Vorreiter des Laizismus

Vor 200 Jahren wurde Ernest Renan im bretonischen Tréguier geboren
Die Kinderstube von Ernest Renan in Tréguier.
Foto: Philipp Gessler
Die Kinderstube von Ernest Renan in Tréguier.

Als Ernest Renan vor 200 Jahren, in der Nacht zum 28. Februar 1823, geboren wurde, weinte seine Mutter – jedoch nicht aus Freude: „Als du zur Welt kamst, waren wir so traurig, dass ich dich in meine Arme genommen und bitter geweint habe.“ Der Grund für die Traurigkeit waren größte Geldsorgen im Hause Renan. Die Lage wurde noch schlimmer, als Renans Vater, ein Kapitän der Handelsmarine, fünf Jahre später auf hoher See verschollen ging. Die Schulden, die Vater Renan hinterließ, waren enorm. Dennoch schaffte es Ernest Renans Mutter, ihre Kinder durchzubringen und auch das Fachwerkhaus nicht zu verkaufen, in dem Renan geboren wurde. Es steht im malerischen Tréguier, und Ernest Renan ist eindeutig der größte Sohn der Stadt, auf den man hier in der nördlichen Bretagne immer noch sehr stolz ist.

Ernest Renans Geburtshaus, das 1947 ein Museum zu seinen Ehren wurde, ist nicht spektakulär: Die Armut der frühen Jahre Renans erahnt man noch heute. Alles ist äußerst schlicht, die kleine Ausstellung im Fachwerkhaus leider ebenfalls. Spektakulär aber sind die Geschichte und die Wirkung dieses Gelehrten, der, wie ein Museumsflyer ohne Übertreibung schreibt, ein „Vorreiter des Laizismus“ in Frankreich war. Laizismus oder Laizität („laïcité“) ist ein Grundpfeiler der französischen Republik. Insofern ist es schon ein wenig verwunderlich, wie zurückhaltend das Museum gerade in diesem Renan-Jubeljahr mit diesem großen Philosophen Europas umgeht.

Professur verloren

Der hochbegabte Renan wollte zunächst katholischer Priester werden und trat in ein Priesterseminar ein, verließ es aber, weil er an seiner Berufung zweifelte. Stattdessen widmete er sich mit großem Erfolg den Geisteswissenschaften, vor allem der Philologie, und nahm 1860 an einer archäologischen Mission ins Heilige Land teil, die ihm vom französischen Kaiser Napoleon III. anvertraut worden war. Bei dieser damals noch sehr beschwerlichen Reise starb seine Schwester, die ihn begleitet hatte.

Trotz dieser traumatischen Erfahrung gelang dem herausragenden Gelehrten Renan, zurück in Frankreich, zunächst fast alles: Er errang 1862 eine Professur am Collège de France und schrieb ein Jahr später sein Epoche machendes und europaweit hoch gelobtes Werk Das Leben Jesu. Es kann als ein entscheidender Ursprung der historisch-kritischen Leben-Jesu-Forschung gelten.

Doch wegen des massiven Protests vor allem katholisch-klerikaler Kreise gegen das Jesus-Buch verlor Renan schon 1864 seine Professur wieder. Erst 1870 wurde er wieder am Collège aufgenommen. Renan behielt diesen Posten bis zu seinem Tod 1892 – und galt da schon als einer der großen Intellektuellen der Republik. Bezeichnend ist: „Ernest Renan“ nannte man Anfang des 20. Jahrhunderts eines der ersten Panzerschiffe der französischen Kriegsmarine.

Das kaum Erklärbare bei Renan ist jedoch das Nebeneinander von schlimmsten rassistischen, kolonialistischen und islamfeindlichen Aussagen einerseits und durchaus sehr fortschrittlichen Ansichten andererseits. Ein Beispiel ist seine ziemlich bekannt gewordene Aussage zum Thema Nation, eine Sentenz, die im Patriotismus-besoffenen 19. Jahrhundert fast undenkbar war: „Die Nationen sind nichts Ewiges. Sie haben einmal angefangen, sie werden enden. Die europäische Konföderation wird sie wahrscheinlich ablösen.“ Am erschütterndsten sind aber wohl Renans antisemitische Aussagen, die im scharfen Kontrast zu seinem immensen Wissen über das Judentum und des alten Hebräisch stehen. Wie diese sich diametral widersprechenden Ansichten Platz in einem Kopf finden konnten, ist rätselhaft und beschäftigt die Renan-Forschung noch heute.

All diese Fragen werden im Geburtshaus Renans in Tréguier bedauerlicherweise nur angetippt. Der Besuch des Hauses ist dennoch ein guter Anstoß, um sich mit diesem großen Intellektuellen tiefer zu beschäftigen. Einem atemberaubenden Geist voller Widersprüche. 

Weitere Informationen:www.academie-francaise.fr/les-immortels/ernest-renan

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