wir zu den theologischen Positionen zu dieser Frage kommen, haben wir unsere Vielfalt, die wir respektieren.

Auch in der Frage der Segnung Homosexueller in der Kirche herrscht unter Ihren Mitgliedskirchen kein Konsens. Wie lange kann man noch akzeptieren, dass es in dieser Frage im LWB keinen Konsens gibt?

PANTI FILIBUS MUSA: Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird, da es sich um eine fortlaufende Diskussion handelt. Wir sind eine globale Gemeinschaft, die aus 150 Kirchen besteht, denen viele weitere Ethnien und Kulturen angehören. Wie in jeder Weltgemeinschaft und als kirchlicher Körper besteht eine zentrale Aufgabe darin, zusammenzuhalten und die Einheit in der weltweiten Kirche zu fördern. Auf der Überholspur klappt das aber nicht.

Etwa 20 Prozent der LWB-Mitgliedskirchen lehnen die Ordination von Frauen immer noch ab, darunter beispielsweise die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands. Sind Sie für die Ordination von Frauen?

PANTI FILIBUS MUSA: Auch hier haben wir als Kirchengemeinschaft einen langen Weg hinter uns, der 40 Jahre zurückreicht, bis zur Budapester Vollversammlung 1984. Seitdem hat jede Versammlung die Position des LWB bekräftigt, sich für die vollständige Einbeziehung von Frauen in das ordinierte Amt einzusetzen, und mehr als 80 Prozent der Kirchen ordinieren Frauen. In meiner Kirche ordinieren wir seit 1996 Frauen, und meine Frau ist selbst ordinierte Pfarrerin.

Kann der LWB in irgendeiner Weise etwas tun, um die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands zu einer Änderung ihrer Position beim Thema Frauenordination zu bewegen?

PANTI FILIBUS MUSA: Der Lutherische Weltbund drängt seinen Mitgliedskirchen keine Ansichten auf und drängt sie nicht, bestimmte Positionen einzunehmen. Die Mitgliedskirchen haben auf Vollversammlungen gemeinsam beschlossen, sich für die Frauenordination einzusetzen. Dennoch sind wir offen für und fördern Gespräche mit Kirchen, die sich noch nicht für die Ordination von Frauen entschieden haben oder diese zurückgenommen haben, wie es bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands der Fall ist. Jede Kirche ist autonom und unabhängig, aber natürlich im Geiste der gegenseitigen Wechselbeziehung als Kirchengemeinschaft.

Ende März tagte die Vorversammlung der Europäischen Regionen des LWB in Oxford. Eines der Themen war der Ukraine-Krieg. Nach den Berichten und Diskussionen in Oxford: Sind Sie für Waffenlieferungen an die Ukraine?

PANTI FILIBUS MUSA: Ich selbst war nicht in Oxford, daher kenne ich die Diskussion dort nur aus zweiter Hand. Aber im Allgemeinen unterstützen wir als LWB keine Kriege oder Konflikte. Seit Beginn der Invasion in der Ukraine hat der LWB den sofortigen Abzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine gefordert. Wir bestehen auf der Möglichkeit eines Dialogs, um den Krieg zu beenden, anstatt ihn zu verlängern. Alles, was Kriege verlängert, entspricht nicht dem Geist des LWB.

Sie sind also gegen Waffenlieferungen in die Ukraine?

PANTI FILIBUS MUSA: Mein Heimatland Nigeria liegt auf einem Kontinent, der in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten auch Konflikte erlebt hat. Ich habe in meinem Leben gesehen, wie die Verbreitung von Waffen und äußere Einflüsse die Zerstörung von Leben verstärken können. Andererseits haben wir die Regierungstruppen auch dafür kritisiert, dass sie nicht eingegriffen haben, um Konflikte zu beenden, wenn sie es hätten tun sollen. Daher bewegt mich die Frage sehr. Der LWB wurde in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs gegründet, um auf diese verheerende Katastrophe zu reagieren. In unserer DNA sind wir also generell gegen Waffen, nicht nur in der Ukraine, sondern auf der ganzen Welt. Was wir hoffen und unterstützen, ist ein Dialog zur Beendigung des Krieges mit anderen Mitteln als mit Waffen.

