Die Macht der Blumen

Warum Kirchengemeinden jetzt Kränze nach Moskau schicken sollten
Foto: Harald Oppitz

Der Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny erschüttert seit einer Woche die Welt. Auch unsere Online-Kolumnistin Angela Rinn, die aus diesem Anlass über die Macht der Blumen nachdenkt und konkretes Tun damit. 

Welche Kraft doch Rituale haben! Etwa das Ritual, einen Blumenstrauß zum Gedenken niederzulegen oder zum Abschied in ein Grab zu werfen. Das Zeichen dafür, dass ein Mensch geliebt, geschätzt wird, obgleich er gestorben ist. Blumen, die man sich zu Lebzeiten als Symbol für Liebe oder Freundschaft überreicht hat, werden im Angesicht des Todes zu blühenden Botschafterinnen: Dein Leben war wichtig.

Welche Kraft Rituale haben! Die Blumensträuße, die niedergelegt werden, die ins Grab geworfen werden, können diejenigen trösten, die um einen Menschen trauern. Auf den oberflächlichen Blick hin sind es – bloß Blumen. Doch die zarten Pflanzen sind ein bunter Protest gegen die Macht des Todes. Die Blumen sprechen in ihrer Sprache, die jeder Mensch verstehen kann, über sprachliche, intellektuelle und kulturelle Grenzen hinweg. 

Welche Kraft Rituale haben! Sie sind so mächtig, dass sie eine brutale Diktatur erschrecken können. Wie anders ist es zu erklären, dass diejenigen, die zum Andenken an Alexej Nawalny gerade in Moskau und überall in Russland Blumen zum Gedenken niederlegen, sofort verhaftet werden. Ihre Blumen werden eingesammelt. Es sind bloß Blumen! Diejenigen, die sie niederlegen, wagen eine mutige Geste, zu Ehren eines Menschen, der sein Leben eingesetzt und verloren hat, um gegen einen niederträchtigen Kriegsherren zu protestieren, dem Menschenleben völlig egal sind. Der aber offenbar vor Blumensträußen erschrickt. Solche Macht haben Blumen! Solche Kraft haben Rituale! Die Blumen senden eine Botschaft, noch in dem Moment, in dem sie eingesammelt werden.

Ich war in London, kurz nachdem Lady Diana 1997 in einem Pariser Autotunnel tödlich verunglückt war. Um den Kensingtonpalast ein Meer von Blumen –  so etwas hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Und immer noch kamen Menschen und legten Blumensträuße dazu.

Es wäre eine wundervolle Vorstellung, den Kreml in einem Meer von Blumen zu versinken zu lassen. Warum nicht in den Gruppen und Kreisen unserer Kirchengemeinden Kränze binden, die die Menschen feierlich vor der Botschaft in Berlin oder dem Generalkonsulat in Bonn niederlegen? Wir haben doch Erfahrung damit, in Bonn für den Frieden zu protestieren. Ich war damals dabei. Was für eine Vision! Wieder 100 000 Menschen im Hofgarten, alle haben einen Blumenstrauß in der Hand und ziehen zum russischen Generalkonsulat, um ein Blumenmeer des Protest erblühen zu lassen. Noch dazu wäre es eine Aktion, an der sich alle beteiligen können: Sowohl die, die radikal pazifistisch denken als auch die, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten. Blumen sind Waffen, die nicht töten. Mächtig sind sie aber schon! 

Meine beste Idee wird sich wahrscheinlich wegen der Sanktionen gegen Russland nicht realisieren lassen. Erzählen möchte ich aber doch davon! Alle Kirchengemeinden senden per Fleurop Blumensträuße an Wladimir Putin. Die wohlhabenden Kirchengemeinden könnten gerne auch Kränze schicken. Man müsste noch nicht einmal eine Karte beilegen, die Botschaft würde auch so verstanden.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"