Dem Herrn eine knallen!

Unerwünschtes Küssen, Grabschen und zweideutiges Gerede sind sexualisierte Gewalt. Dagegen müssen wir uns wehren.
Foto: Harald Oppitz

Ich habe lange überlegt, ob ich zu diesem Thema eine Kolumne schreiben soll. Eigentlich überflüssig, es ist doch schon so viel dazu geschrieben und gesagt worden. Es scheint, als sei der Kuss von Verbandspräsident Luis Rubiales auf den Mund der Spielerin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung in Sydney medial schon genügend ausgeschlachtet. Doch diese Geschichte weckt in mir ungute Erinnerungen. Und das wird den meisten Frauen mit ähnlichen Erfahrungen so gehen. Denn sofort fallen mir sexualisierte Übergriffigkeiten ein, denen ich in meinem Leben ausgesetzt war: Ein Kirchenrat, der mir in der Schlange vor der Essensausgabe einen Klaps auf den Po gegeben hat; ein Theologieprofessor, der über meine „erotische Ausstrahlung“ schwafelte; ein mir völlig unbekannter Mann, der mich im Bus angefasst hat. Es gab noch mehr ähnliche Situationen. Bis heute ärgere ich mich darüber, dass ich mich meistens – vermeintlich elegant – aus der Affäre gezogen habe. Wenn ich damals deutlich wurde, kam ein: „Hab dich doch nicht so! Das war als Kompliment gemeint.“

Im Jahr des HERRn 2023 kommt so was nicht mehr vor, habe ich gedacht. Das war ja alles vor „#Metoo“. Doch, es kommt noch vor! Immer noch. Mehr als die Hälfte aller Frauen in Deutschland hat schon sexuelle Belästigung und Übergriffigkeit erlebt. Im Fall von Jennifer Hermoso geschah dies sogar vor den Augen von Millionen von Zuschauern! Und alle Frauen, denen ähnliches schon einmal zugestoßen ist, erleben, dass beim Zuschauen die alten Erinnerungen leibhaftig hochkommen. Dieses fiese Gefühl, wenn der eigene Körper von einem anderen Menschen zum Objekt seiner Lust degradiert wird. So etwas vergisst der Leib nicht. Leider nicht. Das bleibt.

Harter Gegenwind

Frauen, die das kennen, wissen darüber hinaus, was passiert, wenn Frauen aufbegehren. Der Gegenwind kommt hart. Die Reaktionen des Verbands, die das Opfer zur Täterin umdrehen will, sowie die Einlassung eines prominenten deutschen Fußballfunktionärs zeigen: es ist nach wie vor gefährlich, wenn eine Frau sich nicht damit begnügt, elegant das Feld zu räumen. Die Machos werden aggressiv.

Inzwischen bin ich aus dem Alter raus, in dem Leute häufiger den Drang haben, mir auf den Hintern zu klopfen. Inzwischen würde ich auch anders reagieren. Etwa laut fragen, ob alle gesehen haben, was der Kirchenrat sich da gerade geleistet hat. Denn ich war ja keineswegs mit dem Mann allein im Raum. Um uns herum standen Leute, die nichts gesagt oder getan haben. Ich bin mir auch sehr sicher, dass ich dem Herrn heute eine knallen würde. Ich ärgere mich bis heute darüber, dass ich das vor zwanzig Jahren nicht getan habe.

Was ich erlebt habe, was Jennifer Hermoso erlebt hat, ist sexualisierte Gewalt. Auch wenn man nicht „vergewaltigt“ wird, sind ein solcher Kuss und Grabscher und unerwünschte zweideutige Bemerkungen doch Gewalt. Gewalt, die sich Männer herausnehmen. Solange so etwas immer noch passiert, muss man darüber schreiben und sprechen. Mit dem Risiko, dass manche Leute meinen, dass man sich „halt nicht so haben“ soll.   

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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