pro und contra

Soll die AfD verboten werden?

Henning Theißen
Dietmar Woidke
Foto: dpa

Die Verfassungsschutzämter von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben die drei Landesverbände der AfD als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ eingestuft. Ist es Zeit, gegen die ganze AfD ein Parteiverbotsverfahren zu starten? Dafür spricht sich Henning Theißen, Professor für Systematische Theologie an der Universität Greifswald, aus. Dagegen ist Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg.

Nicht mehr warten!

Es ist Zeit, die schärfste Waffe des Rechtsstaats zu zücken: ein Parteiverbot der AfD

Es gibt ein reales Scheiternsrisiko bei einem AfD-Verbotsverfahren. Dennoch sollte dieser Schritt gewagt werden.

Kürzlich habe ich die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen außer einer per Brief zu einem Spiel eingeladen. Sie sollten mir erklären, wie sie sich ein Verbot der in drei Bundesländern gesichert rechtsextremen AfD vorstellen, durften aber zwei in Stabreime verpackte Argumente der Juristen dabei nicht verwenden: dass a) ein Parteiverbot das „schärfste Schwert“ des Rechtsstaates sei, für das der Gesetzgeber b) „hohe Hürden“ aufgerichtet habe.

Ich kann nicht als Jurist sprechen, sondern nur als theologischer Ethiker. Diese Zunft folgte lange Kants Kategorischem Imperativ, der sich aber mit der „wehrhaften Demokratie“ nicht leichttut. Denn wer den Feinden der Demokratie ein demokratisches Instrument wegnehme, begebe sich auf ihre Stufe herab und schade letztlich der Demokratie. Im langen Schatten Kants liegt auch das diskursethische Argument, die AfD müsse vor allem politisch bekämpft werden.

Doch wie können gerade Spitzenpolitiker aus Regierungsparteien damit gegen einen Verbotsantrag argumentieren und gleichzeitig die täglichen Massendemon­strationen gegen Rechtsextremismus loben, die lautstark einschärfen, dass faschistische Parteien sich eben nicht dem „zwanglosen Zwang“ des besseren Arguments beugen?

Die andere große Ethiktradition, der Utilitarismus, bietet Chancen, solche Paradoxien aufzulösen. Nur wird sein Abwägungskalkül meist zu früh abgebrochen, wenn ein reales Scheiternsrisiko schon gegen einen Antrag sprechen soll: siehe den 2017 gescheiterten NPD-Verbotsantrag. Wirklich? Die NPD ist seither nicht stärker, sondern schwächer geworden, und das laut Wählerwanderungen weniger wegen der Ausweichoption AfD, sondern weil sie vorher schon schwach war: zu schwach, um ihre Ziele auch durchzusetzen, befanden die Karlsruher Richter seinerzeit. Das kann aber im Vergleich mit der AfD, der angesichts von in Ostdeutschland über 30 Prozent Zustimmung bei der Sonntagsfrage ohnehin hinkt, kein Argument sein, mit einem Verbotsantrag zu warten, bis sie mit der Durchsetzung beginnt.

Man sollte dem Scheiternsrisiko ins Auge blicken, um festzustellen, dass erst die NPD-Verbotspleite den alternativen Weg eines Ausschlusses von der staatlichen Parteienfinanzierung eröffnete, der jüngst die Nachfolgeorganisation „Die Heimat“ traf. Oder die jetzt laufenden Überlegungen zur grundgesetzlichen Stärkung des Bundesverfassungsgerichts vor einer Einflussnahme extremistischer Parteien. Utilitaristisch nüchternes Kalkül kann die Blockade in den Köpfen lösen und über das Scheitern eines Verbotsantrags hinausdenken lassen. Natürlich würde die AfD ein solches als Beweis ihrer Demokratie-, wenn nicht Regierungsfähigkeit feiern. Aber würde sie im umgekehrten Fall verboten, trüge ihr das einen Märtyrerstatus ein, der vergleichbare Sympathieeffekte mit sich brächte. Beides hält sich wohl die Waage.

Schließlich ein zumindest in seiner Zielgruppe „theologisches“ Argument: Ein Verbotsantrag würde die Christdemokraten zwingen, ihre „Brandmauer“, die zur Zeit nur latent für den Fall künftiger AfD-Wahlerfolge dasteht, (mani)fest zu machen, und zwar umgehend. Denn das Eingeständnis, erst vom Karlsruher Urteil dazu genötigt worden zu sein, wäre – egal, wie dieses ausfällt und was die Christdemokraten dazu sagen – politischer Selbstmord für eine Partei, die heute fest damit rechnet, den nächsten Bundeskanzler zu stellen.

Ein Verbotsantrag gegen die AfD sollte umgehend in Karlsruhe gestellt werden. Die Demokratie kann dabei nur gewinnen. 


Vertrauen wir auf die Demokratie!

