Besuch aus dem Feuer

Eine kleine Kirche in Rom zeigt scheinbare Spuren aus dem Jenseits
Wer schaut da herein? Teuflisch anmutende Reste des verbrannten Altars der Kapelle „Madonna vom Rosenkranz“.
Foto: Martin Glauert
Wer schaut da herein? Teuflisch anmutende Reste des verbrannten Altars der Kapelle „Madonna vom Rosenkranz“.

Protestantisch geprägten Menschen wie dem Arzt und zeitzeichen-Autor Martin Glauert ist die Vorstellung des Purgatoriums, das vor dem Eintritt ins Paradies von Sünden reinigen soll, eigentlich fremd. Doch ein Besuch im Fegefeuer-Museum unweit des Petersdoms ließ auch ihn nicht ganz unbeeindruckt.

Bevor es losgeht, sei vorsichtshalber vorab eine kleine Nachhilfestunde für den ahnungslosen protestantischen Leser eingeschoben: Der Begriff „Fegefeuer“ ist kein Synonym für die Hölle, er bezeichnet nicht einmal den Vorhof zur Hölle, sondern vielmehr den Vorhof zum Himmel – allerdings einen reichlich unangenehmen Vorhof. In der katholischen Glaubenslehre galt seit dem 6. Jahrhundert die Vorstellung, dass die Verstorbenen, die das Jüngste Gericht erfolgreich bestanden haben und denen die Fahrt zur Hölle glücklich erspart bleibt, dennoch nicht alle sofort ins Paradies gelangen. Vorher müssen sie eine Zeit im Purgatorium, einem „Reinigungsort“ verbringen, wo ihre Seelen von den irdischen Verfehlungen geläutert werden, da sie nur sündenfrei Zutritt zur Gegenwart Gottes haben können. Die so genannten armen Seelen sind im Fegefeuer also nicht endgültig festgehalten, sondern haben die Gewissheit, daraus entlassen zu werden ins Himmelreich. Die Reinigung erfolgt durch Glut und Feuer, die Dauer dieser entsetzlichen Qual hängt dabei von der individuellen Sündenlast ab.

Spuren des vermeintlichen Besuches aus dem Jenseits finden sich an unterschiedlichsten Stellen und bewegen die Besucherinnen und Besucher des Museums.
Foto: Martin Glauert

Auf dem Leinentuch, auf dem Holztisch, im Gebetbuch und auf der Nachtmütze des Witwers (beglaubigt und besiegelt): Spuren des vermeintlichen Besuches aus dem Jenseits finden sich an unterschiedlichsten Stellen und bewegen die Besucherinnen und Besucher des Museums.

 

Allerdings gibt es Möglichkeiten, den Prozess dieser höllischen Schmerzen zu verkürzen, und zwar durch den Erwerb eines Ablasses, einer Art Strafrabatt. Er kann von Angehörigen durch Gebete und gute Werke erwirkt werden oder indem sie eine Messe lesen lassen. Irgendwann im 15. Jahrhundert wurde es dann gängige Praxis, Ablässe gegen Geld auszugeben. Perfektioniert und auf die Spitze getrieben wurde der finanzielle Ablasshandel durch den Dominikanermönch Johann Tetzel, der Vergebung auch der schlimmsten Sünden versprach, solange die Kasse stimmte. „Sobald die Münz‘ im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt!“, lautete sein griffiges Erfolgsrezept. Die Einnahmen waren so enorm, dass der Bau des Petersdoms in Rom davon finanziert werden konnte.

Ein Handabdruck aus dem Fegefeuer.
Foto: Martin Glauert

 

Böses Erwachen

Auch den Augustinermönch Martin Luther versetzte die Vorstellung eines qualvollen Fegefeuers in Furcht und Schrecken. Auf seiner Reise nach Rom im Jahr 1510 nahm er an einer Generalbeichte Teil, rutschte auf Knien die Heilige Treppe am Lateran hinauf, um Sündenvergebung für sich und seine Verwandten zu erlangen. Er bezahlte sogar Geld für einen Ablass, damit seinen verstorbenen Großeltern die Sünden erlassen und ihre Zeit im Fegefeuer verkürzt werde. Erst sieben Jahre später kam er im Rahmen der Rechtfertigungslehre zu der Grundüberzeugung „sola fide“. Wenn die Errettung der Seele allein durch den Glauben und die Gnade Gottes erfolgt, ist das Fegefeuer überflüssig und damit jeder Ablass obsolet. In den Schmalkaldischen Artikeln heißt es dann auch eindeutig: „Darum ist das Fegefeuer mit all seinem Gepränge, Gottesdiensten und Geschäftemacherei für ein bloßes Teufelsgespenst zu halten.“ Aber auch die katholische Dogmatik änderte im Lauf der Zeit ihre Auffassung vom Fegefeuer und ersetzte das Bild von der Gluthölle durch eine mehr symbolische Interpretation. So schrieb der Kardinal (und spätere Papst) Joseph Ratzinger 1977: „Es (das Fegefeuer) ist … vielmehr der von innen her notwendige Prozess der Umwandlung des Menschen, in dem er christus-fähig, gott-fähig und so fähig zur Einheit mit der ganzen Communio sanctorum wird.“

