Rasender Reporter

Eine Biografie

Sein Lehrer hatte in letzter Zeit Gedichte von einem Kisch gelesen. „Sind das etwa Sie?“, fragte er den Schüler, dem der Herauswurf aus seiner Prager Schule drohte, weil es Schülern streng verboten war, Texte zu publizieren. Deshalb behauptete dieser, die Gedichte seien von seinem Bruder. Da der Redakteur der Publikation den Autor nicht kannte, veröffentlichte er die Gedichte einfach unter dem Namen Erwin Kisch. Auch wenn Kisch nie Erwin geheißen hatte, war damit doch Egon Erwin Kisch „geboren“, wie der Berliner Autor Christian Buckard in seiner Biografie des 1948 gestorbenen Kisch feststellt.

In den folgenden Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde nach den Worten seines Biografen die Reporterlegende Egon Erwin Kisch „geboren“. Buckard geht es nicht um ein Heldenepos. Aber Kisch habe ein literarisches Erbe hinterlassen, das in seiner Höhe, Breite und Tiefe seinesgleichen suche. Alles, was Kisch schreiben sollte, musste ungewöhnlich genau recherchiert sein. Selbst wenn er seine Karriere nach der Veröffentlichung seiner Reportagesammlung Der rasende Reporter beendet hätte, wären ihm ein Ehrenplatz in der Geschichte der Prager Literatur und der bleibende Ruhm als Schöpfer und Pionier der modernen deutschsprachigen Reportage sicher gewesen. Und dennoch bleibe Egon Erwin Kisch ein Unvollendeter. Man könne sein Werk nicht ohne den Verdacht lesen, dass er sich, hätte er nach Kriegsende weitergelebt, in einem New Yorker oder Londoner Café darauf besonnen hätte, was ihn einst mehr aus Zufall in die Reihen der Kommunisten geführt hatte. Er hätte sich dann ebenfalls eingestehen müssen, dass ihn die Partei als Mensch und als Schriftsteller immer mehr vom rechten Wege abgebracht hatte.

Im Jahr 1911 legte Kisch seine erste Sammlung der Prager Reportagen in Buchform vor: Aus Prager Gassen und Nächten. Es wurde ein großer Erfolg. Im Frühling 1913 konnte Egon Erwin Kisch bereits auf eine beachtliche Karriere zurückblicken. Seine Reportagen kamen bei der Leserschaft an wie mit Worten gemalte Bilder. Das „Romanische Café“ wurde zum Treffpunkt vieler schreibender Kollegen, die bald nicht mehr sagten, wir gehen ins „Romanische“, sondern „wir gehen zu Kisch“.

Für Kisch, wie für alle „gläubigen“ Kommunisten, galt Amerika als Land des hemmungslosen Kapitalismus. Der Börsencrash im Oktober 1929, der zur Weltwirtschaftskrise und damit auch zum Zusammenbruch der deutschen Demokratie führen sollte, hat im Werk von Egon Kisch keine Spuren hinterlassen, was seinen Biografen zu der Frage veranlasste, ob er die Tragweite des Geschehens nicht erfasst habe. Jedenfalls wurde Kisch im Oktober im ukrainischen Charkow zum Professor der Journalistik ernannt. Kisch wollte ein Jahr lang im Land, der damaligen Sowjetunion, bleiben. Dort saß inzwischen Stalin fest im Sattel. Bei der von ihm angeordneten Liquidation der Kulaken (Großbauern) als „Klasse“ ging er mit äußerster Brutalität vor.

Kisch habe gleichwohl seine Begeisterung über die Situation in Taschkent kaum zügeln können. Dort sei ihm die Revolution endlich als eine gute Sache erschienen. Im Zentrum seiner Reportagensammlung Asien gründlich verändert stand die Befreiung der Frau durch das Zurückdrängen des konservativen Islam. Buckard spricht in diesem Zusammenhang von einem Hohelied auf die rote Frauenbefreiung. Die amerikanische Journalistin Maguerite Harrison wirft Kisch dagegen vor, viel zu eingenommen zu sein, die Existenz eines amerikanischen Imperialismus zuzugeben oder vielleicht auch nur zu erkennen.

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