Hier sind einige Zusammenhänge zu meiner nächsten Frage: Sollte der LWB die Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) wegen
der Kriegspropaganda von Patriarch Kyrill beenden?

PANTI FILIBUS MUSA: Der LWB steht nicht im Dialog mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, der Dialogpartner des LWB ist das Ökumenische Patriarchat. Im Dialog mit ihnen pflegen wir ein sehr gutes und vertrauensvolles Verhältnis. Der LWB ist jedoch auch mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) verbunden und unterhält darüber Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche.

Sie denken also, dass es immer noch wichtig ist, mit der Russisch-Orthodoxen Kirche in Kontakt zu bleiben, auch wenn es diese heftige Kriegspropaganda von Patriarch Kyrill gibt?

PANTI FILIBUS MUSA: Natürlich hoffen wir als christliche Organisation immer auf die Möglichkeit der Versöhnung und des Friedens. Das ist die Berufung der Kirche, egal in welcher Situation. Es gibt Situationen, in denen wir uns ein wenig zurückziehen oder anderer Meinung sind, aber das Ziel ist immer, als Kirchen verbunden zu bleiben und für Versöhnung und Heilung zu sorgen, sowohl innerhalb der Kirchen als auch im öffentlichen Raum. Gleichzeitig sind wir sehr besorgt, wenn Religion missbraucht wird, um für Krieg zu werben.

Gibt es eine gemeinsame LWB-Position zur israelkritischen BDS-Kampagne, die unter anderem den Boykott israelischer Waren fordert?

PANTI FILIBUS MUSA: Nein.

Kann es auf der anstehenden LWB-Vollversammlung Diskussionen darüber geben?

PANTI FILIBUS MUSA: Menschen kommen aus unterschiedlichen Kontexten und erzählen in den Versammlungen ihre Geschichten, daher kann ich nicht vorhersagen, was in solchen Diskussionen aufkommen wird.

Im Juni kritisierte der schwarze deutsche Pfarrer Quinton Ceasar bei der Abschlusspredigt des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg, dass die Kirche kein sicherer Ort für People of Color sei. Stimmen Sie ihm zu?

PANTI FILIBUS MUSA: Ich bin nicht in der Lage, dazu Stellung zu nehmen, da ich nicht dort war und den Kontext, in dem er sprach, nicht kenne.

Aber ganz allgemein: Sind die Mitgliedskirchen des LWB mehr oder weniger sichere Orte für schwarze Menschen?

PANTI FILIBUS MUSA: Es wäre eine sehr pauschale Aussage, dass alle LWB-Kirchen sichere Orte für Menschen aller „Rassen“ und Hautfarben sind. Es ist unsere Vision, sicherzustellen, dass jeder in allen unseren Kirchen sicher und willkommen ist, und wir bestehen darauf, dass es in der Kirche Platz für jeden gibt und dass niemand aufgrund seiner „Rasse“ oder ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert wird. Aus diesem Grund erklärte der LWB-Rat 2015 in einer öffentlichen Erklärung Rassismus zu einer strukturellen Sünde. Rassismus ist eine globale Herausforderung, und wir haben in den letzten Jahren überall auf der Welt eine Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz erlebt. Unsere Mitgliedskirchen setzen sich in ihren unterschiedlichen Kontexten mit diesem Problem auseinander, und als LWB befassen wir uns in unserer Arbeit damit, einschließlich unseres Eintretens für Menschenrechte.

Noch zu einem anderen Thema: Warum können die LWB-Kirchen in Afrika nicht so boomen wie die charismatischen Kirchen dort? Gibt es da eine Erklärung?

PANTI FILIBUS MUSA: Ich weiß nicht, was Boomen bedeutet. Geht es um Zahlen?

Ja, es könnte auch um Zahlen gehen. Sie sind nicht so gut wie in den charismatischen Kirchen.