Wir sollten der AfD nicht den Gefallen tun, sich in der Opferrolle verschanzen zu können

Die Verfassungsschutzämter von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben die drei Landesverbände der AfD als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ eingestuft. Ist es Zeit, gegen die ganze AfD ein Parteiverbotsverfahren zu starten? Dafür spricht sich Henning Theißen, Professor für Systematische Theologie an der Universität Greifswald, aus. Dagegen ist Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg.

Es hat keinen Sinn, ein Verbot der AfD täglich einzufordern. Das hilft nur den Falschen. Wir brauchen jetzt die inhaltliche Auseinandersetzung.

Ganz klar: Die Demokratie muss sich gegen ihre Feinde wehren können. Das ist die wichtige Lehre aus dem Ende der Weimarer Republik und der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Das Grundgesetz bietet uns dafür mit dem Parteienverbot ein scharfes Schwert, für das hohe Hürden gesetzt sind. Zu Recht, wie ich finde. Denn vor einem Verbot muss vieles passieren.

Die AfD hat in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich gemacht, was sie von unserer Demokratie und von unserer freien und offenen Gesellschaft hält – nämlich nichts. Und zwar nicht erst seit dem unseligen Tag im November 2023, als sich eine Gruppe von Rechtsextremisten mit AfD-Mitgliedern in Potsdam versammelt hat, um hinter verschlossen geglaubten Türen ihre Vertreibungsfantasien von Millionen Deutschen zu besprechen. Dagegen stehen gerade Hunderttausende, wohl Millionen, auf. Ich bin allen dankbar, die jetzt Flagge für Demokratie, Freiheit und Toleranz zeigen. Aber auch vorher wussten wir schon, was viele in der AfD von Andersdenkenden halten, von Menschen, die eine andere Herkunft oder Hautfarbe haben, von Menschen, die ein Leben leben, das nicht in ihr Gesellschaftsbild passt.

Dennoch sollten wir der AfD nicht den Gefallen tun, sich in der Opferrolle verschanzen zu können. Mit einem eilig gezimmerten Verbotsverfahren jetzt würde genau das passieren. Wir haben Einrichtungen, die notwendige Materialien sammeln. Wir werden sehen, wie sich die Ordner füllen. Deshalb hat es keinen Sinn, ein Verbot täglich einzufordern. Das hilft nur den Falschen. Was wir jetzt brauchen: die inhaltliche Auseinandersetzung. Das haben wir im Januar im Brandenburger Landtag in der von der AfD beantragten Remigrationsdebatte erfolgreich gemacht.

Die AfD hat inhaltlich nichts zu bieten, ist rückwärtsgewandt und im Parlament vor allem destruktiv. Wenn sie ihre Politik durchsetzen könnte, wäre das der größte vorstellbare Schaden für unsere Gesellschaft, für unsere Wirtschaft. Gerade deshalb warnen auch Unternehmer und Gewerkschaften vor der AfD. Arbeitsplätze würden vernichtet und gerade diejenigen, die in unserer Gesellschaft am wenigsten haben, würden darunter am meisten leiden: Geringverdienende und Arbeitslose.

Der Auftrag lautet also aus meiner Sicht: Stellen wir die AfD in der scharfen Debatte. Legen wir die vielen inhaltlichen Schwächen offen. Und setzen wir etwas Positives dagegen: eine solidarische Politik für den Zusammenhalt in Brandenburg und Deutschland. Eine gute, pragmatische Politik, die uns sicher durch diese schwierige Zeit der Transformation führt, die die Gesellschaft eint und die Wirtschaft stärkt. Und eine Politik für diejenigen in unserer Gesellschaft, die hart arbeiten, damit der Laden läuft. Darüber müssen wir mit denen sprechen, die die AfD wählen oder darüber nachdenken, sie zu unterstützen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, woher der Frust kommt, der manche in die Arme der Rechtsextremisten treibt. Ich bin überzeugt: Wir haben die guten Argumente auf unserer Seite. Es gibt im Spektrum der demokratischen Parteien eine breite Auswahl an Ideen und Vorstellungen, links der Mitte, rechts der Mitte. Niemand braucht diese AfD – und das können wir im demokratischen Diskus deutlich machen.

Reden wir also miteinander! Im politischen Raum, auf Veranstaltungen und Kundgebungen, aber natürlich auch im Privaten. Wenn wir uns zuhören, wenn wir aufeinander zugehen und uns damit beschäftigen, wo andere herkommen und warum sie so denken, wie sie denken, dann können wir überzeugen. Das ist für mich die große Kraft der Demokratie: Wenn wir wirklich miteinander sprechen, setzen sich die guten Ideen durch – und die Inhaltsleere der AfD, ihre rückwärtsgewandte Politik, die wirklich niemandem hilft, wird dann sehr deutlich. Und dann braucht es kein AfD-Verbot, dann verliert sie von ganz allein ihre Bedeutung.

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