Traut Euch das Anecken zu!

„Laudate Deum“ von Papst Franziskus als Vorbild für die Arbeit evangelischer Denkfabriken
Foto: privat

Vergangene Woche, zum Fest des heiligen Franz von Assisi und pünktlich zur Eröffnung der Bischofssynode zur Synodalität im Vatikan hat Papst Franziskus ein neues Apostolisches Schreiben, „Laudate Deum“ („Lobt Gott!“) vorgelegt. Es handelt sich dabei um ein Sequel seiner Enzyklika „Laudato Si“ aus dem Jahr 2015. Im Zentrum des Schreibens, das Franziskus seiner römisch-katholischen Kirche und „allen Menschen guten Willens“ ans Herz legt, steht die Klimakrise.

Es ist ein bemerkenswertes Dokument, weil es außerordentlich explizit politisch ist. Franziskus wendet sich nicht lose an alle Zeitgenossen, sondern ausdrücklich an die Gestalter:innen der internationalen Politik und die Teilnehmer:innen der kommenden Weltklimakonferenz (COP28) in Dubai. Franziskus will nicht nur erörtern, nachdenklich werden, sondern Politik beeinflussen. Im wörtlichen Sinne ganz unverschämt.

Den römisch-katholischen Christen gilt „Laudate Deum“ mit seiner scharfen Kritik der Verzweckung der Umwelt (hier: Mitwelt) durch den Menschen, der heftigen Kritik am „Globalen Norden“ oder Westen, und seinen konkreten politischen Forderungen nun als Teil des verbindlichen Lehramts - denke ich. Römische Kirchenrechtler mögen das anlassbezogen sicher auch anders sehen.

Für jene Menschen, die guten Willens sind, der Klimakrise entgegenzutreten, aber ist „Laudate Deum“ wie ein gültiger Pass beim Grenzübertritt in ein fremdes Land: Schaut, liebe Klimakrisen-Verharmloser und Klimapolitik-Bremser, selbst der Papst steht auf unserer Seite! Von der Parteinahme des Papstes für die Opfer der Klimakrise und für diejenigen, die für eine entschiedene Klimapolitik eintreten, dürften die Debatten zum Thema weltweit profitieren. Nicht umsonst waren Aktivist:innen von „Fridays for Future“ deswegen in Rom zugegen.

Nehmt den Papst zum Vorbild!

Von „Laudate Deum“ und Papst Franziskus sollten sich diejenigen Menschen eine Scheibe abschneiden, die in der Evangelischen Kirche mit der Arbeit an Denkschriften und Positionspapieren beschäftigt sind. Ob nun in der neuen „Friedenswerkstatt“ für eine Aktualisierung der evangelischen Friedensethik oder im neuen „Kammernetzwerk“ der EKD, überall sitzen ja Menschen guten Willens zusammen, die aus evangelischer Perspektive ein Zeitzeichen geben wollen. Leider gerieten die Ergebnisse solchen Nachdenkens in der jüngeren Vergangenheit allzu konsensorientiert, nach allen Seiten abgesichert und von einem enormen Ballast an scheinbar unverzichtbaren Fakten und Erkenntnissen erdrückt.

Das einfachste Beispiel dafür ist natürlich die Digitaldenkschrift der EKD „Freiheit digital - Die Zehn Gebote in Zeiten des digitalen Wandels“ von 2021. Schon ein Jahr nach Erscheinen der Denkschrift war sie – gnädiger Weise? – fast vollständig in Vergessenheit geraten. Wer sie heute liest, muss an vielen, vielen Einordnungen vorbeilesen, die permanenten erklärenden Einschaltungen ignorieren, und steht nach fast 250 Seiten (PDF-Version) doch nicht wesentlich schlauer da. Übrig bleibt vor allem, dass die evangelische Kirche etwas zur Digitalisierung sagen will.

Ein positives Gegenbeispiel: Seit ein EKD-Synodaler auf der Tagung im vergangenen Herbst in Magdeburg in der Aussprache zur „Letzten Generation“ aus der Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 zitierte, lässt mich dieses zeithistorische Dokument nicht mehr los. Es ist geradezu atemberaubend mutig in seiner liberalen Bürgerlichkeit, die sich selbstbewusst – und aus meiner laienhaften Perspektive: gut theologisch begründet – den demokratischen Staat zu eigen macht. Mit der Demokratiedenkschrift unterm Arm kann man sich gut an der Straße fürs Klima festkleben.

