„Einatmen, ausatmen, innehalten, hören“

Die Verleihung des Predigtpreises an Luisa Neubauer regt viele Menschen auf. Wären sie doch nur dabei gewesen!
Foto: Harald Oppitz

Schubert, Büchner, Bizet, Hauff, Macke, Van Gogh – geht es nach manchen facebook- und X-Kommentator*innen sind das allesamt keine Leute, denen man einen Preis für ihr Lebenswerk überreichen dürfte. Einfach zu jung gestorben, niemand von ihnen erreichte das vierzigste Lebensjahr, manche starben gar mit Anfang Zwanzig. Mit Verweis auf den „Forever 27 Club“, zu dem Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison gehören, nahm die diesjährige Preisträgerin des Ökumenischen Predigtpreises für das Lebenswerk Luisa Neubauer diese Einwände humorvoll auf die Schippe. Den Mitgliedern dieses Clubs, ihren Altersgenoss*innen, habe man den Preis einfach nicht rechtzeitig überreichen können. Sie persönlich wolle allerdings gerne noch ein wenig älter werden.

Mehr Energie widmete sie ihren Kritiker*innen nicht, stattdessen bewies sie mit einer eloquenten, spirituell tiefen und charismatisch vorgetragenen Dankesrede, dass wir als Jury ihr den Preis nun allemal zu Recht und durchaus zum rechten Zeitpunkt überreicht haben. Manche Menschen erreichen eben in jungem Alter eine erstaunliche Reife und können mit Fug und Recht auf eine Lebensleistung zurückblicken, die andere erst spät oder nie erreichen. Neubauers zentralen Appell hätte man sicher auch dem alten Herrn Anselm Grün in den Mund legen können, ohne dass dies irgendjemandem aufgefallen wäre: „Einatmen, ausatmen, innehalten, hören“.

Auf die Schöpfung hören, aber auch auf das eigene Herz. Luisa Neubauer regte ihre Zuhörer*innen an, den Blick in die eigenen Abgründe zu wagen. Ohne diesen mutigen Blick auf die eigenen Ängste funktioniere kein nachhaltiger Einsatz für diese Welt. Vielmehr droht im rein nach außen gerichteten Engagement die Erschöpfung. Das Ein- und Ausatmen verbindet mit der Welt, in der und von der wir Menschen leben. Das wunderschöne Paul-Gerhardt-Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“, das das Auditorium im Anschluss an die Preisübergabe gemeinsam anstimmte (Luisa Neubauer sang kräftig mit), erschien dann wie eine poetisch-musikalische Ergänzung ihrer Gedanken. Oder wie eine klingende Grundierung.

Über Glauben Rechenschaft abgelegt

Schade, dachte ich, dass die Leute, die uns als Jury wegen der Entscheidung für Luisa Neubauer schriftlich ihren Kirchenaustritt angekündigt haben, diesen Vormittag in der Bonner Schlosskirche (wahrscheinlich) nicht miterlebt haben. Wie viele Vorurteile wurden an diesem Morgen entkräftet. Es gab wohl kaum jemanden, der diese Feierstunde nicht bewegend fand! Wir erlebten zwei junge Menschen (die Preisträger*in für die beste Predigt studiert noch!), die sich engagieren für eine bessere Welt, die ihre Lebenszeit für andere einsetzen und dabei Kraft (auch) aus ihrem Glauben schöpfen. Lisa Neubauer meint, „weil wir Teil von etwas sind, das größer ist als wir selbst.“

Nathalie Schuler berichtete in bewegenden Worten, wie ein Mensch, der nicht religiös aufgewachsen ist, die Bekehrung zum Christentum und die eigene Taufe erleben kann. Als Befreiung nämlich und als bedingungslose Annahme. Die Kritiker*innen mögen für sich überlegen, ob es auch ihnen möglich ist, so authentisch über ihren Glauben Rechenschaft abzulegen. Noch dazu zeigten sich beide Preisträger*innen äußerst bescheiden und nahmen die Ehrung ausdrücklich stellvertretend für die Gruppen entgegen, in denen sie sich engagieren.

So bleibt mir nur, hingerissen zu erzählen. Es ist ein bisschen so wie früher, wenn man aus Taizé zurückkam oder von einem Kirchentag, das Herz war voll und der Mund floss über und die Daheimgebliebenen schauten, wenn es gut ging, nachsichtig. Oder belächelten mitleidig die Begeisterung. Ich lächele heute auch. Doch nicht aus wohlfeiler intellektueller Überlegenheit, sondern aus dankbarer Freude darüber, dass es noch eine Hoffnung für diese Welt und die Kirchen gibt, wenn sich solche jungen Menschen engagieren.

PS: “Einatmen, ausatmen, innehalten, hören“ scheint mir übrigens auch ein guter Tipp für die User der Kommentarfunktionen bei facebook und X zu sein.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Theologie"