Präzise

Anfänge des historischen Jesus

Dieses Buch zu lesen macht Freude. Viele bekannte biblische Geschichten wurden in neuen Zusammenhängen erschlossen. Der Autor versteht es, die komplexen Traditions-Zusammenhänge der Jesus-Überlieferungen verständlich in die historischen Kontexte einzuordnen und mit den archäologischen Zeugnissen zu verbinden. Dabei spürt man, wie Dirk Sawatzki versucht, Antworten auf die Frage zu finden: Könnte es so gewesen sein? Könnte Jesus das so gesagt haben?

Wer sich zuerst der Methodik vergewissern möchte, kann das Buch von hinten lesen: Dort gibt er Rechenschaft über das Verhältnis von (literarischer) Fiktion und Wissenschaft, geht der Frage nach, ob Jesus gelebt hat (ist sehr wahrscheinlich), und ordnet sein Buch in einem kurzen Abriss der Leben-Jesu-Forschung bis zur „Third Quest“ forschungsgeschichtlich ein, die Jesus ganz im Judentum einbetten und ihn daraus verstehen möchte. Dieser Ansatz dürfte gerade angesichts des aufbrechenden Antisemitismus besonders wichtig werden. Sawatzki knüpft wesentlich an die Lokalkolorit-Forschung von Gerd Theißen und Annette Merz an und bezieht auch jüdische rabbinische Stimmen aus Mischna und Talmud ebenso mit ein wie Qumran-Texte und Apokryphen.

Dieses Werk zeichnet besonders die Verknüpfung von Text-Zeugnissen mit archäologischen Erkenntnissen aus, „die von geradezu elementarer Bedeutung für die völlig neue Erfassung des kulturellen und soziologischen Umfelds Jesu“ (Charlesworth) sind. Die angelegten Kriterien werden vom Verfasser präzise dargestellt.

„Ich hasse Nazaret.“ – „Ich liebe Jeruschalajim: die Stadt des großen Königs.“ – „Die Armen werden jubeln, wenn ihnen die frohe Botschaft der Befreiung verkündet wird.“ Könnte Jesus das gesagt haben? Jedes Kapitel beginnt mit einem kurzen Text fiktiver Jesus-Rede. Einzelne Sätze werden dann, grafisch abgesetzt, wieder aufgegriffen, wenn der Hintergrund dieser Aussagen dargestellt wird. So entsteht ein abwechslungsreiches Buch, das einen immer wieder nach der Historizität fragen lässt.

Insgesamt umfasst das Buch sieben Kapitel: die möglichen Geburts- und Kindheitsorte Bethlehem, Nazareth und Zippori – jene Stadt, die unter Herodes Antipas als neue Hauptstadt zur „Zierde Galiläas“ wiederaufgebaut wurde (Kapitel eins); „der Alte“ ist der Spitzname für Rabbi Hillel – hat er Jesu Verkündigung beeinflusst? (Kapitel zwei); bei der „Festung der Frommen“ geht es um das Verhältnis Jesu zu den Essenern und zu Qumran (Kapitel drei); der Bezug zu Elija schlägt die Brücke zwischen Jesus und dem Täufer (Kapitel vier); das Schabbat-Kapitel bezieht auch Jürgen Moltmanns „ökologische Schöpfungslehre“ ein, der schon 1985 dafür warb, neben der Sonntagsruhe auch den Sabbat „als Tag der neuen Schöpfung [als] einen ökologischen Ruhetag“ zu feiern (Kapitel fünf); das Magdala-Kapitel führt uns zur Bedeutung der Synagoge im ersten Jahrhundert (Kapitel sechs) und das siebte Kapitel, das Kapernaum-Kapitel, führt uns schließlich nach Galiläa und zur Bedeutung von Schimon-Kefa-Petrus.

Informativ sind die extra hervorgehobenen, zum Teil ausführlichen Exkurse zu speziellen Themen wie bei Kapernaum/See Genezareth zum Beispiel zu den verschiedenen Formen des Fischfangs (Angel, rundes Wurfnetz, Schleppnetz und Spiegelnetz), die einzelne Bibelstellen verständlicher machen. Jedes Kapitel wird abgerundet mit Hinweisen zu einzelnen Besichtigungs-Stätten, ohne dass das Buch gleich ein Touristen-Führer werden würde. Vielmehr ist es ein Kompendium über den aktuellen literarisch-archäologischen Forschungsstand (soweit ich das beurteilen kann) und ein Arbeitsbuch, das dank des Bibelstellen- und Ortsregisters seinen Platz bei der Predigtvorbereitung in Greifweite finden wird – in der sicheren Erwartung, dass ich da manche Anregung finden werde.

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