In der Konsensmaschine

Die 13. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Krakau schließt mit Erklärungen für eine irgendwie bessere Welt
Blick ins Plenum der Vollversammlung des LWB in Krakau
Foto: LWB/Albin Hillert
Blick ins Plenum der Vollversammlung des LWB in Krakau

Erklärungen, die niemandem weh tun. Nachwirkungen des gemeinsamen Gangs durch das Konzentrationslager Auschwitz/Birkenau. Eine Demonstration für mehr Klimaschutz, jedoch nicht auf der Straße, sondern innerhalb des Kongresszentrums, in dem man tagt. Das prägte die Schlusstage der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Krakau. 

Zum Schluss wurde die Diskussion noch einmal lebhaft – wenn auch an einer Stelle, an der dies nicht unbedingt zu erwarten war. Nein, es war nicht der Vorschlag, eine Zeile in der Abschlusserklärung des Lutherischen Weltbundes (LWB) mit der Aussage, man sei als Christinnen und Christen gesandt zu den Nachbarn, mit dem Nebensatz zu ergänzen „zu denen wir gesandt sind“. Das wäre nun wirklich totale Banane gewesen (gleichwohl wurde im Plenum der großen Kirchenversammlung darüber nicht gelacht).

Etwas Leben, gar Beifall brandete unter den gut 300 Delegierten in Krakow vielmehr erst auf, als es vor allem um Sexualität beziehungsweise die Würdigung traditioneller Formen von Sexualität ging. In der fast eine Woche lang diskutierten Abschlusserklärung heißt es nun in der inoffiziellen deutschen Übersetzung: „Wir lehnen alle Formen von Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Sexualität, Klasse, Alter, Behinderung, Fremdenfeindlichkeit, Kaste oder sozialer Herkunft ab.“ Kein schlimmer Satz. Aber eine Gruppe von vor allem mittelosteuropäischen Delegierter wollte an dieser Stelle eher bibelnahe Formen der Sexualität und Partnerschaft mit einem zusätzlichen Satz gewürdigt sehen. Das aber wurde, nach kurzer und fast leidenschaftlicher Debatte, abgebügelt. Knapp und überspitzt gesagt: Die „Gendergaga“-Fraktion konnte sich gegen die „woke“ Mehrheit nicht durchsetzen.

Ein besserer Ort

Zugleich ist diese kurze Szene am gestrigen Schlusstag der 13. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes, die seit Mittwoch vergangener Woche in der früheren polnischen Königsstadt tagte, typisch für die Stimmung und die Erklärungen, die verabschiedet wurden. Es sind Resolutionen und „Öffentliche Stellungnahmen“, die einerseits in der Regel niemandem wehtun, andererseits aber auch außerhalb der Kirchenblase kaum wahrgenommen werden. Wenn ein Papier mit ziemlich viele Bibelzitaten eben etwas verkündet, von dem alle sowieso denken, dass das richtig ist und zudem niemand provoziert werden soll, kommen Texte heraus, die nur wenig öffentliche Resonanz erfahren. Die Welt soll mit Gottes Hilfe und das weltweite Luthertum ein besserer Ort werden, ja, das ist richtig – aber lockt eine solche Message wirklich viele Leute hinter dem Ofen hervor?

Man sollte also, um die Knackpunkte zu finden, zwischen den Zeilen lesen bei dem, was mit viel Mühe und plenumweiter Textarbeit formuliert wurde. So ist oft interessanter, was nicht im Abschlusstext gelandet ist, als das, was darin am Ende zu finden ist. Nach einem Besuch der 300 Delegierten im früheren Konzentrationslager Auschwitz am Freitag vergangener Woche fand beispielsweise eine Art Gedicht über diese Erfahrung seinen Weg in die Abschlusserklärung. Darin heißt, wieder in nichtoffizieller deutscher Übersetzung: „Durch Auschwitz-Birkenau gehend. / Erinnern wir uns auch an andere Orte des unaussprechlichen Bösen.“ An dieser Stelle folgte dann in einer Entwurfsfassung die Erinnerung an andere Völkermorde, etwa in Ruanda. Aber ist dieser Massenmord wirklich mit dem Holocaust vergleichbar? Eher nicht, weshalb alle Beispiele anderer Genozide schließlich gekürzt wurden. Damit konnten alle Delegierten leben. Denn nun können sich alle ihren Teil denken.