Auf dem Leinentuch, auf dem Holztisch, im Gebetbuch und auf der Nachtmütze des Witwers (beglaubigt und besiegelt): Spuren des vermeintlichen Besuches aus dem Jenseits finden sich an unterschiedlichsten Stellen und bewegen die Besucherinnen und Besucher des Museums.
Foto: Martin Glauert
 

Wer sich mit einer solchen weichgewaschenen Interpretation des Fegefeuers angefreundet hat, auf den wartet ein böses Erwachen beim Besuch der Chiesa del sacro cuore del suffragio in Rom. Die zierliche weiße „Kirche des Heiligen Herzens der Fürbitte“ liegt direkt am Tiberufer. Welche Bewandtnis es mit der besonderen Betonung der Fürbitte hat, erfährt man allerdings nur, wenn man weiß, wonach man sucht. Besucher beten in den Bänken, manche betrachten ehrfurchtsvoll die Altäre und Gemälde der Heiligen. Wir aber gehen zielstrebig nach vorne und flüstern dem Kirchendiener wie Eingeweihte nur kurz das Passwort zu: „il museo“. Er zeigt verschwörerisch auf den kleinen Durchgang zur Sakristei. Ebenso wortlos hält uns sein Kollege einen Korb mit dem Zettel „offerta“ hin, der Eintritt ist frei, eine Spende jedoch obligatorisch. Als Gegenleistung und Vorbereitung auf das Kommende reicht er uns einen kleinen farbigen Zettel. Darauf abgedruckt ist der gekreuzigte Christus, zu dessen Füßen nackte Menschen in lodernden Flammen stehen. Dann treten wir in eine kleine Kammer. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein langweiliges Heimatmuseum. An der Wand hängen Glaskästen, darin Bücher und Textilien, die etwas beschädigt wirken. Ein kirchliches Merkblatt aber klärt uns auf, dass wir vor den unwiderlegbaren Zeugnissen des Purgatoriums stehen, stoffliche Nachrichten direkt aus dem Fegefeuer. Die Seelen Verstorbener kehrten für kurze Zeit aus diesem Zwischenreich auf die Erde zurück. Da sie direkt aus dem Feuer kamen, haben sie Brandspuren auf Kissen, Kleidern und Büchern hinterlassen.

Gebetbuch
Foto: Martin Glauert
 

Die französische Nachtmütze hat arg gelitten. Man kennt diese hässlichen braunen Spuren, die unbedachte Zigaretten oder ein vergessenes Bügeleisen hinterlassen. Hier aber sind deutlich die fünf Finger einer Hand zu erkennen, die sich in den weißen Stoff eingebrannt haben. Sie gehörten Luisa Le Sénéchal, die ihrem Ehemann Ludwig im Jahre 1875, zwei Jahre nach ihrem Tod, erschien und ihn um Gebete und heilige Messen bat. Befürchtete sie, dass er sie bereits vergessen hatte, und brachte sie sich deshalb eindrucksvoll in Erinnerung? Sündigte er vergnügt und benötigte eine strenge Ermahnung? Das Merkblatt der Kirche klärt darüber auf, was letztlich das Anliegen aller Visiten aus dem Jenseits ist: Die Gestorbenen bitten die Lebenden um gute Taten, Gebete, Messen und Spenden, damit so ihre eigene Zeit im Fegefeuer verkürzt wird.

Nachtmütze
Foto: Martin Glauert
 

Das gilt offenbar selbst für Geistliche. Schwarz haben sich die Abdrücke der Hände von Pater Panzini, dem Abt der Olivetaner von Mantua, am 1. November 1731 auf einem Holztischchen eingebrannt. Selbst nach fast 300 Jahren kann man noch genau erkennen, wo die Hand fester oder weniger fest aufdrückte. Dann aber stutzen wir: Warum lassen sich seine Handabdrücke auch auf dem Ärmel und dem Hemd der ehrwürdigen Mutter Isabella Fornari, Äbtissin der Klarissen von Mantua, in aller Deutlichkeit erkennen? Darüber schweigt sich das Merkblatt der Kirche aus.

