Trans-Sein fordert heraus

Drei Forderungen an Gesellschaft, Kirche und Politik
Nike Slawik spricht im Bundestag
Foto: dpa
Nyke Slawik (Bündnis 90/Die Grünen) spricht Anfang September 2023 im Bundestag.

Wir leben nach wie vor in einer transfeindlichen Welt. Die Sichtweise auf Trans-Personen ist strukturell verankert. Das soll das Selbstbestimmungs­gesetz verändern. Ein Plädoyer von der Bundestags­abgeordneten Nyke Slawik (Bündnis 90/Die Grünen) und der Journalistin Sophie Rauscher.

Sind Trans-Personen bald in der Mehrheit? Das könnte man glauben, wenn man den altbekannten und längst widerlegten rechten Narrativen von ansteckender Queerness Glauben schenken möchte. Dabei ist klar, dass steigende Sichtbarkeit nicht bedeutet, dass es vorher nicht genauso viele Menschen gab, die trans waren, aber unsichtbar blieben.

Im Deutschen Bundestag gab es mit Christian Schenk bereits in den 1990er-Jahren mindestens eine Person, die sich während des Mandats nicht geoutet hat, aber später ein trans Coming-Out hatte. Wie viele Abgeordnete sich vielleicht nie getraut haben oder weiterhin nicht trauen, wissen wir nicht. Nun zogen mit Tessa Ganserer und mir, Nyke Slawik, zwei bereits geoutete Trans-Personen erstmals in den Bundestag. Ein Anfang. Eine Zeitenwende wird nur herbeigeführt, wenn sich die Gesellschaft langfristig um ein Umdenken und Inklusion bemüht. Hierzu haben Sophie Rauscher und ich drei konkrete Forderungen:

Othering muss aufhören

„Ich bin wie alle, nur ein wenig anders, und am Ende ist jeder sein eigener Fall.“ (aus der Autobiografie Wie alle, nur anders von Nora Eckert)

1. Wir sind nur so skurril, wie ihr uns macht: Von einem „Wunsch nach Sonderbehandlung“ ist schnell die Rede, wenn Menschen, die einer Gruppe angehören, die in der Gesellschaft Diskriminierung erfährt, ihre Rechte einfordern. Eigentlich ist es aber immer nur ein Wunsch nach fairer Behandlung. Klar ist: Wir sind alle unterschiedlich. Wir haben unterschiedliche Bedürfnisse.

Trans-Personen wollen zum Beispiel schlichtweg mit den Ausweispapieren unterwegs sein dürfen, die wiedergeben, wer sie sind. Viele von uns wollen genauso Familien gründen, können das aber nicht unbedingt auf dieselbe Art und Weise wie Cis-Personen. Auch wir wollen an einem Arbeitsplatz existieren dürfen, ohne dass Witze über uns gemacht werden.

In vielen Fällen bedeutet ein Coming-Out als trans immer noch Ausschluss. Die Weltgesundheitsorganisation verabschiedete sich 2022 von der Psychopathologisierung, also der Behandlung von Trans-Sein als Krankheit. Endlich! Mit dem Selbstbestimmungsgesetz entfallen auch psychiatrische beziehungsweise psychologische Gutachten für eine Namens- und Personenstandsänderung. Trotzdem wird es noch ein langer Weg sein, den Blick auf uns als „anders“ und „krank“ zu verlieren. Die Gesellschaft und auch die Kirche haben über viele Jahrzehnte alles dafür getan, Trans-Sein zu verunmöglichen. Auf staatlicher Ebene bedeutete dies bis vor einigen Jahren: Zwangssterilisation und Zwangsscheidungen. Kinder kriegen, Ehen eingehen –„nicht für euch!“

Der Blick nur auf den aktivistischen Einsatz und auf ebenso viele Interviews mit Betroffenen, denen selbst erst kürzlich klar wurde, wer sie sind, dazu Berichte immer nach demselben Muster über eine „skurrile Minderheit“ lässt vor allem einen Blick vermissen: wie banal und langweilig Transitionen sein können. Wie unscheinbar viele von uns durch die Welt gehen. Wie gleich unser Alltag doch oft ist im Vergleich zu allen Personen, die in Deutschland leben. Gäbe es da nicht bürokratische Hürden, Diskriminierung, Fetischisierung und Exotisierung unserer Körper, wer weiß, ob es überhaupt noch irgendwas „Besonderes“ zu berichten gäbe.