PANTI FILIBUS MUSA: Da bin ich anderer Meinung. Die lutherischen Kirchen in Afrika wachsen tatsächlich. Sie engagieren sich in den Bereichen Mission, Öffentlichkeitsarbeit, Ökumene und Eintreten für Gerechtigkeit. Doch was ist für Kirchen wirklich wichtig? Es fehlen die Parameter zur Messung eines starken Anstiegs. Selbst in Europa, wo man sich Sorgen wegen des zahlenmäßigen Rückgangs macht, würde ich sagen: Diese Kirchen leben. Als Menschen verfügen wir nicht über die Parameter, um Wachstum oder Niedergang von Kirchen zu beurteilen.

Sie denken also, dass die Mitglieder­zahlen nicht wichtig sind.

PANTI FILIBUS MUSA: Nun, die Zahlen sind wichtig. Jesus hat uns dazu berufen, Jünger zu gewinnen. Aber es gibt noch mehr Dinge, die wichtig sind.

Erwarten Sie bei der kommenden LWB-Vollversammlung in Krakau Entscheidungen – und welche könnten das sein?

PANTI FILIBUS MUSA: Natürlich. In Krakau wird es mehrere Reflexionen, Empfehlungen und Entscheidungen geben. Wir haben verschiedene Themen, über die wir sprechen werden. Dabei wird es auch um unsere eigene Verfassung und Struktur gehen, denn die Vollversammlung ist das höchste
Entscheidungsgremium des LWB.

Können Sie das genauer sagen?

PANTI FILIBUS MUSA: Es wäre unangemessen, wenn der LWB-Präsident den Diskussionen der gesamten Gemeinschaft vorgreifen würde. Aber es wird wahrscheinlich Resolutionen über unsere Rolle in einer Welt geben, die so zerbrochen und zerbrechlich ist. Dabei wird es auch darum gehen, wie wir in den nächsten sechs Jahren bis zur nächsten LWB-Vollversammlung zusammenarbeiten wollen.

 

Vollversammlung in Krakau

Vertreter und Vertreterinnen der lutherischen Kirchen aus aller Welt treffen sich in diesem Monat im polnischen Krakau. Dort beginnt am 13. September die 13. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB), die diesmal unter dem Motto „Ein Geist, ein Leib eine Hoffnung“, bezugnehmend auf Epheser 4,4, steht. 355 offizielle Delegierte und weitere Gäste kommen bis zum 19. September zu gemeinsamen Andachten und Gottesdiensten zusammen, aber auch zu thematischen Diskussionen.

Gewiss wird der Krieg gegen die Ukraine schon allein wegen der räumlichen Nähe des Veranstaltungsortes eine große Rolle spielen, sicher aber auch die immer wiederkehrenden Streitthemen innerhalb der lutherischen Kirchen, der Umgang mit Homosexualität und mit der Frauenordination. Gewählt wird auch ein neuer Präsident oder eine Präsidentin für die Nach­folge des auf der letzten Vollversammlung in Windhuk/Namibia gewählten Musa Panti Filibus. Ebenso wird der Rat des LWB neu gewählt, der die Geschäfte des LWB zwischen zwei Vollversammlungen führt. Zudem soll die Struktur der Weltbundarbeit diskutiert werden. Geplant ist auch ein gemeinsamer Besuch der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz.

Für zeitzeichen werden Stephan Kosch und Philipp Gessler an der Vollversammlung teil­nehmen. Ihre aktuellen Berichte lesen Sie während der Tagung auf www.zeitzeichen.net. Einen Bericht über den vor­bereitenden Besuch einer deutschen Delegation in Krakau finden Sie in zz 3/23 oder unter https://zeitzeichen.net/node/10292.

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Panti Filibus Musa

Musa Panti Filibus, geboren 1960, studierte Theologie in Nigeria und den USA und wurde 1994 zum Pfarrer ordiniert. 1998 promovierte er in Pastoraltheologie. 2013 wurde er zum Bischof der Mayo-Belwa-Diözese (Bundesstaat Adamawa) in Nigeria berufen, 2016 wurde er Erzbischof der Lutherischen Kirche Christi in dem westafrikanischen Staat. Am 13. Mai 2017 wurde er auf der Vollversammlung in Windhoek zum Präsidenten des Lutherischen Weltbunds gewählt.


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