Am Abgrund

In einer Granitmine in Ouagadougou müssen auch Kinder arbeiten
Männer tragen die schweren Gesteinsbrocken aus der Mine, die Frauen und Kinder zerkleinern sie.
Foto: Sascha Montag
Männer tragen die schweren Gesteinsbrocken aus der Mine, die Frauen und Kinder zerkleinern sie.

In den Minen Burkina Fasos müssen schon die Jüngsten ihren Eltern bei der schweren Arbeit helfen. Und begeben sich dabei in Lebensgefahr. Lokale Initiativen wollen die Kinder von den Minen fernhalten – können aber nicht alle retten.

Ein tiefes Loch klafft in der Erde. Steile, nur mit Steinen und zerschlissenen Autoreifen befestigte Pfade führen in den Schlund hinab. Dort unten verbrennen Männer ausrangierte Reifen unter der rotbraunen Erde. Die hohen Temperaturen sollen das Granitgestein für den Abbau lockern. Rauchschwaden wabern über das milchig grüne Gewässer, das am Grund des Loches entstanden ist. Grundwasser, das nicht abgepumpt werden kann und die Arbeit der Männer zusätzlich erschwert. Mit schweren Hämmern hauen die Männer auf das Gestein ein, stapeln die Gesteinsbrocken in Metallwannen, die sie auf ihren Köpfen aus der Grube hinaustragen. Der Geruch des verbrannten Gummis brennt im Hals, der Staub lässt den Mund trocken werden. Die Hitze des Tages senkt sich wie eine Glocke über den Krater.

 Als Jugendlicher musste Rahim Kabre, 35, in der nahegelegenen Mine Steine hacken, schleppen und zerschlagen. Heute unterrichtet er die Kinder der Minenarbeiter.
Foto: Sascha Montag

Als Jugendlicher musste Rahim Kabre, 35, in der nahegelegenen Mine Steine hacken, schleppen und zerschlagen. Heute unterrichtet er die Kinder der Minenarbeiter.

 

Zwei Straßen weiter schallt das Lachen kleiner Kinder über eine zwei Meter hohe Mauer. Ein bunt bemaltes Metalltor steht einen Spalt weit offen. Dahinter toben im Schatten eines Wellblechdaches Vorschulkinder über einen sandigen Pausenhof, der nicht größer ist als ein Klassenzimmer. Ein Mann tritt auf den Schulhof hinaus, steht leicht erhöht auf dem offenen Flur zu den Klassenräumen. „Alle Kinder reinkommen!“, ruft er mit kräftiger Stimme. Über einem weißen Poloshirt mit blauem Kragen trägt er einen braun-weiß gemusterten Kittel, der aus dem gleichen Stoff genäht ist wie die Uniformen der Kinder. Seine Hände sind der Beweis für einen glücklichen Zufall, der ihn aus dem Moloch der Granitmine herausgerissen hat. Die Rillen unter seinen Fingernägeln sind sauber, Wunden sind nicht zu sehen. Doch er weiß noch, wie es sich anfühlt, wenn die Hände rau und aufgerissen, die Handballen von Schwielen überzogen sind. Als Jugendlicher musste Rahim Kabre, 35, in der nahegelegenen Mine Steine hacken, schleppen und zerschlagen. Heute steht er als Lehrer an der Tafel und unterrichtet die Kinder der Minenarbeiter.

Burkina Faso
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Mitten in Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Krisenstaats Burkina Faso, hat die Armut einen Namen: Pissy. Die Granitmine heißt wie das Stadtviertel, in dessen Herz sie sich frisst. Eine asphaltierte Straße führt in das Viertel hinein, doch wer zur Mine will, muss auf eine mit tiefen Schlaglöchern übersäte rote Sandpiste abbiegen. Meckernde Ziegen suchen im Plastikmüll, der die Straße säumt, nach Essbarem. Nach 200 Metern türmen sich auf einer freien Fläche am Straßenrand Granitsteinhaufen. Drei Männer schaufeln die zerkleinerten Steine auf die Ladefläche eines klapprigen Lastwagens. Hinter den aufgeschütteten Haufen stehen hunderte Verschläge, aus Stöcken, Stoffresten und Plastikplanen, am Rand der Abbruchkante erbaut. Bei 40 Grad im Schatten schützen sie die Menschen, die darunter arbeiten, vor der Sonne. Es sind vor allem Frauen, die mit ihren selbstgefertigten Werkzeugen die großen Granitsteine aus dem Schlund der Mine zerkleinern. Sie sitzen gekrümmt auf dem Boden, barfuß, ohne Handschuhe oder Schutzbrille, und gehen mit kräftigen Schlägen unablässig ihrer Arbeit nach. Für einen Hungerlohn, der sich an dem Gewicht der zerschlagenen Steine orientiert und an den meisten Tagen gerade so für ein Abendessen reicht.