Niemand muss ein ödes Leben leben, an dem sich keine Person reibt – aber alle sollten es dürfen. Denn wir sind wie alle, unter denen alle auch anders sind, eben jede*r ein eigener Fall.

Kompetente Beratung ermöglichen

„Während der Jahre meiner Transition und Detransition wuchs ich in die Rolle des medizinischen Patienten hinein, auf eine Weise, die sonst vielleicht nur chronisch kranke Menschen kennen. Nicht doch, ich sage nicht, dass die Transition selbst mich krank gemacht hat – im Gegenteil, was ich lernte, war, krank genug zu wirken, um die für mich notwendige Behandlung zu erhalten. Dass ich mein eigener Mensch bin und in der Lage bin, eine eigene Entscheidung zu treffen, darf während der Sprechstunde nicht geäußert werden.“ (aus: Eine experimentelle Behandlung, Eli Kappo, www.shesindetransition.com)

2. Bildet euch weiter, aber bildet euch nicht ein, uns besser zu kennen als wir uns selbst: Vermeintliche Bedenken aus konservativen bis rechten Kreisen gegen Selbstbestimmung sind unter anderem die eines zu starken „Vorbildcharakters“. Die Argumentation lautet ungefähr so: „Wir dürfen Menschen in ihrem Trans-Sein nicht zu sehr bestärken, für viele gibt es doch bestimmt andere Möglichkeiten als ein Outing und eine Transition. Trans-Personen können ja unseretwegen existieren, aber weniger laut – und bitte nicht vor Menschen, die das am Ende auch noch als einen Lebensweg für sich sehen.“ Diese Angst ist eigentlich genau die gleiche, die vor Jahrzehnten im Zusammenhang mit Homosexualität geäußert wurde. Wie konnte es nur sein, dass plötzlich viel mehr homosexuelle Menschen in der Öffentlichkeit zu sehen waren?

Queer-Sein ist nicht ansteckend oder ein verführerischer Trend, nur muss das eigene Leben nicht mehr im Verborgenen stattfinden. Auch vor fünfzig Jahren gab es sicher etliche Trans-Personen mitten unter uns, auf den Kirchenbänken und hinter den Kanzeln. Nur geoutet haben sie sich nicht. Wie auch, wenn mit der Zerstörung des Magnus-Hirschfeld-Instituts und der Verfolgung queerer Personen in der NS-Zeit sowie der Fortführung des Paragrafen 175 und der Pathologisierung von Transitionen keine Möglichkeiten gegeben wurden, ein Leben in der Öffentlichkeit zu führen, ohne es mindestens an die Ausgrenzung zu verlieren.

Welches Misstrauen wohl größer sein mag? Das Misstrauen von Trans-Personen gegenüber denjenigen, die ihnen in den Behörden, im Gesundheitsbereich oder der Beratung gegenüberstehen, oder umgekehrt? Denn natürlich leben wir nach wie vor in einer transfeindlichen Welt. Die Sichtweise auf Trans-Personen ist strukturell verankert, das heißt, ein jahrzehntelanges Antrainieren von Verhaltens- und Blickweisen auf Betroffene wird nicht durch eine einzige gesellschaftliche Debatte oder ein einziges gutes Gesetz geändert. Das bleibt ein Prozess.