Handabdruck
Foto: Martin Glauert
 

Niemand weiß, wie lange das Fegefeuer dauert. Sind es Jahrzehnte, Jahrhunderte, gar Jahrtausende? Weder die Bibel noch Schriften liefern genaue Angaben, schließlich bewegen wir uns in Dimensionen der Ewigkeit. Ausgerechnet hier in diesem Raum aber findet sich zu dieser Frage eine spannende Spur. Das Leinentuch in der Vitrine wirkt für den ahnungslosen Betrachter zu heiß gebügelt, die wahre Bewandtnis aber ist in einem Bericht im Archiv des Klosters der Klarissen vom Kinde Jesu in Bastia nachzulesen: Es handelt sich um den Brandabdruck eines Fingers der Ehrwürdigen Schwester Maria vom Heiligen Aloysius von Gonzaga aus der Nacht des 5. Juni 1894. Zwei Jahre hatte sie schwer krank darnieder­gelegen, brustleidend und mit schwerem Fieber, Husten und Asthma. Von Verzweiflung heimgesucht, wünschte sie, sofort zu sterben. Doch erst einige Tage später trat ihr Tod ein. Noch in selbiger Nacht erschien sie einer anderen Nonne und erklärte ihr, dass sie sich im Fegefeuer befinde, wo sie wegen ihrer Ungeduld mit dem Willen Gottes 20 Tage büßen müsse.

Vom Licht umstrahlt

Andere leiden offensichtlich länger. Das Messbuch ist uralt und vom vielen Beten abgegriffen. Die Seite 279 ist aufgeschlagen, dort heißt es passend: „Vergib den Seelen deiner Diener ihre Fehltritte, reinige sie von ihren Unvollkommenheiten, und lass ihnen die verdienten Strafen nach.“ Quer über die Buchseite sind vier runde braune Brandflecken verteilt, links daneben ein größerer – zweifellos ein Handabdruck! Er stammt von einer Gestalt, die Margherita Demmerlé aus der Pfarrei Ellinghen nachts in ihrem Hause erschien. Traurig stöhnend stand sie auf der Treppe. „Ich bin deine Schwiegermutter, die vor 30 Jahren bei einer Entbindung starb. Mache eine Wallfahrt zum Heiligtum Unserer Lieben Frau von Marienthal und lass dort zwei heilige Messen für mich zelebrieren.“ Margherita Demmerlé erfüllte ihr diesen Wunsch. Nach der Wallfahrt erschien die Verstorbene erneut und berichtete von ihrer Befreiung aus dem Fegefeuer. Als Beweis hinterließ sie die Brandspuren im Buch, anschließend verschwand sie, von Licht umstrahlt, für immer.

Die „Kirche des Heiligen Herzens der Fürbitte“ in Rom beheimatet das ungewöhnliche Museum.
Foto: Martin Glauert

Die „Kirche des Heiligen Herzens der Fürbitte“ in Rom beheimatet das ungewöhnliche Museum.

 

Nur wenige Menschen finden den Weg in diesen dämmrigen Raum, dabei gehören Rom und Fegefeuer eng zusammen: Der Bau des Petersdoms, nur 15 Gehminuten entfernt, wurde finanziert durch den Verkauf von Ablässen, die die Zeit im Fegefeuer verkürzen sollten. Der Kirchenführer bezeichnet die Exponate als „Museo del Purgatorio“, doch einige Besucher sehen darin mehr als ein Museum. Für sie öffnet sich in dieser Kammer die Pforte zum Jenseits ein kleines Stück. Ein älterer Herr liest sorgfältig die Erklärungen im Merkblatt, seine grauen Haare scheinen sich zu sträuben, während er die Objekte ernst und auch ein wenig ängstlich betrachtet. Einem leichten Grusel kann sich hier niemand entziehen. Die zwei Nonnen in weißem Habit wirken neugierig und entdeckungsfreudig. Die Jüngere liest vor und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die entsprechenden Objekte. Beide stoßen Rufe der Begeisterung aus, die Ältere faltet ergriffen die Hände. Die Ausstellung bestätigt und festigt ihren Glauben. Und selbst der Zweifler fasst insgeheim einen Vorsatz: in Zukunft doch lieber etwas frömmer zu leben. 

 

Informationen:

„Museo delle Anime del Purgatorio“, Chiesa del sacro cuore del suffragio, Lungotevere Prati 12, Rom, Telefon: +39 06 68806517,  Öffnungszeiten: 7.30–11.00 Uhr und 16.00–19.00 Uhr, Eintritt frei, Spende wird erwartet.

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