Burkina Faso
Foto: Sascha Montag

 

Burkina Faso zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Rund 40 Prozent der gut 20 Millionen Menschen im Land gelten als arm. Und die Bevölkerung wächst schnell. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen könnte sich die Einwohnerzahl des krisengeschüttelten Landes bis 2050 fast verdoppelt haben. Seit Jahren überschwemmt eine Welle der Gewalt das Land. Der Terror im Namen eines radikalen Islams breitet sich wie ein Flächenbrand aus. Über weite Teile des Nordens und Ostens des Landes hat die Regierung längst die Kontrolle verloren. Die prekäre Sicherheitslage facht die Armut weiter an. An den Ampeln stehen Kinder, drängen sich an die wartenden Autos und führen ihre Hände immer wieder an den Mund. Dass Kinder die Familien miternähren ist in Burkina Faso trauriger Alltag. Fast die Hälfte der Jungen und jedes dritte Mädchen zwischen fünf und 14 Jahren ist Opfer von Kinderarbeit. Der Staat will das ändern, tut aber wenig.

Internationale Hilfe

„In unserer Mine arbeiten keine Kinder mehr“, sagt Edouard Sawadogo, Vorsitzender einer lokalen Organisation, die die Anliegen der Frauen und Männer des Steinbruchs von Pissy vertritt. „Früher gab es neben den 4 000 Menschen, die in der Mine arbeiten, auch rund 300 Kinder.“ Das habe sich schon vor zwanzig Jahren geändert. „Damals kam ein Vertreter des Gesundheitsministeriums in die Mine und drohte, sie zu schließen. Die Kinder sollten raus aus der Mine, an einen sicheren Ort.“ Doch nicht der Staat, sondern internationale Hilfsorganisationen bauten überall im Land Vorschulen, sogenannte Bisongos, auf. Das Wort setzt sich aus zwei Mooré-Wörtern, der geläufigsten Sprache Burkina Fasos, zusammen und heißt frei übersetzt: „Wohlergehen der Kinder“. Auch der Verband der Minenarbeiter von Ouagadougou erhielt internationale Hilfe. In den vergangenen zwei Jahrzehnten baute er mit Geldern aus dem Ausland nach und nach zwei Vorschulen, eine Krippe und ein Ausbildungszentrum ganz in der Nähe der Mine auf.

Der zwölfjährige Somaila arbeitet jeden Tag von sieben Uhr morgens bis zum Nachmittag in der Mine. Bis vor zwei Jahren ging er noch zur Schule, dann fehlte der Familie das Geld, das er nun verdient.
Foto: Sascha Montag

Der zwölfjährige Somaila arbeitet jeden Tag von sieben Uhr morgens bis zum Nachmittag in der Mine. Bis vor zwei Jahren ging er noch zur Schule, dann fehlte der Familie das Geld, das er nun verdient.

 

„Fast alle unsere Eltern arbeiten in der nahegelegenen Mine“, sagt Rahim Kabre. Auch die Mutter der fünfjährigen Nafi zerschlägt von morgens bis in den späten Nachmittag hinein Granitsteine in der Mine. Ein hartes Leben, das auch ihre Tochter zeichnet. Nafi blickt mit starren, leeren Augen und leicht geöffnetem Mund auf die Tafel. Über ihrem braunen Schulkleid hat sie einen dicken, grauen Sweatpullover an, auf den Weihnachtsmänner und Rentiere gedruckt sind. Ihre Haare wurden mit Metalldrähten zu kleinen Zöpfen zusammengebunden. 15 Jungen und 18 Mädchen sitzen auf dünnen Teppichen, die auf dem hellbraunen Fliesenboden verteilt liegen. Tische und Stühle gibt es nur für die Lehrkräfte. Als Stille einkehrt, trägt der Wind das Hämmern und Klopfen aus der Mine durch die offenen Fenster herüber.

Heute lernen die Kinder die Zahlen von eins bis fünf. Sie recken ihre Hände in die Luft, wollen zeigen, was sie schon können. „Monsieur, Monsieur!“, ruft ein Junge, der endlich gesehen werden will. Der Lehrer lässt den Blick durch den Klassenraum schweifen und ruft Nafi zu sich, die ihre Augen nur mit Mühe aufhalten kann. Dass sie mit ihren fünf Jahren schon ein paar Wörter auf der Amtssprache Französisch spricht, die Kreide richtig halten und eine Eins malen kann, ist in Burkina Faso keinesfalls selbstverständlich. Unter den Erwachsenen fehlt es immer noch rund 60 Prozent der Menschen an Grundkenntnissen im Lesen und Schreiben.

„Sie haben hier einen guten Start ins Leben“, sagt Rahim Kabre. Er weiß, dass die meisten Kinder ihre Tage in der Mine verbringen müssten, wenn es die Schule nicht gebe. Die Falten auf seiner Stirn ziehen sich zusammen, wenn er über seine verlorene Jugend in der Mine spricht. Sein Traum war es, zum Militär zu gehen, doch er war noch zu jung, und die Familie brauchte das Geld zum Überleben. Erst der Bau der Schule hat sein Leben verändert. „Ein Vertreter der Minenarbeiter-Organisation fragte mich, ob ich als Lehrer arbeiten will.“ Er wollte und durchlief ein zweimonatiges Training im Sozialministerium. Heute fährt er ein großes Motorrad, seine drei Kinder gehen in die Schule.