In den aktuellen Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz gibt es viele Menschen, die fordern, die Hürden müssten weiterhin hoch bleiben. Trans-Personen sollten sich erst beweisen müssen, unterschiedliche fremde Personen aufrichtig von ihrem Trans-Sein überzeugen. Tatsächlich gibt es von vielen Trans-Personen einen Wunsch nach Beratung, nach Input von außen, der ihnen hilft, den eigenen Weg zu finden. Nur hilft es gar nichts, in diesen Kontext gleichzeitig eine Begutachtungskompetenz zu bringen. Denn dann traut sich niemand mehr, Zweifel anzusprechen, Hilfe zu suchen für andere Belastungen und psychische Probleme, die nur gegen die Betroffenen verwendet werden.

Es braucht die Offenheit für vielfältige Wege, trans zu sein. Für eine Reihe an Möglichkeiten von körperlichen, sozialen oder rechtlichen Veränderungen, die manche eben nutzen wollen und andere nicht. Es braucht Menschen, die sich weiterbilden und zuhören, die besser informiert sind als diejenigen, die Hilfe suchen – und die dennoch nichts besser wissen. Einen Mut auch zu affirmativer Seelsorge. Denn Kirche ist immer wieder ein wichtiger Kompass für sich hinterfragende Menschen. Häufig suchen junge Menschen als erstes Rat beim örtlichen Pfarrer, wenn sie merken, dass etwas bei ihnen anders ist als das, was ihnen überall vorgelebt wird.

Es wäre schön, wenn sie hier besondere Unterstützung erführen. Wenn zum Beispiel Spenden gesammelt würden, um oft sehr teure Transitionskosten unkompliziert zu decken, gerade dort, wo gesetzliche Krankenkassen immer noch Übernahmen ablehnen. Wenn es wie mancherorts Segnungsgottesdienste gäbe, in denen eine Person der Gemeinde mit ihrem neuen Namen vorgestellt wird, und sie ähnlich wie bei einer Taufe oder Eheschließung von ihren Mitmenschen Zuspruch erfährt.

Sich dem Perspektivwechsel stellen

„Gott hat mich gesegnet, indem Gott mich transsexuell gemacht hat, aus demselben Grund, wie Gott Weizen, aber nicht Brot, Frucht, aber nicht Wein machte – damit die Menschheit teilhabe am Schöpfungsakt.“ (frei übersetzt; zitiert aus: „Something That May Shock And Discredit You“ von Daniel M. Lavery)

3. Gemeinsam mit uns fallen Fragen ein, die alle weiterbringen: Leider sind immer noch viele Menschen ganz unabhängig von ihrer Konfession davon überzeugt, dass es nur zwei Geschlechter geben kann und dass ein*e Schöpfer*in oder „die Natur“ doch nicht absichtlich irgendwen hat „trans machen“ können. Realität und fundierte wissenschaftliche Forschung unterstreichen aber, dass sowohl mehr als zwei Geschlechter existieren, als auch dass viele Trans-Personen nur ihre Geburt als Startpunkt ihres Trans-Seins benennen können.

Die Zweigeschlechterordnung ist eine wichtige Säule des Patriarchats. Es braucht die vermeintliche Gegensätzlichkeit von Mann und Frau, um rechtfertigen zu können, weshalb ihnen unterschiedliche Rollen und Behandlungen zuteilwerden. Inter- und nicht-binäre Personen passen in diese sogenannte Cisnormativität, also die gesellschaftliche Erzählung, alle seien entweder als Mann oder Frau geboren und bleiben es, nicht rein. Trans-Personen hinterfragen dann auch noch, ob die Zuordnung bei der Geburt denn unausweichliches Schicksal sein muss. Sie werfen nicht nur die Zuteilung von Geschlechterrollen und Privilegien über den Haufen, sondern verabschieden sich vom vermeintlich dahinterliegenden Grund. Kann die Existenz von Trans-Personen etwa ein Segen sein, Dinge, die schieflaufen, zu hinterfragen?