Wirkung nach außen?

So ist das eben, der LWB und vor allem seine alle sechs bis sieben Jahre stattfindenden Vollversammlungen sind große Konsensmaschinen, die jeweils ein paar Millionen Euro kosten, ohne dass die öffentliche Wirkung grandios wäre, um es sehr zurückhaltend zu formulieren. Es geht eher um das Zusammenkommen der Christenmenschen lutherischer Prägung, um das gegenseitige Bestärken, weniger um harte Beschlüsse oder Entscheidungen. Bezeichnend war am Montag eine Demonstration von LWB- Jugend-Delegierten samt Sprechchören, Gesängen und Plakaten für Klimaschutz und mehr Anstrengungen dafür innerhalb des Kongressgebäudes an der Weichsel, das der Kongress in diesen Tagen nutzte. Klar, so eine Indoor-Demo mag erhebend sein, stärkt das Gemeinschaftsgefühl und macht Spaß – aber die Wirkung nach außen ist gleich: null.

Naja, aber vielleicht sollte man da gnädig sein. Der LWB ist eben keine römisch-katholische Kirche, in der von oben nach unten runterregiert werden kann – und in den letzten Jahren sieht man ja fast jeden Tag, dass das auch nicht mehr funktioniert und Schreckliches dabei vertuscht werden kann, und zwar seit langem. Nein, der Kirchenverbund LWB ist gottseidank streng demokratisch, mit allen Mühen und Kompromissen, die das zwangsläufig zur Folge hat. Es dauert eine Weile, aber irgendwann hat man das verstanden und schraubt seine Erwartungen an die Vollversammlungen zurück. Besser so.

Anklage an israelische Regierung

Dennoch, zwei „Öffentliche Stellungnahmen“ sind in der Flut des geduldigen Papiers dann doch erwähnenswert. Zum einen ein Papier zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, das diesen Krieg mitten in Europa klar verurteilt. Dass nicht zugleich Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert werden, war auch nicht wirklich von dieser Versammlung zu erwarten. (Selbst Pawlo Schwarz, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine, forderte dies auf einer Pressekonferenz am Montag nicht, obwohl darauf angesprochen).

Zum zweiten wurde ein Papier zur Lage der Christinnen und Christen im Heiligen Land verabschiedet, das bemerkenswert ist und viel über die Stimmung auf dieser Versammlung in Krakau erzählt: Denn es geht darin zwar auch um die Christen in Israel und Palästina. Vor allem aber ist der Text eine große Anklage gegen die israelische Regierung, dass sie mit ihrer Politik der Besatzung unter anderem des Westjordanlandes der palästinensischen Bevölkerung viel Unheil antue. Warum gerade palästinensische und arabische Delegierten auf internationalen Kirchenversammlungen dieser Art mit ihrer Sicht der Dinge immer wieder so immens viel Einfluss haben, ja der israelisch-palästinensische Konflikt fast nur aus ihrer Perspektive gewürdigt wird, das ist ein Geheimnis ganz eigener Art und keinesfalls ein Segen. In solchen Fällen ist es dann auch ganz gut, wenn solche Interpretationen in einem Wust an verabschiedeten Papieren öffentlich mehr oder weniger untergehen. Und dieses segensreiche Vergessen gilt bis zur nächsten Generalversammlung des Lutherischen Weltbundes irgendwo auf der Welt. In sechs oder sieben Jahren.

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