Viele Impulse

Ein Sammelband zur rechten Zeit

Klare Ansage im ersten Satz: „Die Demokratie ist bedroht.“ Deshalb hat Harald Roth, Herausgeber des Sammelbandes „Verteidigt die Demokratie“, eine illustre Schar von Autor:innen zusammengeführt, die eines eint: „Das Bekenntnis und das aktive Eintreten für die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte.“ Wobei nicht alle Texte für diesen Band geschrieben wurden, manche sind gar historische Dokumente, wie ein kurzer utopischer Text von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1930, ein noch kürzerer von Thomas Mann von 1937 und ein Absatz von Carlo Schmid aus einer Rede im Parlamentarischen Rat 1946. Diesem programmatischen Auftakt folgen aktuelle längere Texte von der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und dem früheren Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle.

Als Expertin für Erinnerungskultur legt Assmann erwartungsgemäß den Schwerpunkt auf die aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und erklärt nachvollziehbar, warum das Treffen von Rechtsradikalen in der Villa Adlon im Zusammenhang mit der „Wannsee-Konferenz“ zur „Endlösung der Judenfrage“ knapp 82 Jahre zuvor gesehen werden muss. Sigmund Freud habe von „Wiederholungszwang“ gesprochen und als Therapie die Arbeit des Erinnerns und Durcharbeitens empfohlen.

Andreas Voßkuhle liefert ein Plädoyer für eine Stärkung des Parlamentes als Ort des politischen Ideenwettbewerbes. „Politikerinnen und Politiker marginalisieren sich mittelfristig selbst und vor allem auch das Parlament, wenn sie größere Teile der politischen Auseinandersetzung in die sozialen Medien verlagern.“ Zudem bricht er eine Lanze für „Qualitätsjournalismus, eine vielfältige Medienwelt und die Gewährleistung der Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, für dessen Gewährleistung und Regulierung der Staat Verantwortung trage. Eine gewiss noch aktuelle Forderung, auch wenn sie aus einem drei Jahre alten Vortrag stammt.

Es folgen noch rund 30 Texte zum Thema, darunter ein weiteres Plädoyer für Qualitätsjournalismus gerade in Lokalredaktionen, der im Zweifel öffentlich gefördert werden müsse, wenn die Marktmechanismen versagten, von Tanjev Schultz, ehemaliger Redakteur der Süddeutschen Zeitung und nun Professor an der Universität Mainz. Auch der frühere bayerische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm zählt zu den Mitwirkenden und begründet luzide unter anderem, warum „die Leidenschaft für die Menschenwürde eine direkte Konsequenz aus dem Glauben an Gott“ ist und Christenmenschen in der ersten Reihe stehen müssen, „wenn es darum geht, gegenüber den menschenfeindlichen Ideologien Flagge zu zeigen, die jetzt wieder salonfähig zu werden drohen.“

Manche Texte überzeugen mehr, andere weniger, das liegt im Wesen eines solchen Buches, das ein Sammelband zur rechten Zeit ist und zahlreiche Impulse zur Diskussion liefert. Dass viele Texte schon woanders erschienen sind, wird nicht verschwiegen und gehört zum Wesen einer aktuellen Anthologie. Eine wirkliche Fehlleistung des Herausgebers ist aber, dass unter den Autor:innen nur zwei mit Ost-Biografie zu finden sind.

Einer davon ist Sebastian Krumbiegel, Sänger der Pop-Gruppe „Prinzen“, dessen Beitrag vor allem aus dem Abdruck seines Liedes für die Demokratie besteht. Nett, aber es hätte schon interessiert, wie er die Entwicklung in Ostdeutschland nach der Wende beurteilt. Was ist seitdem schiefgelaufen?

Gibt es nicht mehr kompetente Stimmen aus der Region, deren Bevölkerung schließlich vor gut 30 Jahren mutig für die Demokratie gekämpft hat und die in den Landtagswahlen in diesem Jahr besonders zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen ist? Natürlich gibt es die, aber sie tauchen in diesem Buch kaum auf. Ärgerlich!

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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