Ko-Autoren der Denkschrift waren damals unter anderen der spätere Bundespräsident Roman Herzog, Wolfgang Huber und Trutz Rendtorff. Auch heute dürften sich auf evangelischen Lehrstühlen und in Diensten von Staat und Kirche genügend Expertise auftreiben lassen, um dergleichen zu bewerkstelligen. Die Demokratiedenkschrift ist jedenfalls neben der Ostdenkschrift von 1965 (und dem Stuttgarter Schuldbekenntnis) das wirkmächtigste EKD-Zeitzeichen. Ich lasse mich gerne von Zeitzeugen berichtigen.

In der alten Bundesrepublik brachte die Evangelische Kirche also (mindestens) aller zwanzig Jahre eine zeitdiagnostische (Selbst-)Positionierung zustande, die Debatten und Politik beeinflusste. Seit der Demokratiedenkschrift sind nun bald vierzig Jahre vergangen. Aber wer wöllte derzeit schon die Friedensdenkschrift von 2007 „Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“ mit in den Reigen aufnehmen?

Inhalt schlägt Netzwerk

Die gegenwärtige Werkstattisierung der evangelischen Programmarbeit verdankt sich einem starken Netzwerk-Paradigma, das von der immer noch tonangebenden Generation von Kirchenleitenden und Theolog:innen bevorzugt wird. Bei all den schönen Buzzwords und „Netzwerklogiken von Kommunikation und Leitung“ (Horst Gorski hier in den zeitzeichen) gerät aus dem Blick, dass auf dem Weg des Konsenses und des Alles-und-Jeden-beachten-Wollens – das dann gerne als Multiperspektivität bezeichnet wird – kein Ergebnis zu Stande kommen kann, das überrascht, herausfordert und als kritischer Widerhaken funktioniert.

Das wirklich beeindruckende an des Papstes Gotteslob anlässlich der Klimakrise ist nämlich, dass er sich bewusst und kräftig und scharf gegen die Klimakrisen-Skeptiker und Klimapolitik-Gegner in seiner eigenen Kirche wendet. Man könnte geradezu meinen, er rufe die Menschen guten Willens außerhalb seiner Kirche gegen sie zu Hilfe. Müsste nicht genau das noch vielmehr Maßstab einer evangelischen Denkschrift sein, dass sie uns Evangelische ankiekst, verstört, herausfordert durch die Klarheit ihres biblisch-theologischen Zeugnisses, die Konzentration auf das Wesentliche und Wichtige einer politischen oder gesellschaftlichen Frage, durch Sätze und Gedanken von triftiger Schönheit?

Nun denn wohl: Es kann ja doch sein (so Gott will), dass die Thinktank-Arbeit im neuen „Kammernetzwerk“ der EKD oder auch die „Friedenswerkstatt“ (immerhin nicht „Task Force“), die sich an der Friedensdenkschrift von 2007 abarbeitet, solche Ergebnisse zeitigt. Auch der Papst hat „Laudate Deum“ ganz sicher nicht allein an seinem Schreibtisch fabriziert, sondern auf Helfer zurückgegriffen, mit zum Teil erstaunlichen Konsequenzen (s. Fußnote 41). Ressourcenschonender wäre es gleichwohl, wenn man auf das ein oder andere Hearing oder Konferenzchen zur Abklärung wichtiger Teilschritte verzichtete, und stattdessen schlicht vier oder fünf Willige für eine Woche oder zwei in ein abgeschieden gelegenes Häuschen verfrachtete (mehrere Evangelische Akademien böten sich ob ihrer verkehrstechnischen Unzugänglichkeit an) und sie bei guter Verpflegung einfach mal machen ließe. Habe ich die neue Spontaneität, die doch aus dem „Kammernetzwerk“ fließen soll, so richtig verstanden?

Anschließend bräuchte es nur noch einen Rat der EKD, der sich selbst als ersten Adressaten und nicht als Gatekeeper einer solchen spekulativen und womöglich spektakulären Positionierung versteht und der Veröffentlichung seinen Segen gibt. „Wir müssen diese Logik überwinden, dass wir einerseits ein Problembewusstsein an den Tag legen und gleichzeitig nicht den Mut haben, wesentliche Veränderungen herbeizuführen“, legt der Changemanager Papst Franziskus uns allen ans Herz („Laudate Deum“, Nr. 56). Und warum eigentlich nicht? Da die EKD-Denkschriften ja sowieso kein verbindliches Lehramt darstellen, könnten sie wenigstens richtig anecken.

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