Trans-Sein stellt unsere Gesellschaft gerne vor neue Fragen, sofern wir offen sind für Perspektivwechsel. Zum Beispiel: Wie zeitgemäß sind Vermerke bei den Behörden über den Personenstand, also den Geschlechtseintrag? Im Personalausweis steht dieser Eintrag nicht. Weshalb sind die Hürden für Namensänderungen in Deutschland so hoch? Wird es nicht endlich Zeit, sich komplett vom NS-Erbe Hans Globkes zu verabschieden und ein genau gegenteiliges Verständnis von Namensänderungen zu entwickeln? Ein Verständnis, das Namensänderung als eine private Angelegenheit betrachtet, die gar keine Hürden, nur vielleicht etwas bürokratische Ordnung braucht. Wir sehen unter anderem an Trans-Personen und geschlechtsaffirmativen Maßnahmen, wie sehr sich eine Investition in Gesundheitsleistungen lohnt, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Weshalb schaffen wir es nicht, den Gesundheitsbereich üppig auszustatten und medizinische Leistungen unkompliziert zugänglich zu machen?

Neue Perspektiven von Trans-Personen bereichern ebenso biblische Geschichten. Wahrscheinlich kennen Sie Memes, das sind Bilder, die oft mit neuem Text in einen anderen Kontext gesetzt werden. Ein solches Meme zeigt ein Gemälde, auf dem der Jünger Thomas zu sehen ist, wie er die Wunden am auferstandenen Körper Jesu begutachtet. Dazu textete jemand: „Jesus, wie er seine Mastektomie-Narben den Jüngern präsentiert.“ Das mag erstmal wie ein absurder, für einige gar blasphemischer Kontext wirken. Trans-Personen können aber durchaus nachvollziehen, was es bedeutet, wenn Menschen erst ihr Leid validieren und ihre Narben sehen wollen, um sie als die zu akzeptieren, die sie sind. Und dann ist es doch spannend, dass es hier einen auferstandenen Jesus gibt, für viele ein starkes Fundament ihres Glaubens, der genauso Narben trägt. So gibt es transfeindliche Stimmen, die sich angeblich Sorgen machen um die armen trans Körper, die doch ursprünglich so perfekt sind und nun Narben tragen. Dahinter steckt Behindertenfeindlichkeit und ein falsches Verständnis darüber, wie viel Stolz auf überstandene Kämpfe auch in den Spuren unserer Körper stecken kann. Queer- und Trans-Theologie bieten Möglichkeiten, Texte auf ganz neue Weise zu durchdringen, da unsere Lebensrealitäten bisher in der Exegese wenig bis überhaupt keinen Einklang fanden.

Aufschwung der Queerpolitik

Die Debatte um queere Grund- und Menschenrechte wird definitiv größer. Das belastet queere, trans, inter und nicht-binäre Personen. Darüber darf allerdings nicht vergessen werden, dass es auch Gründe gibt, weshalb sich menschenfeindliche Kräfte genau jetzt aufgerufen sehen, wieder besonders viel Stimmung gegen uns zu machen. Wir sind dabei, die Gesellschaft wirklich zum Positiven verändern zu können! Mit dem Selbstverständnis der Bundesregierung als „Fortschrittskoalition“ und einem Queerbeauftragten der Bundesregierung gibt es auch im Parlament so viele queerpolitisch arbeitende Abgeordnete wie nie zuvor. Wir konnten einen „Aktionsplan Queer Leben“ auf den Weg bringen, um im Selbstbestimmungsgesetz einige Fortschritte zu verankern, und auch beim Abstammungsrecht setzen wir uns für Regen­bogenfamilien ein. Wir sind schon immer Teil dieser Gesellschaft, Teil der Kirche, Teil vieler Familien. Wir laden dazu ein, diesen Teil zu sehen und wertzuschätzen.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.