Für Nafi und ihre Freunde geht es nach der Vorschule in die Mine. Der Lehrer läuft mit einem Pulk Kinder über die staubige Straße dem Hämmern und Klopfen entgegen. „Unsere große Sorge ist, dass sich Eltern das Schulgeld später nicht leisten können und die Kinder doch wieder in die Mine mitnehmen“, sagt Rahim Kabre. Ramata Kabore, die Mutter von Nafi, sitzt unter einer löchrigen grauen Wolldecke, die auf vier Holzstöcke gesteckt wurde. Die Abbruchkante der Mine ist nur einen Steinwurf entfernt. Die 34-Jährige ist Mutter von drei Kindern. Nafi ist die Jüngste. Die Mutter zieht dem Mädchen den dicken Pullover aus, streicht ihren Fuß und ihren Ellenbogen mit einer Creme ein, drückt sie fest an sich. „Als meine Tochter noch kleiner war, ist ihr bei der Arbeit ein Steinsplitter ins Auge geflogen“, sagt sie leise, den Kopf gesenkt, ihr fehlen Zähne. Nafi hat keine bleibenden Schäden davongetragen, aber es war ein Warnschuss. Immer wieder verletzten sich Kinder in der Mine.Doch nicht alle Eltern wollen oder können ihre Kinder in die nahegelegene Vorschule samt Krippe schicken. Wer den Krater umrundet, sieht viele Babys, die auf den Rücken der Mütter festgebunden sind, kleine Kinder in zerrissenen Kleidern, die auf dem wohl gefährlichsten Spielplatz der Welt herumtoben. Neben einem rostigen Stacheldrahtzaun sitzt ein Junge, vielleicht ein Jahr alt. Welche Farbe das T-Shirt des Kindes einst hatte, lässt sich nur noch erahnen. Die spitzen Stacheln des Zauns zeigen bedrohlich auf das Kleinkind. Die Mutter ist nicht zu sehen. Ein Mann zerschlägt auf der anderen Seite eines windschiefen Verschlags Granitsteine. Er blickt nicht auf, als Fremde sich dem Kind nähern.

Burkina Faso
Foto: Sascha Montag

 

„Ich liebe es, Lehrer zu sein“, sagt Rahim Kabre, „die Kinder sind mir wichtig.“ Umso mehr schmerzt es ihn, wenn er auf Kinder trifft, die täglich in der Mine arbeiten. Und das tun sie, selbst hier in der Hauptstadt – auch wenn der Staat und die Vereinigung der Minenarbeiter sie nicht sehen wollen. Einer von ihnen ist der zwölfjährige Junge Somaila. In zerrissener Jeans und ausgeleiertem, löchrigem T-Shirt sitzt er mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden und schlägt mit einem Eisenstößel Granitsteine klein. Seine kräftigen Hände, die mit ihren trockenen Falten deutlich älter aussehen, als sie sind, arbeiten ohne Unterlass, routiniert. Unachtsamkeit kann sich der Junge nicht leisten. Seine Hände sichern das Einkommen von ihm und seiner Familie.

Leben verändert

„Bis vor zwei Jahren ging Somaila noch zur Schule“, sagt seine Mutter Rosalie Simporé, 39, die unter einem Verschlag drei Meter weiter sitzt und mit kräftigen Schlägen das Gestein zerkleinert, „dann konnten wir uns die Schulgebühren nicht mehr leisten.“ Somaila hat vier Geschwister. Sie alle gehen zur Schule. „Das würde ich auch lieber machen“, sagt er leise. Er ist jeden Tag in der Mine. Von sieben Uhr am Morgen bis in den späten Nachmittag hinein. So wie Rahim Kabre einst. Die Vorschule hat sein Leben verändert, es in allen Bereichen reicher gemacht, hoffnungsvoller. „Meine große Motivation sind die Kinder selbst“, sagt er. Ihr Ehrgeiz, ihr Wissensdurst, ihr Überlebenswille. Kinder wie Somaila zu sehen, die ihre Kindheit und Jugend im Glutofen von Pissy verbringen müssen, macht ihn wütend. „Es geht doch um die Kinder, ihre Zukunft“, sagt er aufgebracht, „die Eltern verstehen einfach nicht, wie wichtig ein guter Start ins Leben ist.“ Doch er gibt nicht auf, spricht immer wieder Mütter an, zeigt mit dem Finger in die Richtung, in der die Schule liegt. Nur fünf Minuten Fußweg entfernt. So nah und für manche Kinder doch so fern.

Burkina Faso
Foto: Sascha Montag

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