Meditation am Car-Freitag

Die Feiertagsruhe zog diesmal auf Umwegen rund um den Nürburgring ein
Foto: Harald Oppitz

Auf meiner persönlichen Hitliste in Sachen erotische Ausstrahlung liegen Herren an der Spitze, die mir gerne, ungefragt und ausführlich die Welt erklären. Knapp gefolgt von Autoposern. Wer kann als Frau so viel geballter Männlichkeit in Kombination mit hochgezüchteten Motoren schon widerstehen?! Letzte Woche versammelte sich die Szene ganz bei mir in der Nähe am Nürburgring. „Car Friday“, der Startschuss für alle, die auf Tuning stehen. Keine Ahnung, wer darauf gekommen ist, am Karfreitag ein Autotreffen Car Friday zu nennen – die Aktion kommt jedenfalls an. 

Während ich mich auf den Weg zum Gottesdienst gemacht habe, waren schon alle legalen Parkplätze am Nürburgring besetzt. Und als wir nach dem Abendmahl die (fast bis auf den letzten Platz besetzte) Kirche verließen, nahm in der Eifel das Chaos seinen Lauf. Fast vierzigtausend Menschen fanden es attraktiv, ihre Boliden in den Westen der Republik zu lenken. Dort erwarteten sie schon tausende Polizisten, die – gezwungenermaßen, Augen auf bei der Berufswahl! – keine Karfreitagsruhe genießen, sondern stattdessen die Fahrer kontrollieren durften. Legal war die Angelegenheit an sich schon. Tanzen ist am Karfreitag verboten – noch! – Fahren ist erlaubt. 

Tiefempfundene Häme

Zu viel Krach darf es allerdings auch nicht sein: Einen Porschefahrer kostete es einen Punkt in Flensburg und eine saftige Geldstrafe, dass er seinen Motor mehrfach über Gebühr aufjaulen ließ. Viele andere wurden direkt von der Polizei aus dem Verkehr gezogen, weil ihr Tuning illegal war. Aber der Rest blieb jedenfalls polizeilich unbehelligt. Nur: Das mit dem Posen lief irgendwie schief. Denn die Teilnehmer waren buchstäblich durch sich selbst gestoppt. Statt ihre Boliden auf dem Ring den neidischen Blicken der Konkurrenten und den sehnsüchtigen Blicken der Damen zu präsentieren, sah der Großteil der Teilnehmenden lediglich die roten Bremslichter des Autos vor ihnen. So ein Pech aber auch!

Ich bin schon von Berufs wegen eine fromme Seele. Ich hatte mir an diesem Karfreitag auch die Mahnung des Pfarrers im Gottesdienst sehr zu Herzen genommen, dass die Spötter eine richtig üble Rolle sowohl in der Passionsgeschichte als auch in der Welt von heute spielen. Ich habe mir sofort vorgenommen, niemals dort sitzen zu wollen, wo die Spötter sitzen. Doch an diesem Nachmittag auf meinem heimischen Sofa, während im Halbstundentakt die Durchsage im Radio kam, dass am Nürburgring einfach gar nichts mehr ginge, konnte ich mich eines heftigen Anfalls von tiefempfundener Häme nicht verschließen. Die taten mir richtig leid, die Jungs. Da hat Mann an unzähligen Samstagen in der heimischen Garage geschraubt und die Karre hochgezüchtet und dann wird er einfach so ausgebremst. Das darf doch nicht wahr sein!

Vielleicht, so überlegte ich später andächtig, war das alles aber auch ein göttlicher Fingerzeig. Unser Gott hat ja sicher Humor, anders könnte er uns Menschen nicht ertragen. Wahrscheinlich wollte er all diesen Motorfans die einmalige Chance geben, einfach mal runterzukommen, zu entschleunigen, die eigene Mitte finden, jeder weiß ja, dass das gut tut. Gott gönnte am Karfreitag diesen durch die VUCA-World völlig desorientierten Menschen ein paar Stunden Meditation, und das gratis. Wie großzügig! Statt der üblichen Kerze in der gestalteten Mitte gab es halt die Bremslichter. 

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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