Nordischer Wille

Vilde Frang spielt Carl Nielsen
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Und dann entfaltet sie, fast aus dem Nichts heraus, einen so zärtlichen Ton in lichter Höhe, dass kein Zweifel besteht: Von hier an werden wir ihr folgen, wohin sie uns auch immer führt.

Wahrscheinlich muss man als junge, aufstrebende Geigerin einfach Tschaikowskys Violinkonzert spielen - wenn man es denn kann. Der russische Komponist hat in dieses Werk so ziemlich alles hineingepackt, was das Herz der Musikerin begehrt: Passagen rauschender Virtuosität, innige Momente, in denen man den Tönen nachlauschen kann, ein Universum an Gefühlen und vor allem zum Niederknien schöne Melodien.

Es sei der 1986 geborenen Norwegerin Vilde Frang von ganzem Herzen gegönnt, dass auch sie sich dieses Paradestück zu eigen macht. Und es gelingt ihr wirklich vorzüglich: großer Geigenzauber vom ersten Moment an. Aber seien wir ehrlich, unbedingt nötig hat die Welt diese x-te Aufnahme nicht, gibt es doch schon so viele hervorragende Interpretationen, dass man mit dem Hören kaum nachkommt.

Dass man die CD dennoch nicht versäumen sollte, liegt am zweiten Stück, Carl Nielsens Violinkonzert Op. 33, entstanden 1911, und damit der Frühmoderne zugehörig. Schon der Beginn ist fulminant. Über den in göttlicher Länge summenden Orgelpunkt des Orchesters setzt Vilde Frang mit nordisch-rauer, bedingungsloser Willensstärke ein. Vor dem inneren Auge sieht man bei den Doppelstrichen tiefe senkrechte Falten auf ihrer Stirn, die sie in Wirklichkeit wahrscheinlich noch gar nicht hat. Und dann entfaltet sie, fast aus dem Nichts heraus, einen so zärtlichen Ton in lichter Höhe, dass kein Zweifel besteht: Von hier an werden wir ihr folgen, wohin sie uns auch immer führt.

Vilde Frang kostet facettenreich den Esprit des ersten Satzes aus, der zwischen barocken Stilisierungen, volkstümlicher Schlichtheit und wild-romantischer Expressivität changiert. Von dort schmeichelt sie sich ins Adagio hinein, tanzt schließlich das Rondo von lässig bis leidenschaftlich, und meistert auch die kompliziertesten Stellen mit erfrischender Leichtigkeit. Dass all dies so gut gelingt, liegt freilich zum nicht geringen Teil am einfühlsam spielenden Dänischen Radio-Symphonie-Orchester unter der Leitung von Eivind Gullberg Jensen. Der durch und durch stimmige, ausgewogene und präzise Klangkörper legt der Solistin die Musik des dänischen Komponisten zu Füßen.

Mit zwölf Jahren bereits wurde Vilde Frang von Mariss Jansons eingeladen, mit dem Oslo Philharmonic Orchestra aufzutreten. Inzwischen hat sie mit vielen großen Orchestern sowie Künstlerinnen und Künstlern wie Gidon Kremer, Martha Argerich oder Anne Sophie Mutter zusammengearbeitet. Den weiteren Weg sollte, muss man aufmerksam verfolgen.

Tschaikowsky/ Nielsen - Violin Concertos. EMI Classics 6 02570 2.

Ralf Neite

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