Auch ein Abend der Befreiung

Die Buchpremiere von Dilek Güngörs neuem Roman "A wie Ada" am Wannsee in Berlin
„‚Dazwischen‘ ist kein sicherer Ort“, sagt Dilek Güngör.
Foto: Yvonne Motzkus
„‚Dazwischen‘ ist kein sicherer Ort“, sagt Dilek Güngör.

Das Literarisches Colloquium Berlin, eigentlich immer und überall nur LCB genannt, ist ein zauberhafter Ort. Die prächtige Villa liegt etwas erhöht am Großen Wannsee im Südwesten der Hauptstadt. Wenn man auf ihre Terrasse geht, blickt man auf den herrlichen See, dessen Schönheit auch das nicht zerstören kann, was vor 82 Jahren in einem ähnlichen Gebäude auf der anderen Seite des Gewässers geschah. Aber darüber an diesem späten Winterabend kein Gedanke, schon lange nicht, wenn die Lichter der Seegrundstücke über das Wasser glitzern! Wie schön kann das Leben sein!

Dilek Güngör stellt hier und heute ihren neuesten Roman vor, und wenn die charmante Autorin aus ihren Werken liest, steigert er sich sogar noch, dieser Zauber, der sich vor allem aus ihrer Herzlichkeit und Offenheit speist. Zumal dies so etwas wie ein Heimspiel ist. Die Berliner Schriftstellerin – hier meist nur Dilek gerufen – braucht etwa zehn Minuten, um auf die Bühne zu kommen, so viele Freunde und Bekannte gilt es, im Publikum zu küssen und zu umarmen. Endlich hat sie die Bühne erreicht, hinter der etwas pathetisch eine Handvoll leicht kitschige Säulen stehen, als müsste die Inneneinrichtung noch betonen, dass dies ein Tempel der Literatur ist.

Die Buchpremiere mit Dilek Güngör im LCB ist eine klassische Mischung aus Lesung und Gespräch, geführt von Wiebke Porombka. Die Literaturkritikerin stellt einfühlsame Fragen – obwohl die Fragen kaum nötig scheinen. Denn Dilek Güngör erzählt auch ungefragt so umwerfend offen über ihr Leben sowie dem Wohl und Weh des Schreibens, dass wenige Fragen offenbleiben.

Die knappe Form

A wie Ada heißt das neue Werk der 51-Jährigen– es ist ihr sechstes Buch, und wie fast alle ihre Bücher ist es, trotz der Gattungsbezeichnung „Roman“ auf dem Einband, ein ziemlich knappes Buch, nur 105 Seiten lang, die sich zudem viel Weißraum gönnen. Dilek Güngör ist eine Meisterin der kurzen Form. A wie Ada versammelt etwa sechs Dutzend Miniaturen, die hintereinander gelesen (aber das ist nach Auskunft der Autorin nicht zwingend), so etwas wie ein halbes Leben schildern. Es sind vor allem Kindheit und Aufwachsen einer Frau aus einer deutsch-türkischen Mittelstandsfamilie in der Provinz, wobei der migrantische Hintergrund nur sehr sanft zum Tragen kommt.

Das war in früheren Werken Dilek Güngörs, die, wie sie sagt, meist aus ihren eigenen Erfahrungen schöpft, häufig anders. In ihnen spielten die Probleme und Zwiespältigkeiten eines Aufwachsens in einer klassischen Gastarbeiterfamilie seit den 1970er-Jahren eine bedeutende Rolle. Besonders deutlich wird dies in ihrem Buch Ich bin Özlem, das Dilek Güngör vor fünf Jahren vorgelegt hat. Es thematisierte auf durchaus bedrückende Weise das Hier-Sein und doch Nur-halb-dazu-Gehören einer jungen Frau, die scheinbar ziemlich sorgenlos mitten in der deutschen Mehrheitsgesellschaft steht. „‚Dazwischen‘ ist kein sicherer Ort“, sagt Dilek Güngör an diesem Abend am Wannsee einmal.

Im Vergleich zu Ich bin Özlem ist A wie Ada heiterer – und, was Dilek Güngör wichtig ist, es ist auch ein Zeichen einer gewissen Befreiung: Die frühere Journalistin hat sich befreit, wie sie an diesem Abend andeutet, von Selbstzweifeln, ob sie denn nun eine richtige Autorin sei, genauer: ob diese kleine, meist eher nicht von Handlung getriebene Form, die ihr seit Jahrzehnten auch im Journalismus liegt, denn nun richtige Literatur sei.

Es habe ihr geholfen, erklärt Dilek Güngör im LCB, dass sie mit ihrem letzten Buch Vater und ich auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet sei. Es war eine Art Signal: Ja, ich kann es, ich bin eine auch intellektuell akzeptierte Schriftstellerin. A wie Ada ist ein weiterer Schritt in dieser Entwicklung von Dilek Güngör: Eine Autorin hat ihre Form, ihre Sprache gefunden – und sie hat sich befreit von Erwartungen, sie bearbeite literarisch vor allem ihren migrantischen Hintergrund. Diese Freiheit zu erleben, machte einen großen Teil des Zaubers an diesem Abend am Wannsee aus. 

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